Gegenüber der Presse bezeichnete er Zodiac als Lügner. »Es kann nicht stimmen, dass er noch in der Gegend war, als wir sie absuchten«, beharrte er. »Wir hatten die gesamte Gegend mit Scheinwerfern ausgeleuchtet. Wir hatten sieben Polizeihunde und eine große Anzahl von Streifenpolizisten im Einsatz, die jeden Baum und jeden Busch abgesucht haben: Nicht einmal eine Maus hätte uns entwischen können. Die Tatsache, dass Zodiac die Hunde und die Scheinwerfer nicht erwähnt hat, beweist, dass er nicht dort war.«
Daraufhin bekam die Polizei von San Francisco per Post und Telefon an die tausend Hinweise von beunruhigten Bürgern, die zu wissen glaubten, wer sich hinter dem Zodiac-Killer verbarg. Und so machte man sich an die Überprüfung der »verdächtigen« Personen, bei denen es sich um Nachbarn, Arbeitskollegen oder Exmänner der Anrufer handelte. Lee verdreifachte die Zahl der Beamten, die diese Anrufe entgegennahmen.
Wade Bird, der Polizeihauptmann von Vallejo, der bereits seit Juli nach dem Mörder suchte, hatte seine eigene Theorie. »Ich glaube, wir haben es mit einem Genie zu tun, das irgendwann übergeschnappt ist. Wir können nicht wissen, ob der Mann hier in der Gegend lebt oder nicht. Während des Krieges waren hunderte, nein, tausende hier stationiert gewesen, die die Gegend gut kennen gelernt haben und dann wieder weggezogen sind. Immerhin weiß der Mann über die abgeschiedenen Plätzchen Bescheid. Manche glauben, dass er ein Pendler ist, dass er diese Morde verübt und hinterher Briefe darüber von der Arbeit in San Francisco schickt. Ich bin da anderer Ansicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch mit einer solchen Störung einer geregelten Arbeit nachgeht. Dazu ist er gar nicht mehr in der Lage.«
Dr. Leonti Thompson, ein Psychiater aus Napa, vertrat die These, dass »manche Psychotiker töten, um sich ihre eigene Hilflosigkeit nicht eingestehen zu müssen. Die Psychose ist nichts anderes als die allmähliche Auslöschung des eigenen Ich, und damit ein schrecklicher Verlust des Bildes von sich selbst. Der Betroffene flüchtet sich in eine aggressive Aktivität und fällt dann wieder in seine Verzweiflung. Der Psychotiker vom Typ des paranoiden Schizophrenen kann sein Inneres im Umgang mit der Welt für gewöhnlich gut verbergen. Solche Leute können meist relativ gut mit der Außenwelt umgehen, während sie jedoch ihr ganz persönliches Bild von der Welt, wie sie in ihren Augen wirklich ist, mit sich herumtragen.«
In Napa bekam Undersheriff Tom Johnson hunderte von Hinweisen, unter denen sich jedoch kein ernsthaft Verdächtiger war. »Es gibt niemanden, den wir mit mehr Nachdruck suchen als Zodiac«, versicherte Johnson. »Wir werden nicht nachlassen; er steht für uns ganz oben auf der Liste.«
Und doch lag die Angst in der Luft, dass Zodiac erneut zuschlagen könnte. Und das schon sehr bald.
Sonntag, 19. Oktober 1969
Der kalifornische Justizminister Thomas C. Lynch ersuchte den Zodiac-Killer in einem öffentlichen Aufruf, sich zu stellen. Gleichzeitig berief er eine Zodiac-Konferenz für alle betroffenen Polizeidienststellen ein, damit sie Informationen über die bisherigen Morde austauschen konnten.
»Wir werden dafür sorgen, dass er Hilfe bekommt und dass seine Rechte gewahrt werden«, betonte Lynch in seinem Aufruf. »Er ist offensichtlich ein intelligenter Mensch. Deshalb wird er wohl wissen, dass er früher oder später gefasst werden wird - und darum wäre es besser, sich gleich zu stellen, bevor die Tragödie noch größere Ausmaße annimmt.«
Die Bitte blieb jedoch ohne Antwort.
