Zodiac (15 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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Das Presidio, die alte Festung der Stadt, die lange als Militärstützpunkt diente und heute als Park genutzt wird, liegt eineinhalb Blocks nördlich von Cherry und Washington Street. Die Ermittlungsbeamten erfuhren von Anwohnern, dass sie einen stämmigen Mann gesehen hatten, der in den Park geeilt und im dichten Gestrüpp des Geländes verschwunden war. Toschi ließ die starken Scheinwerfer der Feuerwehr so aufstellen, dass die gesamte Gegend beleuchtet wurde. Streifenpolizisten begannen in großer Zahl mit ihren Taschenlampen hinter jedem Baum und Strauch zu suchen. Sie hofften, dass der Gesuchte hier irgendwo durch das Gestrüpp schlich und sich auf dem dicht bewachsenen Gelände zu verbergen suchte.

Die Einheiten, die mit sieben der besten Suchhunde im ganzen Land unterwegs waren, durchkämmten das Gelände des Presidio in verschiedenen Richtungen. Über eine Stunde lang streiften die Hunde eifrig durch das dichte Buschwerk, um etwas Verdächtiges zu erschnuppern.

Armstrong und Toschi überlegten, welche Möglichkeiten der Mörder hatte: Konnte es sein, dass er rasch den Wald durchquert und das Gelände an der Richardson Avenue wieder verlassen hatte, um dann auf dem Highway 101 und weiter über die Golden Gate Bridge im Marin County unterzutauchen? Oder war der Mann über den Julius-Kahn-Spielplatz und dann in südlicher Richtung zur Jackson Street geflüchtet?

Ein Anruf bei Stines Chef bei Yellow Cab, LeRoy Sweet, ergab, dass der Fahrer um 21.45 Uhr zum letzten Mal eine Fuhre von der Zentrale zugewiesen bekam; die Adresse, zu der er gerufen wurde, war 500 9
th
Avenue. Als Stine nicht dort auftauchte, wurde die Fahrt einem anderen Taxifahrer übertragen. Das Taxameter in Stines Wagen, das immer noch lief, als der Wagen gefunden wurde, zeigte um exakt 22.46 Uhr sechs Dollar 25 Cent an. Dies lässt darauf schließen, dass Stine auf dem Weg in die 9
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Avenue einen neuen Fahrgast übernommen hatte, den Mörder.

Anhand des Taxameters konnte Toschi ungefähr feststellen, wo der Mörder Stine angehalten haben musste. Eine Taxifahrt in San Francisco war im Jahr 1969 so teuer wie nur in wenigen anderen Städten des Landes; für eine Fahrt von drei Kilometern hätte Stine einen Dollar 35 Cent verlangt.

»Wie war der Mörder überhaupt ins Theaterviertel gekommen?«, fragte sich Toschi. »Und war er nach der Tat zu seinem Wagen zurückgekehrt? War der Wagen vielleicht gerade in dem großen Parkhaus in der Innenstadt abgestellt worden?«

Um ein Uhr nachts wurde das Taxi schließlich ins Polizeihauptquartier abgeschleppt. Dagitz und Kirkindal begleiteten den Transport.

Um zwei Uhr wurde die Suche abgebrochen, und Armstrong und Toschi verließen die Gegend des Tatorts.

Ein Mörder war durch die Straßen dieses reichen und eleganten Viertels gelaufen und schließlich im Nebel verschwunden.

 

Sonntag, 12. Oktober 1969

 

Die Beschreibung des Mörders wurde die ganze Nacht hindurch und auch am folgenden Vormittag immer wieder in Radio und Fernsehen durchgegeben. Die Militärpolizei hatte inzwischen aufgehört, das Gelände des Presidio abzusuchen.

Um halb zwei Uhr, zehn Minuten nachdem Stines Frau Claudia telefonisch vom Tod ihres Mannes verständigt worden war, begannen Dagitz und Kirkindal den Wagen eingehend unter die Lupe zu nehmen. Das Yellow-Cab-Taxi mit dem kalifornischen Kennzeichen Y17413 wurde gründlich nach weiteren Patronenhülsen, Kugeln, Einschusslöchern oder sonstigen Spuren abgesucht.

Stines Leiche wurde am folgenden Vormittag, kurz nach halb zehn Uhr, einer Obduktion unterzogen.

