Zodiac (35 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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Am Samstag um 15.10 Uhr kam DeAmicis zu Toschi nach Hause und teilte ihm mit, dass Gain beschlossen hatte, auf eine formelle Anklage vor der Kommission zu verzichten und die Sache mit Toschis Versetzung aus der Welt zu schaffen, die mit kommendem Montag in Kraft treten würde. In einer Pressemitteilung sollte verlautbart werden, dass Dave vor zwei Jahren drei Briefe unter falschem Namen an Maupin geschickt habe. »Warum muss es eine Pressemitteilung geben, nur weil ich versetzt werde?«, fragte Toschi.

Der
Chronicle
-Kolumnist Warren Hinckle, der schillernde Sensationsreporter mit der Augenklappe, schrieb: »Ein ehrgeiziger Schreiber und sein PR-Gehilfe haben in Polizeikreisen und in den Medien einigen Staub aufgewirbelt (…) Maupin hat sich diese Woche einen Namen gemacht - auf Kosten von Dave Toschi, einem anständigen Cop, der eine Schwäche dafür hat, seinen Namen in der Zeitung zu lesen (…) Die ganze Sache war ein abgekartetes Spiel, mit dem Ziel, den Ruf eines Mannes durch gezielte Andeutungen und Behauptungen zu ruinieren. Polizeichef Charles Gain hat mitgespielt und mit einer Pressemitteilung dafür gesorgt, dass die Medien dem Inspektor nun genüsslich den Prozess machen können, bevor Handschriftenexperten die Sache überprüfen und die Wahrheit herausfinden können.«

Toschi sagte gegenüber dem
Examiner
, dass »ich durch die Sache mit den drei Briefen, die ich geschrieben habe, für alle von vornherein schuldig bin, auch die Zodiac-Briefe gefälscht zu haben. Jemand hat mir gegenüber die Vermutung geäußert, dass Maupin und Maley die Einzigen sind, die etwas von der ganzen Sache haben, und dass sie deshalb die Behauptung aufgestellt hätten, um für Maupins Artikel und sein Buch Werbung zu machen.

Das muss man sich mal vorstellen: Ein freier Journalist und sein PR-Mann behaupten irgendetwas über »eine Übereinstimmung« mit einem Zodiac-Brief - und fünfundzwanzig Jahre harter Arbeit sind plötzlich wertlos geworden! Darf es denn sein, dass ein Mensch ruiniert wird, nur weil jemand eine vage Behauptung über den Ton in einem Brief aufstellt? Aber wie es aussieht, kommt man mit so was leider durch!«

Ich sah mir meine Aufzeichnungen über Toschis Karriere an. Der Mann war einmal ins Meer gesprungen und hatte eine Frau herausgezogen, er hatte 1953 drei Leute vor Gasdämpfen in Sicherheit gebracht, hatte 1956 einem Barkeeper nach einer Messerattacke mit rascher erster Hilfe das Leben gerettet, hatte einen wütenden Angestellten entwaffnet und einen Mordfall in Reno in nicht einmal drei Stunden gelöst. Einmal war Toschi durch zwei Schüsse mit einer Schrotflinte aus einem Fenster fast getötet worden, was ihn nicht daran hinderte, die Treppe hinaufzustürmen, die Tür einzutreten und zwei Jugendliche festzunehmen.

Als Toschi noch einmal in sein altes Büro kam, um seinen Schreibtisch auszuräumen, erfuhr er, dass sie sein Adressbuch beschlagnahmt hatten, um seine Handschrift zu überprüfen. City Supervisor Dianne Feinstein meinte nach einem Besuch bei Toschi, der zu Hause ärztliche Betreuung erhielt: »Es ist einfach empörend. Dieser Mann wird vom Department völlig unschuldig gekreuzigt. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand so wie jetzt er ohne irgendwelche handfesten Beweise fertig gemacht wird.« Eine Woche nach Toschis Versetzung verkündete Gain, dass Toschi den Zodiac-Brief nicht geschrieben habe, dass er aber seiner Einschätzung nach auch nicht vom Zodiac-Killer stamme. Er hielt jedoch den Exorzist-Brief von 1974 für echt.

Morrill und DeGarmo hatten den Eindruck, dass Gain mit seinem Verhalten die künftigen Ermittlungen im Zodiac-Fall sabotierte.