Der
Examiner
verfasste seinen eigenen Aufruf an den Killer. Die Botschaft wurde ganz oben auf der Titelseite abgedruckt:
Fünf Menschen sind tot. Wir appellieren an Sie, dass es keine weiteren Opfer geben soll. Die Polizei meint, dass Sie ein intelligenter Mensch sind. Wenn dies so ist, dann hören Sie bitte auf die Stimme der Vernunft. Sie werden im ganzen Land gesucht. Sie stehen völlig allein da. Sie können Ihre Geheimnisse mit niemandem teilen. Kein Freund kann Ihnen helfen.
Sie sind ebenso ein Opfer Ihrer Verbrechen wie diejenigen, denen Sie das Leben genommen haben. Sie können sich nicht mehr frei auf der Straße bewegen. Es gibt keinen Ort mehr, an dem Sie noch sicher wären. Und Sie werden gefasst werden, daran besteht kein Zweifel. Sie führen Ihr Leben wie ein gehetztes Tier - es sei denn, Sie beenden das alles ein für alle Mal. Wir bitten Sie, sich zu stellen und sich an uns, den
Examiner
, zu wenden.
Wir bieten Ihnen keinen Schutz und kein Mitgefühl. Was wir Ihnen aber bieten können, ist eine faire Behandlung, ärztliche Hilfe sowie die Rechte, die das Gesetz Ihnen zusichert.
Und wir bieten Ihnen an, Ihre Geschichte zu erzählen.
Warum haben Sie getötet? Was hat das Leben Ihnen angetan? Rufen Sie in der Stadtredaktion des
Examiner
an, wir sind rund um die Uhr für Sie erreichbar.
Die Telefonnummer lautet (415) 781-2424. Sie können es als R-Gespräch anmelden.
Ihr Anruf wird nicht zurückverfolgt.
Zodiac ignorierte nicht nur diesen Aufruf, sondern schickte auch nie wieder einen Brief an den
Examiner
. Offensichtlich empfand er den Aufruf als Beleidigung.
Montag, 20. Oktober 1969
Neun Tage nach dem Mord an Paul Stine wurde in der Hall of Justice in San Francisco eine Zodiac-Konferenz abgehalten. Armstrong und Toschi nahmen ebenso teil wie die zuständigen Ermittlungsbeamten der Sheriff-Büros und Polizeidienststellen von Napa, Solano, Benicia, Vallejo, San Mateo und Marin. Darüber hinaus waren auch FBI, Naval Intelligence, U. S. Postal Inspectors, Highway-Polizei sowie das Bureau of Criminal Identification and Investigation (CI&I) vertreten. Das CI&I schickte seine Schriftsachverständigen und sorgte dafür, dass das kriminaltechnische Labor in Sacramento benutzt werden konnte. Justizminister Lynch befand sich immer noch in Colorado, wo er an einer Tagung der Justizminister der westlichen Bundesstaaten teilnahm, und ließ sich von seinem Stellvertreter Arlo Smith vertreten.
Ganz vorne im Raum stand eine große Tafel, auf die man mit weißer Kreide einen Kreis mit einem Kreuz, das Symbol des Zodiac, gemalt hatte. Ein Tatort nach dem anderen wurde skizziert und wieder gelöscht, während die Ermittlungsbeamten die spärlichen Informationen austauschten, die sie besaßen.
Die halbautomatische 9-Millimeter-Pistole, mit der Zodiac den Taxifahrer ermordet hatte, war eine relativ seltene Waffe; in den letzten drei Jahren waren in der Bay Area nur 143 Pistolen dieses Typs verkauft worden. Toschi vermutete, dass es sich bei dieser 9-Millimeter-Waffe um ein neues Browning-Modell handelte und dass es nicht dieselbe Pistole war wie bei den früheren Morden.
Bis zu dem Brief an den
Chronicle
war Toschi davon ausgegangen, dass er es mit einem Raubüberfall auf einen Taxifahrer zu tun hatte - also einem Vorfall, wie er in einer großen Stadt leider recht häufig vorkam. Wahrscheinlich war es auch die Absicht des Mörders gewesen, die Polizei genau das glauben zu lassen. Natürlich bestand aber auch die Möglichkeit, dass Stine aus einem ganz bestimmten Grund ausgewählt worden war.