Der in kaltem Weiß gehaltene Obduktionssaal des Gerichtsmediziners befindet sich direkt hinter der Hall of Justice, drei Stockwerke unter Toschis Büro. Die Leichen werden bei einer Temperatur von 3°C im Kühlraum der Rechtsmedizin aufbewahrt, während es im Obduktionssaal nebenan 15°C sind. Die Gerichtsmediziner tragen grüne Chirurgenkittel und Gummihandschuhe. Im Autopsiebericht werden in jedem Fall Alter, Geschlecht und Hautfarbe angegeben, außerdem eine Beschreibung des Körperbaus sowie der auffälligen Merkmale des Toten. Es werden auch bestimmte Folgeerscheinungen des Todes, wie Leichenstarre, Abkühlung, Totenflecke und Leichenfäulnis festgehalten. Neben einer äußeren Untersuchung von Kopf und Rumpf wird auch das Körperinnere genau untersucht; dies betrifft die inneren Organe ebenso wie den Mageninhalt, den Halsbereich, das Rückenmark, den Kopf, die wichtigsten Blutgefäße und das Herz. Schließlich wird ein rotes Schildchen mit einem Stück Draht an den rechten großen Zeh der Leiche gehängt.

Als Erstes, bevor Blut und Schmutz entfernt werden, müssen noch unter Anleitung des Pathologen Nahaufnahmen von der angekleideten Leiche gemacht werden. Wichtig ist auch, dass jeder noch so kleine Fremdkörper von der Wunde entfernt wird, um ihn zu untersuchen. Eine vollständige Autopsie wird auch dann durchgeführt, wenn der Tod nicht durch das Eindringen eines Gegenstandes in den Körper verursacht wurde, wenn er also nicht »penetriert« wurde, wie es in der Fachsprache heißt. Wenn ein Gegenstand nicht nur in den Körper eindringt, sondern auch wieder aus ihm austritt, spricht man davon, dass er »perforiert« wurde.

Der Gerichtsmediziner untersuchte nun die Wunde in Stines Kopf, die sternförmig gezackt war. Zwischen der Haut und dem durch die enorme Hitze geschwärzten Schädel wurden Pulver- und Rußspuren festgestellt. Die Flecken an der Schläfe und die große versengte Wunde selbst ließen erkennen, dass die Mündung der Waffe beim Schuss Kontakt mit der Haut gehabt hatte. In einem solchen Fall ist die Austrittswunde viel kleiner als die Eintrittswunde, während bei einem Schuss ohne Kontakt zwischen Waffe und Haut das Gegenteil der Fall ist. Im Falle des Taxifahrers trat die Kugel nicht aus, sondern blieb im Kopf stecken.

Die Leichen- oder Totenflecken, eine blau-violette Verfärbung, die durch das Absinken des Blutes in tiefer gelegene Körperteile entsteht, setzt etwa zwanzig bis sechzig Minuten nach dem Todeseintritt ein. Dies lässt erkennen, wie viel Zeit seit dem Eintritt des Todes vergangen ist. Die Muskeln um Stines Kopf, Hals, Kiefer und Augenlider hatten begonnen, sich zu versteifen, was den Beginn der Leichenstarre markierte. Es würde zwei bis drei Tage dauern, bis sich diese Starre wieder zu lösen begann.

Während der Autopsie befragte die Polizei die Teenager, die das Geschehen beobachtet hatten, und ein Polizist mit zeichnerischem Talent fertigte anhand der Beschreibung eine Skizze an.

Tom Macris, der beste Polizeizeichner des gesamten Bundesstaates, verriet mir einmal: »Du musst den Zeugen ermutigen, an sich selbst und an die Fähigkeit seines Gedächtnisses zu glauben, auch große Mengen von wahrgenommenen Details zu speichern. Man führt eine Art Interview mit dem Zeugen durch. Man bekommt ein Gespür für den Menschen, der da vor einem sitzt, für seine geistige Kapazität und seine Fantasie.« So wie Macris ließ sich auch der Zeichner in diesem Fall von Gefühl und Intuition leiten. Wie die meisten seiner Kollegen besaß auch dieser Zeichner eine reiche Sammlung von Bildern, die Menschen mit den verschiedensten Gesichtern und Frisuren zeigten. Die Zeugen sehen die Fotos durch, bis sie eines finden, das dem Verdächtigen ähnlich ist. Das liefert dem Zeichner eine Grundlage, auf der er aufbauen kann. Das Gesicht wird von vorne gezeichnet, weil auch die Fotos für die Polizeiakten so aufgenommen werden. Auf diese Weise lassen sich Fotos und Zeichnung dann besser vergleichen. Personenbeschreibungen in Mordfällen sind für gewöhnlich besonders schwierig, da ein Beobachter in den meisten Fällen vor allem die Waffe im Blick hat.

