Zodiac (14 page)

Read Zodiac Online

Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
4.72Mb size Format: txt, pdf, ePub

Die Partygäste, die sich mittlerweile um das Fenster drängten, sahen, dass der stämmige Mann irgendetwas mit dem Taxifahrer machte, sie konnten aber nicht genau erkennen, was. Schließlich ging die Tür an der Beifahrerseite auf, und der untersetzte Mann stieg aus dem Wagen.

Er ging um das Taxi herum und begann nun mit einem Lappen über die Tür an der Fahrerseite zu wischen. Nachdem er auch den Türgriff und den Rückspiegel gesäubert hatte, öffnete er die Tür, beugte sich vor und wischte noch einmal über das Armaturenbrett. Dann schloss er die Autotür wieder und ging weg.

Als er um die Ecke bog, verloren ihn die Teenager aus dem Blick. Er wandte sich nordwärts, in Richtung Presidio-Park, einem großen ehemaligen Militärgelände, und ging zügig geradeaus, rannte aber nicht.

Die Partygäste hatten inzwischen die Polizei angerufen. Um 21.58 Uhr erhielt der Beamte am Telefon die Meldung von dem Verbrechen, das allem Anschein nach stattgefunden hatte.

Der Polizist fragte den jungen Anrufer, der sehr mitgenommen wirkte, nach dem Aussehen des Täters, und an diesem Punkt passierte ein verhängnisvoller Fehler; irgendwie kam die Beschreibung zustande, dass der Mann ein erwachsener Schwarzer gewesen sei.

»In welcher Richtung ging der Mann weg? War er bewaffnet?«, fragte der Polizist weiter.

Nachdem er alle wichtigen Details notiert hatte, gab er den Zettel an einen Kollegen weiter, der rasch auf einem großen Stadtplan von San Francisco nachsah und dann einen Rundruf an alle Polizeieinheiten und Streifenwagen durchgab.

»Es ist Vorsicht geboten«, fügte er hinzu.

Ein Streifenwagen war gerade in der Nähe der Ecke Cherry und Washington Street unterwegs und fuhr sofort zum Tatort. Der Polizeiwagen war um genau zehn Uhr an der Ecke Jackson und Cherry und sah einen stämmigen Mann, der im Nebel in Richtung Presidio trottete.

Die beiden Streifenpolizisten Donald Foukes und Eric Zelms, die nach einem Schwarzen suchten, fragten aus dem Auto den untersetzten Mann, der auf der anderen Straßenseite ging, ob er in den letzten Minuten irgendetwas Ungewöhnliches gesehen habe. Der Fußgänger rief zurück, dass er einen Mann mit einer Pistole in der Hand gesehen hätte, der auf der Washington Street nach Osten gelaufen wäre, worauf der Streifenwagen sofort in die angegebene Richtung fuhr.

Hätten die Polizisten den stämmigen Mann angehalten, um mit ihm zu sprechen, so hätten sie wohl gesehen, dass er voller Blut war. Die Flecken waren auf den dunklen Kleidern jedoch nur aus nächster Nähe zu erkennen. Aufgrund der fehlerhaften Beschreibung hatten die Beamten jedoch keinen Grund, nach einem Weißen zu suchen. Falls sie den stämmigen Mann aber zu sich gerufen hätten, um ihm ein paar Fragen zu stellen, so hätte er sie möglicherweise beide erschossen; der Mörder hätte den Vorteil gehabt, dass er seine Pistole gut verborgen in der rechten Hand hielt. Die Streifenpolizisten hatten den Mann deutlich im Profil gesehen, doch es sollte einige Zeit vergehen, bis ihnen bewusst wurde, dass sie mit Stines Mörder gesprochen hatten und ganz nahe daran gewesen waren, ihn zu fassen. Von diesem Tag an war der unbekannte stämmige Mann offenbar besessen von dem Drang, der Polizei von San Francisco eins auszuwischen.

Der Mann blieb in der kühlen nächtlichen Luft stehen. Anstatt sofort zu seinem Wagen zu eilen, betrat er zuerst das bewaldete Gelände des weitläufigen Presidio-Parks und ging zum Julius-Kahn-Spielplatz, von wo aus er an einer Steinmauer entlang zu seinem Auto zurück schlich.

Um 22.55 Uhr trafen auf den Alarm hin die Officers Armand Pelissetti und Frank Peda am Tatort ein, zeitgleich mit Walter Kracke, einem Inspektor der Mordkommission, der sich gerade auf dem Heimweg befunden hatte. Beide Autos hielten hinter dem Taxi an. Die Männer sprangen aus ihren Wagen und sahen Paul Stine mit einem Kopfschuss auf der Beifahrerseite des Wagens liegen.