Am 2. August ging Gain mit den Berichten von drei Handschriftenexperten an die Öffentlichkeit. Shimoda, dem es von seinen Vorgesetzten verboten wurde, über den Zodiac-Fall zu sprechen, nahm sein früheres Urteil zurück, weil er »nur anhand von Fotokopien« gearbeitet hätte. Terry Pascoe, ein ehemaliger Schüler von Morrill, behauptete, dass es sich um eine Fälschung handle. Pascoes Chef Robert Prouty war derjenige, der die Echtheit des Briefes als Erster angezweifelt hatte. Keith L. Woodward vom Los Angeles Police Department betrachtete den Brief ebenfalls als Fälschung.

»Aber«, fügte Gain hinzu, »wer immer diesen Brief geschrieben hat, muss viel über den Killer wissen. Er weiß jedenfalls in allen Einzelheiten, wie Zodiac seine Briefe verfasst.«

Aber wenn Zodiac den jüngsten Brief nicht geschrieben hat - wer hat es dann getan?

 

Samstag, 5. August 1978

 

Im Urlaub beschäftigte ich mich etwas eingehender mit dem Zodiac-Brief vom April. Der Schreiber hatte den Brief, wie üblich, überfrankiert, die Briefmarken verkehrt aufgeklebt und den Appell »Please Rush to Editor« auf den Umschlag geschrieben. Außerdem hatte er nach »yours truly« völlig unüblicherweise einen Doppelpunkt gesetzt, dafür nach der Anrede auf ein Satzzeichen verzichtet und außerdem alle vorkommenden Namen, mit Ausnahme des eigenen, mit kleinem Anfangsbuchstaben geschrieben. Die Abstände zwischen den Wörtern und Buchstaben waren typisch für Zodiacs Briefe, und die Buchstaben
d
und
k
waren so geschrieben wie in den Briefen von 1969.

Wenn der neue Brief nicht echt sein sollte, aber nicht von einem Polizisten gefälscht wurde - wie hätte der Fälscher das alles wissen sollen, ohne die Zodiac-Briefe je gesehen zu haben?

Ich sah mir jeden einzelnen Brief an, der je in einer Zeitung abgedruckt worden war, um zu sehen, wie viele Informationen über die Briefe in die Öffentlichkeit gelangt waren. Die meisten Briefe waren nie im Bild gezeigt worden; es war lediglich der Wortlaut abgedruckt worden. Nur einige wenige Briefe waren - in gekürzter oder verkleinerter Form - abgebildet worden. Aus der Handschrift des jüngsten Briefes musste man jedoch den Schluss ziehen, dass er mit Sicherheit von jemandem stammte, der alle Briefe gesehen hatte.

Eine Sache gab mir allerdings zu denken: der Ausdruck »dieses Stadtschwein« war in keiner der früheren Botschaften vorgekommen. Zodiac nannte die Polizisten üblicherweise »blaue Idioten« oder »blaue Schweine«. Als ich die Briefe ein zweites Mal durchging, fand ich auf einer Postkarte vom 5. Oktober 1970, ganz klein und von oben nach unten geschrieben, den Ausdruck »Stadtpolizei-Schweine-Bullen«. Das war wohl kaum ein Detail, das irgendjemand aufgegriffen hätte, um einen falschen Zodiac-Brief zu schreiben. Doch der Killer mochte es durchaus noch im Gedächtnis haben.

Wenn es sich tatsächlich um eine Fälschung gehandelt hätte, so hätte jemand, der keinen Einblick in die Ermittlungen der Polizei hatte, niemals eine so perfekte Kopie mit all den unveröffentlichten Details zustande bringen können. Ein neidischer Rivale innerhalb der Polizei hätte vielleicht das Motiv haben können, Toschis Ruf zu schädigen. Doch der Fälscher hätte niemals wissen können, ob der Brief tatsächlich als falsch befunden wurde.

Es war ein warmer Abend, und die Sonne schien durch das Fenster herein. Ich hatte die Kopien aller Zodiac-Briefe auf dem Teppich ausgelegt und hielt, das helle Licht nützend, den neuen Brief über die alten, um nach irgendwelchen Abweichungen zu suchen. Es gab überhaupt keine.