»Er war stämmig gebaut«, meinten die jungen Leute übereinstimmend, »und dürfte so um die einsachtzig gewesen sein. Er trug eine dunkelblaue oder schwarze Jacke, vielleicht einen Parka, und eine dunkle Hose.«

»Was für eine Kopfform hatte der Mann?«, fragte der Zeichner. »Eher dreieckig? Rund? Quadratisch? Ist hier auf den Fotos eine ähnliche Kopfform dabei?«

Nach einer halben Stunde zeigte der Zeichner den jungen Leuten das vorläufige Ergebnis seiner Arbeit und ließ sie über die Schulter gucken, während er zeichnete, damit sie laufend Korrekturen anbringen konnten.

»Wie hat seine Stirn ausgesehen? Und die Augen? Die Nase? Hatte er große Ohren? Wie war die Haarfarbe? Hatte er langes oder kurzes Haar?

Sind euch vielleicht irgendwelche Narben aufgefallen? Hat seine Nase ungefähr so ausgesehen wie auf meiner Zeichnung? Okay. Muss ich noch irgendetwas ändern? Stehen die Augen weit genug auseinander? Habe ich ihn alt genug gezeichnet?«

Anhand der Beschreibung der jungen Leute war ein Mann von weißer Hautfarbe mit rötlichem oder blondem Bürstenhaarschnitt herausgekommen, der fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt war und eine Brille trug.

Armstrong und Toschi beschlossen, die Zeichnung verteilen zu lassen, und sie schickten sie zuerst an alle Taxiunternehmen in der Stadt. Die Ermittler wollten die Fahrer warnen, dass eventuell eine Mordserie unter Taxifahrern drohte. Jedes Taxiunternehmen bekam etwa hundert Exemplare eines Rundschreibens, in dem die Methode des Täters beschrieben wurde:

Der Verdächtige nimmt um 21.30 Uhr ein Taxi in der Innenstadt und setzt sich vorne neben den Fahrer.
Er gibt als Fahrziel die Gegend um Laurel und Washington Street an, oder die Gegend um das Presidio. Als sie am Ziel ankommen, lässt der Verdächtige den Lenker mit vorgehaltener Waffe noch ein Stück weiterfahren, ehe er den Raub durchführt.
In einem Fall wurde das Opfer in den Kopf geschossen.
Die Waffe war eine 9-Millimeter-Automatik.

 

Armstrong und Toschi forderten alle Taxifahrer auf, es sofort zu melden, wenn sie jemanden sahen, der der Zeichnung ähnlich war. Was die beiden Detectives nicht wussten, war, dass es noch weitere Zeugen gab: die beiden Polizisten im Streifenwagen, die sogar mit dem Mörder gesprochen hatten und auf seine Angabe hin zu einer aussichtslosen Suche aufgebrochen waren.

 
 

1969 war der stets freundliche Toschi einer der herausragenden Kriminalpolizisten der Stadt. Er war so etwas wie der »Supercop« von San Francisco.

Toschi legte Wert auf modische Kleidung. Im Dienst trug er zumeist ein kurzärmeliges Seidenhemd, ein Cordsacko, Halbstiefel mit großen Schnallen und dazu sein Markenzeichen, eine auffällige Fliege. Auf der linken Seite trug Toschi seinen Schnellziehholster, der nach unten offen war und der mit Reservemagazin und Handschellen versehen war. Er verwendete eine Cobra Kaliber 38, einen Double/Single Action-Revolver, der etwas über ein Pfund wog und insgesamt über 17 Zentimeter lang war. Steve McQueen traf sich mit Toschi, bevor er im Jahr 1968 seinen Film »Bullitt« drehte, der in San Francisco spielte. McQueen verwendete ein Duplikat von Toschis Spezialholster und Pistole und ließ seine Filmfigur auch sonst einiges von dem italienischstämmigen Inspektor übernehmen.