Als Kracke die Wagentür öffnete, fiel die linke Hand des Fahrers, mit der Handfläche nach oben, heraus und berührte beinahe die Straße. Der Detective sah, dass der Täter darauf verzichtet hatte, dem Opfer seine teure Timex-Uhr abzunehmen. Auch Stines College-Ring schien den Täter nicht interessiert zu haben.

Das Taxameter lief immer noch. Der Autoschlüssel war jedoch nirgends zu sehen.

Die Officers riefen einen Krankenwagen und gaben die korrigierte Beschreibung des Mörders durch, nachdem die Jugendlichen den Irrtum inzwischen aufgeklärt hatten. Wenig später erschienen weitere Polizeiwagen am Tatort.

Der Krankenwagen traf um 22.10 Uhr ein; die Sanitäter konnten jedoch nur noch Stines Tod feststellen. Kracke hatte mittlerweile jede verfügbare Einheit angefordert und auch ein Scheinwerferfahrzeug der Feuerwehr verlangt, um den Tatort beleuchten zu können. Dann verständigte er den Gerichtsmediziner von San Francisco. Nachdem Inspektor Kracke von Anfang an über Funk mitbekommen hatte, worum es ging, konnte er mithilfe der beiden Cops von der Polizeiwache Richmond dafür sorgen, dass nichts am Tatort verändert wurde, bis die zuständigen Ermittlungsbeamten eintrafen.

Um 22.20 Uhr bekam die Mordkommission, die mit dem Fall betraut werden sollte, einen Anruf.

 
 

Inspektor Dave Toschi von der Mordkommission war körperlich und geistig erschöpft. Als er um acht Uhr nach Hause gekommen war, hatte er sich unverzüglich zu Bett begeben. Um 22.30 Uhr klingelte jedoch schon wieder sein Telefon.

Toschi hob ab und hörte die Stimme eines Polizisten aus der Hall of Justice, dem Polizeihauptquartier.

»Dave, ein Taxifahrer wurde erschossen und wahrscheinlich ausgeraubt«, meldete der Mann.

»Wo?«, brummte Toschi.

»In der Washington Street«, antwortete der Officer, »zwischen Maple und Cherry, näher bei Cherry.«

»Was zum Teufel ist bloß los?«, dachte Toschi. Dies war jetzt schon sein vierter Mordfall seit dem siebten Oktober. Er war gerade erst von einem Mord nach Hause gekommen, nachdem jemand zu Tode geprügelt worden war. »Mein Gott, vier Morde in vier Tagen!«

Der Detective griff nach seinem Notizblock und notierte Datum und Uhrzeit der Meldung sowie den Namen des Officers, der ihn angerufen hatte.

Dann rief Toschi seinen Partner Bill Armstrong an und teilte ihm mit, dass er ihn in zehn Minuten abholen würde. Da fiel dem Inspektor noch etwas ein und er rief in der Zentrale an. »Heute ist Samstagabend, da kommen sicher jede Menge Leute am Tatort vorbei. Sorgen Sie dafür, dass dort möglichst nichts verändert wird. Sagen Sie unseren Jungs vor Ort, dass sie die Leute vom Taxi fern halten sollen. Es darf auf keinen Fall irgendjemand den Wagen berühren.«

Toschi rief im kriminaltechnischen Labor an und ging noch rasch ins Badezimmer, um sich kurz mit den Händen durch das lockige schwarze Haar zu streichen und sich die Zähne zu putzen. Dann zog er Hemd, Hose, Cordsamtjacke und einen Wettermantel an. Es war kalt draußen, und es kam nicht selten vor, dass er zwei Tage nicht nach Hause kam. Die Inspektoren arbeiten in acht Zwei-Mann-Teams, die sich abwechselten. Das Team, das gerade Bereitschaftsdienst hat, ist für alle Morde zuständig, die in seiner Woche passieren, und arbeitet in den folgenden sieben Wochen an diesen Fällen.

Toschi stürzte noch schnell eine Tasse lauwarmen Instantkaffee hinunter, gab seiner Frau Carol einen flüchtigen Abschiedskuss und ging hinaus. Sie war längst daran gewöhnt, dass jederzeit ein Anruf kommen konnte und er unverzüglich wegmusste.