Ein solcher Mord an einem Taxifahrer in seinem Wagen stellt selbst für ein erfahrenes Team, wie es Toschi und Armstrong war, eine besonders schwierige Aufgabe dar. Der Killer lässt den Chauffeur für gewöhnlich an irgendeinen abgelegenen Ort fahren. Die meisten Morde dieser Art werden durch Kopfschuss verübt, indem der Täter dem Opfer die Waffe direkt an den Kopf ansetzt, sodass nicht einmal der Schuss zu hören ist.
Toschi wusste aus Erfahrung, dass man in solchen Fällen kaum Beweismaterial im Taxi findet. Gewöhnlich berührt der Mörder im Wagen nichts anderes als den inneren Türgriff, wenn er einsteigt oder den Wagen wieder verlässt. Man bekommt zumeist nur verwischte Fingerabdrücke, die völlig unbrauchbar sind.
Es kann aber auch das genaue Gegenteil eintreten - dass man nämlich gleich mehrere verschiedene Fingerabdrücke vorfindet, die von vorhergehenden Fahrgästen oder von Mitarbeitern des Taxiunternehmens stammen.
»Beim Mord an einem Taxifahrer«, verriet mir Toschi, »hat man entweder haufenweise Hinweise oder gar keine. Bei einem Mord in einem Lebensmittelladen nimmt der Verdächtige zumindest eine Dose Cola oder Bier oder eine Schachtel Kekse in die Hand, auf der oft seine Fingerabdrücke zurückbleiben. Und wenn der Täter dann die Kasse ausräumt, kann es sein, dass er auch dort einige schöne Abdrücke hinterlässt. Beim Mord an einem Taxifahrer sind solche handfesten Beweismittel höchst selten. In einem solchen Fall hilft nur harte Arbeit … und Glück«, fügte Toschi hinzu.
In Vallejo fragte ich später Detective Sergeant Mulanax, der den Ferrin-Fall übernommen hatte, nach seiner Meinung über den Fingerabdruck im Taxi.
»Okay, sie haben einen latenten Abdruck«, meinte Mulanax. »Aber meiner Ansicht nach ist es sehr zweifelhaft, ob es sich um einen Abdruck von Zodiac handelt. Wenn man in einem Taxi einen Fingerabdruck findet, heißt das noch lange nicht, dass er vom Mörder stammt.«
Die Laboruntersuchung ergab, dass nur ein einziger Schuss in Stines Taxi abgefeuert worden war. Außer der einen 9-Millimeter-Patronenhülse neben der Leiche wurden keine weiteren Einschusslöcher oder Kugeln gefunden.
Von Stines Vorgesetzten und Kollegen erfuhr Toschi, dass der Fahrer das eingenommene Geld entweder in der Brieftasche oder in der Hosentasche aufbewahrte. Stines Frau gab an, dass er höchstens drei oder vier Dollar bei sich hatte, als er von zu Hause wegging. Normalerweise trennte er erst nach der Arbeit das Trinkgeld von den regulären Einnahmen.
Captain Lee hatte dafür gesorgt, dass nur professionelle Vertreter der Exekutive an der Konferenz teilnahmen. Er hatte ganz bewusst darauf verzichtet, Psychologen, Astrologen oder Mystiker einzuladen.
»Ich könnte nicht sagen, dass wir der Lösung des Falles irgendwie näher gekommen wären«, räumte er am Ende des dreistündigen Informationsaustausches ein.
Immerhin waren die teilnehmenden Ermittlungsbeamten zu der Erkenntnis gelangt, dass alle Morde an einem Wochenende verübt worden waren.
Was nun folgte, war die mühsame Befragung von Waffenhändlern in ganz Kalifornien. Man hoffte unter anderem, mithilfe der Handschrift des Mörders zum Ziel zu gelangen, indem man die Zodiac-Briefe mit den Unterschriften auf den Registrierungsformularen verglich. Anfang des Jahres war ein neues Waffengesetz in Kraft getreten, doch bis dahin hatte man viele ausländische Modelle über Dutzende von Anbietern beziehen können, die ihre Waren in Männermagazinen bewarben. Vielleicht hatte Zodiac gute Gründe dafür, eine Waffe nur einmal zu verwenden.