Toschi war schlank und sportlich, hatte dunkle Augen, einen markanten Mund und lockiges schwarzes Haar. Er hatte es sich zwar zum Grundsatz gemacht, seine beruflichen Probleme nicht mit nach Hause zu nehmen, doch wenn ein Fall besonders schwierig war, fuhr er oft den Great Highway entlang oder spazierte nachts durch das Sunset-Viertel, in dem er wohnte.

Nach einem besonders harten Tag kam er oft heim zu seiner Frau Carol und seinen drei kleinen Töchtern und machte es sich in seinem großen braunen Ledersessel bequem, um eine Bigband-Platte aufzulegen, sehr oft Artie Shaws »Greatest Hits«, und dazu einen Manhattan zu trinken. Oft sang er zur Musik, wie er es auf der Galileo-Highschool und in seiner Zeit als Barkeeper in der California Street getan hatte. Als Teenager hatte er sich noch mit dem Gedanken getragen, Musiker zu werden.

Stattdessen war er Polizist geworden.

Toschis Partner war Bill Armstrong. Der groß gewachsene, gut aussehende Inspektor erinnerte äußerlich an Paul Drake aus der alten Perry-Mason-Serie. Er war damals vierzig Jahre alt, hatte kantige Gesichtszüge, kurz geschnittenes grau meliertes Haar und trug gelegentlich eine Brille. Mit den geschmackvollen, aber sehr nüchternen Anzügen, die er mit Vorliebe trug, bildete er einen markanten Kontrast zu dem auffälliger gekleideten, dunkleren und schlankeren Toschi. Armstrong war ebenfalls Vater von drei Töchtern und bemühte sich ebenfalls, Arbeit und Privatleben zu trennen.

In letzter Zeit war das jedoch oft schwer möglich gewesen.

 
 

Stines blutbefleckte Kleider wurden entfernt, mit Schildern zur Kennzeichnung versehen und unter eine Trockenlampe gelegt. Als sie gänzlich trocken waren, wurden sie übereinander gelegt, mit einer Lage Fettpapier zwischen den einzelnen Stücken, damit nichts von einem Stück auf das andere übergehen konnte. Die Kleider wurden detailliert auf einer Liste verzeichnet und für spätere Labortests aufbewahrt. Grundsätzlich wird kein Kleidungsstück weggeworfen, solange ein Fall nicht abgeschlossen ist. Auch eventuelle Gegenstände in den Taschen werden genau katalogisiert.

Die Leiche wird auf den Obduktionstisch gelegt, wobei die Schulterblätter auf einem Holzblock ruhen, sodass der Brustkorb hochgehoben wird und der Kopf nach unten geneigt ist. Von der Decke hängt ein Mikrofon herab, in das der Gerichtsmediziner während seiner Arbeit spricht, um jeden seiner Schritte festzuhalten und alle Wunden eingehend zu beschreiben.

Der Pathologe diktierte dem Gerichtsmediziner John Lee:

Der Tote war ein gut entwickelter, wohl genährter junger Mann von weißer Hautfarbe, etwa im angegebenen Alter. Der Kopf ist symmetrisch und mit schütterem dunklem Haar bedeckt, das ausgeprägte Geheimratsecken zeigt.
Auf der rechten Seite des Kopfes befindet sich eine große, unregelmäßig gezackte Wunde, offensichtlich das Eintrittsloch einer Pistolenkugel. Die Wunde liegt direkt vor dem oberen Teil des rechten Ohrs. Sie misst vertikal vier Zentimeter und horizontal zwei Zentimeter.
Die Haut ist unterhalb der Wunde über einen Bereich von zwei Zentimetern geschwärzt. Die Kugel ist bis zum linken Jochbogen vorgedrungen.

 

Der Bereich der Wunde wurde entfernt und unter dem Mikroskop auf Pulverrückstände hin untersucht. Der Pathologe machte sich Notizen auf schematischen Darstellungen eines männlichen Körpers aus verschiedenen Perspektiven.

Bei einer Obduktion wird ein Y-förmiger Schnitt in Brust und Unterleib vorgenommen. Dabei wird ein dreieckiger Teil des Brustkorbes entfernt. Wenn der Hals und Rachen des Toten untersucht ist, entfernt der Gerichtsmediziner Herz und Lunge, um sie zu untersuchen. Danach werden auch Nieren, Bauchspeicheldrüse, Leber, Milz und Magen-Darm-Trakt herausgenommen und seziert. Eine Blutprobe wird genommen und die Blutgruppe festgestellt. Schließlich werden auch noch die Genitalien untersucht.

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