Er fuhr mit dem Familienwagen, einem roten Borgward, aus der Garage und kam wenige Minuten später zu der Ecke, an der sein Partner bereits im schwarzen Regenmantel auf ihn wartete. Armstrong stieg zu ihm in den Wagen, und Toschi fuhr weiter zum Tatort. Unterwegs rief er bei der Militärpolizei an, um ihre Hilfe bei der Suche nach dem Täter in Anspruch zu nehmen. Die beiden Inspektoren kamen um 23.10 Uhr am Tatort an, wo bereits einiges Gedränge herrschte - zeitgleich mit der Militärpolizei und rund drei Minuten nach dem Gerichtsmediziner. Rote Lichter, blaue Blinklichter, starke Bogenlampen und grelle Scheinwerfer erhellten die Washington Street wie die Sonne an einem strahlenden Sommertag. Mehrere hundert Leute waren bereits zusammengeströmt, als die Detectives den Wagen gegenüber dem Taxi abstellten, direkt unter dem Fenster, aus dem die Teenager das Geschehen mitverfolgt hatten. Toschi war froh, dass er in der Zentrale angerufen hatte, um sicherzustellen, dass die Leute sich vom Taxi fern hielten. Doch während sie dafür sorgten, dass die neugierige Menge im Zaum gehalten wurde, mussten Toschi und Armstrong auch darauf achten, nicht eventuelle Zeugen zu verscheuchen oder selbst wichtiges Beweismaterial zu berühren.

Ein Streifenpolizist berichtete ihnen im Detail, was geschehen war. Die beiden Ermittler gingen davon aus, dass sie es mit einem der vielen Überfälle auf ein Taxi zu tun hatten, die in San Francisco gemeldet wurden - mit der Besonderheit, dass sich der Täter ziemlich ungeschickt angestellt haben musste, denn der Raub war offensichtlich missglückt.

Toschi und Armstrong kamen zu dem Schluss, dass der Täter kein Profi sein konnte, nachdem er ein Blutbad angerichtet, aber kaum Beute gemacht hatte. Aus der Fahrtenliste konnten sie schließen, dass Stine höchstens zwanzig oder fünfundzwanzig Dollar bei sich gehabt hatte. Der Mörder hatte Stines Geldbörse mitgenommen.

Toschi nahm sein Notizbuch zur Hand und notierte sich eine genaue Beschreibung des Toten und des gesamten Tatorts. Der Mörder hatte nicht nur Stines Uhr und einen Ring übersehen, sondern auch ein Scheckbuch. Der Tote hatte genau vier Dollar und zwölf Cent in der Hosentasche.

Das Innere des Wagens war voller Blut.

Während Armstrong die Namen und Adressen der Zeugen aufnahm, sah sich Toschi den Toten genauer an. Er überprüfte, ob die Kleider zerrissen waren, ob das Blut frisch oder schon eingetrocknet war und ob irgendwelche Waffen im Auto herumlagen. »Stine muss stark geblutet haben«, notierte Toschi angesichts des blutverschmierten Wagens.

Unterdessen hatte Armstrong die uniformierten Polizisten angewiesen, sich in der Gegend umzuhören, ob vielleicht irgendjemand, der hier wohnte, etwas gesehen oder gehört hatte. Auch wenn die beiden Inspektoren getrennt arbeiteten, wussten sie doch stets, was der andere tat, sodass es nie vorkam, dass irgendeine Arbeit doppelt durchgeführt wurde. Gewöhnlich bleibt einer beim Toten - in diesem Fall Toschi. Der Detective war der Überzeugung, dass die Leiche einem fast alles verrät, was man wissen muss, um einen Fall zu lösen.

Toschi fertigte eine rasche Skizze vom Tatort an, in der er nicht nur das Taxi mit dem Toten, sondern auch die umgebenden Gebäude festhielt. Selbst Fotografien, die aus allen möglichen Perspektiven aufgenommen werden, können die Position der Leiche in Bezug auf ihre Umgebung bisweilen verzerrt wiedergeben - deshalb führte er genaue Messungen durch, deren Ergebnisse er in die Skizze eintrug.

Als der Assistent des Gerichtsmediziners den Toten aus dem Taxi zog, fiel der blutbefleckte Stadtplan des Taxifahrers aus dem Wagen. Der Tote wurde in einen grünschwarzen Leichensack mit einem langen Reißverschluss gelegt und zu einer Bahre getragen. Unterdessen wurden weitere Fotos von der Stelle angefertigt, an der Stine im Wagen gelegen hatte.