Inzwischen waren in den Schulbussen in Napa weiterhin bewaffnete Wächter, Freiwillige, Lehrer und Feuerwehrleute unterwegs, um die Kinder zu beschützen.
Mittwoch, 22. Oktober 1969
Um zwei Uhr nachts klingelte im Police Department von Oakland das Telefon. Der Beamte, der den Anruf entgegennahm, erschrak, als sich eine männliche Stimme mit den Worten meldete: »Hier spricht der Zodiac. Ich möchte, dass Sie eine Nachricht an F. Lee Bailey weitergeben … Wenn er verhindert sein sollte, bin ich auch mit Mel Belli zufrieden … Ich will, dass einer der beiden in der Channel Seven Talkshow auftritt. Ich melde mich dann dort telefonisch.«
Die genannten Personen waren beide absolute Staranwälte. F. Lee Bailey hatte immerhin den »Würger von Boston« verteidigt, während der redegewandte Melvin Belli in einer Welt von Glamour und Reichtum zu Hause war. Die Verantwortlichen in Oakland setzten sich sofort mit Marty Lee in Verbindung, der wiederum Toschi und Armstrong verständigte. Zwei Stunden später rief Lee im Penthouse von Melvin Belli in der Montgomery Street an. Belli erklärte sich sofort bereit, in der Sendung aufzutreten. Man wandte sich an den Moderator Jim Dunbar, um mit ihm den Auftritt des Anwalts abzusprechen. Die Zuseher der Sendung konnten anrufen und ihre Meinung zum jeweiligen Thema kundtun, doch an diesem Morgen bat der Moderator die Zuseher, die Leitungen frei zu lassen, damit der Mörder Belli erreichen konnte.
Die Sendung begann gewöhnlich um sieben Uhr morgens, doch an diesem Tag startete man schon eine halbe Stunde früher. Belli und Dunbar saßen einander gegenüber und plauderten eine Weile. Ich verfolgte die Sendung so wie tausende andere und fragte mich, ob ich endlich die Stimme des Zodiac-Killers zu hören bekommen würde. Um 7.10 Uhr klingelte schließlich das Telefon.
Der Anruf kam mitten in einer Werbeunterbrechung, und der Anrufer legte schon nach wenigen Worten wieder auf. Der Mann hatte eine zögernde, schleppende Stimme.
Der nächste Anruf kam um 7.20 Uhr.
Ich möchte das folgende Gespräch hier wortgetreu wiedergeben.
Der Staranwalt war ganz in seinem Element und bat den Zodiac sogleich, sich mit einem weniger mysteriösen Namen vorzustellen.
»Sam«, sagte die recht junge Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Wie und wo können wir uns treffen?«, fragte Belli, ohne zu zögern.
»Auf dem Dach des Fairmont Hotels«, antwortete der Anrufer und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Allein, sonst springe ich!«
Sam legte auf, rief aber gleich wieder an, um das Gespräch fortzusetzen, das mit vielen Unterbrechungen insgesamt über zwei Stunden dauerte. Zwölf Anrufe waren in der Sendung zu hören, doch insgesamt rief »Sam« nicht weniger als fünfunddreißig Mal an. Der längste Gesprächsabschnitt dauerte neun Minuten.
»Glauben Sie, dass Sie ärztliche Hilfe brauchen?«, fragte Belli.
»Ja«, antwortete Sam. »Ich brauche einen Arzt, aber keinen Psychiater.«
»Haben Sie gesundheitliche Probleme?«
»Ich bin krank«, verriet Sam. »Ich habe ständig Kopfschmerzen.«
»Das habe ich auch, aber ich habe mir gerade vor einer Woche von einem Chiropraktiker helfen lassen. Seitdem geht es mir viel besser. Ich glaube, ich kann da etwas für Sie tun. Sie müssen mit niemandem außer mir sprechen.«
Sam legte wieder auf; er fürchtete offensichtlich, dass sein Anruf zurückverfolgt werden könnte.
Lee, der die Sendung von seinem Büro aus verfolgte, sagte: »Wir brauchen gar nicht zu versuchen, den Anruf zurückzuverfolgen. Das ist eine langwierige Sache; bei so kurzen Anrufen können wir sowieso nichts ausrichten.«