Ich nahm die Fotokopie des April-Briefes, riss sie sorgfältig in zwei Hälften und verglich die obere Hälfte der Nachricht mit der unteren. Die Buchstaben zeigten keinerlei Unregelmäßigkeiten und wirkten fast ein bisschen zu perfekt. Es war, als hätte der Schreiber den Brief mit Stempeln gedruckt. So perfekt schreibt kein Mensch.

Konnte es sein, dass der April-Brief von einer Vorlage abgepaust war und dass Zodiac gar nicht wirklich zurückgekehrt war, wie ich angenommen hatte? Ich wusste, dass der Killer oft mitten in einem mit viel Sorgfalt geschriebenen Brief ein Wort durchgestrichen hatte, so wie es auch im neuen Brief der Fall war. Warum fing er den Brief nicht neu an? Es war fast so, als würde er nicht flüssig schreiben, sondern mühsam einen Buchstaben nach dem anderen zu Papier bringen.

Ich riss einen der früheren Zodiac-Briefe in der Mitte auseinander und hielt die beiden Hälften im hellen Licht übereinander. Plötzlich wurde mir klar, wie diese Briefe zustande gekommen waren.

Die Vorgehensweise sah wahrscheinlich so aus:

Zodiac fotografierte aus verschiedenen Quellen einzelne Buchstaben auf 35-Millimeter-Film. Möglicherweise griff er auf Handschriften von Freunden oder Arbeitskollegen zurück. Den Film legte er in einen Vergrößerungsapparat und projizierte so die Buchstaben einen nach dem anderen auf Papier, um ihn dann jeweils mit blauem Filzstift nachzuziehen. Möglicherweise verwendete er dazu einen Tisch mit einer Glasplatte, die von unten beleuchtet wurde. Die Größe und Neigung der Buchstaben konnte mit einem kurzen Griff an den Vergrößerungsapparat oder einer leichten Verschiebung des Papiers verändert werden.

Mithilfe des Vergrößerungsgerätes konnte Zodiac in einer Handschrift schreiben, die nicht seine eigene war, sondern eine Mischung aus den Handschriften anderer Leute.

Natürlich war das eine äußerst mühsame und zeitaufwändige Prozedur. Das würde erklären, warum der Killer bei seiner ersten Nachricht seit mehr als drei Jahren in dem sauber geschriebenen Text Wörter durchgestrichen hatte, anstatt den Brief noch einmal von vorne zu beginnen. Der Killer musste also Zugang zu einer privaten Dunkelkammer haben - und das für eine ausreichend lange Zeit, um auf so mühsame Weise einen Brief zu schreiben.

Mit dieser raffinierten Methode hatte sich der Killer eine völlig neue Handschrift zugelegt. Selbst wenn die Polizei seine natürliche Handschrift überprüft hätte, wäre möglicherweise niemandem eine Ähnlichkeit mit den Zodiac-Briefen aufgefallen.

Die Methode des Zodiac mochte es einerseits schwierig machen, ihn anhand seiner Briefe aufzuspüren, doch er hatte in seinen Nachrichten immerhin den entscheidenden Hinweis auf seine ausgeklügelte Technik hinterlassen. Es ist einfach nicht von der Hand zu weisen, dass nicht einmal ein professioneller Grafiker oder Zeichner 340 Zeichen und Symbole mit einer solchen Perfektion zu Papier bringen könnte, ohne irgendeine Vorlage zu verwenden.

Irgendwo musste es ein Basis-Alphabet geben, auf dessen Grundlage die Briefe verfasst werden konnten.

Ich war überzeugt, dass die Technik, die der Schreiber offensichtlich bei dem jüngsten Brief angewandt hatte, ein Merkmal war, das man auch bei anderen Zodiac-Botschaften finden konnte. Der Brief vom April stammte tatsächlich von Zodiac. Er war tatsächlich wieder da!

Sherwood Morrill bestätigte meine Theorie.

 

1

 

Donald Jeff Andrews

 

Mittwoch, 9. August 1978

 

»Ich kann Ihnen sagen, wer der Zodiac ist«, behauptete der Unbekannte, der mich am Abend des 9. August 1978 anrief. »Das ist ein derartiger Filmfreak, dass er bei seinen Taten sogar teilweise mitgefilmt hat.« Jack Rosenbaum hatte in seinem Artikel im
San Francisco Progress
erwähnt, dass ich mich intensiv mit dem Zodiac-Fall beschäftigte. So war der Anrufer auf meinen Namen gestoßen.