Toschi beugte sich vor und fand nach wenigen Augenblicken, was er suchte: eine 9-Millimeter-Patronenhülse. In der Ecke des Beifahrersitzes sah der Detective drei Streifen, bei denen es sich möglicherweise um blutige Fingerabdrücke handelte. Nachdem Stine mit den Handflächen nach oben auf die Beifahrerseite gefallen war, nahm Toschi an, dass die Abdrücke vom Täter stammen konnten.

Um 23.30 Uhr meldeten sich zwei der besten Männer des kriminaltechnischen Labors, Bob Dagitz und Bill Kirkindal, die vor allem Experten für Fingerabdrücke waren. Die beiden Männer suchten nun das Innere von Stines Taxi nach latenten Abdrücken ab, die der Mörder möglicherweise hinterlassen hatte.

So genannte latente Abdrücke entstehen durch Schweiß, der aus den Poren der Finger austritt, oder durch Talg, der von den Talgdrüsen der Haut abgesondert wird. Wenn der Betreffende nicht vorher mit Fett oder Schmutz in Kontakt gekommen ist, sind diese Abdrücke unsichtbar und müssen erst entwickelt werden, indem man sie mit grauem oder schwarzem Pulver bestäubt. Sobald ein Abdruck zu sehen ist, kann er mithilfe von Klebefolie abgezogen und gesichert werden.

Die Männer markierten Stellen mit eventuellen latenten Abdrücken, maßen ihre Abstände von Boden und Dach und ließen die Stellen fotografieren. Später würde man Fingerabdrücke von allen Fahrgästen des vergangenen Tages nehmen müssen, um sie mit den Abdrücken im Wagen vergleichen zu können. Die meisten Abdrücke würden nur bruchstückhaft vorhanden oder von anderen überlagert sein. Natürlich brauchte man auch die Abdrücke des Toten, die man wahrscheinlich vom Taxiunternehmen bekommen konnte. Darüber hinaus mussten die Hände des Opfers eingehend nach etwaigen Schnitten, Rissen oder abgebrochenen Fingernägeln untersucht werden. Besonderes Augenmerk würde man auch den Haaren des Toten schenken müssen.

Toschi hatte zwei lange dunkle Flecken auf Stines linker Hand bemerkt. Möglicherweise hatte er die Hand hochgerissen, um sich zu schützen.

Die beiden Experten aus dem kriminaltechnischen Labor entdeckten schließlich einen besonders wichtigen Hinweis: die blutigen Abdrücke einer rechten Hand. Diese Information musste jedoch streng vertraulich behandelt werden.

Der Gerichtsmediziner gab die Leiche zum Abtransport ins Leichenschauhaus frei, und die Deputies Schultz und Kindred trugen die Bahre mit dem Toten weg.

Armstrong und Toschi hatten von den jungen Zeugen im Haus gegenüber nur eine recht vage Beschreibung des Täters bekommen, sodass sie ihre Suche nun ausdehnen mussten. »Durchkämmt die Gegend«, wies Toschi seine Leute an, »und sucht nach jemandem, auf den die folgende Beschreibung passt: dunkle Jacke, Bürstenhaarschnitt, stämmige, kräftige Statur …«

Mehrere Einheiten mit Hunden begannen die Gegend nach jemandem abzusuchen, der sich vielleicht bei einem Gebäude, zwischen Bäumen oder im Gebüsch versteckt haben mochte.

Toschi und Armstrong hatten eingehend nach weiteren Patronenhülsen oder Einschüssen gesucht, ohne jedoch etwas zu finden. Die gefundene Hülse wurde mit äußerster Vorsicht behandelt, um sie nicht zu beschädigen. Sichergestellte Kugeln werden stets an der Vorderseite markiert, nie seitlich, damit die vom Lauf der Waffe stammenden Kratzspuren unverändert bleiben. Eine sorgfältige Spurensicherung nach dem Verbrechen ist von allergrößter Bedeutung, damit die sichergestellten Indizien später als aussagekräftige Beweismittel herangezogen werden können. Das kriminaltechnische Labor würde die tödliche Kugel ebenso brauchen wie die Kleider des Opfers, sofern sie mit Schmauchspuren versehen waren, und natürlich, wenn möglich, auch die Tatwaffe.

Other books

Devil's Paw (Imp Book 4) by Dunbar, Debra
A Shameful Consequence by Carol Marinelli
Lizard World by Terry Richard Bazes
The Lies You Tell by Jamila Allen
Dear to Me by Wanda E. Brunstetter
Lost by M. Lathan
Night Fire by Catherine Coulter
Hollow Sea by James Hanley