Der Mann weigerte sich, mir seinen Namen zu verraten, hatte aber nichts dagegen, dass ich unser Gespräch aufzeichnete.

»Wir haben einen gemeinsamen Freund namens Greg, ein Amateurfunker, der oft mit dem Mann gesprochen hat. Der Typ heißt Don Andrews (Name geändert). Im Jahr 1969 erholte er sich gerade nach einer tiefen Depression.

Nun, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass irgendein anderer als dieser Andrews der Zodiac sein könnte. Mein Freund Greg erzählte mir einmal, dass ihm Andrews irgendwie verdächtig vorkam, aber ich meinte damals, dass er auf dem Holzweg wäre. Im Laufe der Jahre haben wir dann aber immer mehr Dinge erfahren, die absolut passen.«

Der Anrufer verriet mir schließlich, dass auch Narlow in Napa schon ein Auge auf Andrews geworfen hatte.

»Ich habe keine Ahnung, warum Narlow nichts weiter unternimmt. Wahrscheinlich weiß er nicht, wie er weiter vorgehen soll. Narlow hat sich einmal sechs Stunden lang mit dem Mann unterhalten. ›Er hat mich so verwirrt‹, erzählte mir Narlow, ›dass ich hinterher nicht mal mehr einen Bericht schreiben konnte.‹ Wenn man sich mit dem Kerl unterhält, kommt man selber kaum mehr zu Wort.

Gesundheitlich geht es ihm nicht schlecht. Ich habe ihn öfter mal gesehen. Nur sein Sehvermögen ist ziemlich schwach. Ich persönlich hätte keine Angst vor ihm - ich bin selbst einsneunzig groß. Es ist weniger seine körperliche Kraft, die einem Angst machen kann, sondern seine Persönlichkeit. Bei einem früheren Job wurde er gefeuert, weil er mit niemandem auskam. Narlow hat Dons Akte jedenfalls in seinem Schreibtisch eingeschlossen. Alle anderen Verdächtigen behandelt er ganz offen.

Der Mann sieht fast so aus wie Lon Chaney als ›Glöckner von Notre Dame‹. Er hat auch einen leichten Buckel. Es gibt da jemanden, einen gewissen Marvin Bernell (der Name wurde geändert), der viel mit Don zusammen ist. Er bewahrt alte Filmdosen für Andrews auf, und da drin, glauben wir, steckt das Beweismaterial für die Zodiac-Morde.«

»Weiß Bernell davon?«, fragte ich.

»Nein. Er glaubt, dass er einfach nur alte 35-Millimeter-Filmdosen für Andrews aufbewahrt. Don warnte ihn: ›Halt dich von den Dingern fern - da ist Nitratfilm drin. Das Zeug könnte explodieren‹, was übrigens auch stimmt. Wir haben diese Dosen in dem Kino gesehen, das Bernell führt. Als Greg und ich das nächste Mal dort waren, hatte Bernell sie mit nach Hause genommen.

Verstehen Sie, was ich meine? Wir glauben, dass es Beweismaterial von jedem einzelnen Mordfall gibt und dass eine Dose mit einer Sprengfalle versehen ist, die losgeht, wenn man sie aufmacht. Sie müssen zu Bernell gehen und mit ihm ins Gespräch kommen, dann können Sie vielleicht herausfinden, was da läuft. Er ist ein Ex-Cop. Wahrscheinlich ahnt er nichts. Reden Sie mit ihm - dann wird sich ja zeigen, ob er vielleicht sagt, dass Sie sich von einem Teil seiner Filmsammlung fern halten sollen. Er transportiert jedenfalls das Filmmaterial für Don. Andrews hat Ende der Sechzigerjahre in der Scott Street in San Francisco gewohnt.«

Ich erfuhr, dass Paul Avery bereits auf Don Andrews aufmerksam geworden war und einmal sogar seine Freundin zu ihm hinschickte, um Handschriftenproben von dem Mann zu bekommen. Andrews hörte, dass Avery Erkundigungen über ihn einholte, und ging selbst zum
Chronicle
, um ihm zu sagen, dass er damit aufhören solle. Die Proben, die Avery in der Hand hatte, nur »drei oder vier Worte«, hatten keine Ähnlichkeit mit der Handschrift des Zodiac - aber im Lichte meiner neuen Erkenntnisse war klar, dass Don damit keineswegs als Verdächtiger ausschied.

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