Jetzt lachte er nicht.
Merkwürdigerweise fing Teaser sich zuerst wieder. Er machte einen Schritt nach vorne und zeigte mit einer Handbewegung auf den Tisch, an dem Sebastian wartete, aber als sie sich in seine Richtung drehte, warf er einen Blick die Straße hinab. Anstatt sie zum Tisch zu bringen, umschloss er mit einer Hand ihren Arm und führte sie vom Innenhof fort.
Sebastian verspannte sich. Dieser Sohn eines Sukkubus! Wenn Teaser darauf aus war, sich ein bisschen zu amüsieren, indem er seinen Rivalen spielte, würde er sich nach einer anderen Landschaft umsehen müssen. Sie hatten keine Zeit für Spielchen. Lynnea würde nur ein paar Stunden bleiben. Und er brauchte diese paar Stunden dringender, als er sich eingestehen wollte.
Als er sich nach vorne lehnte, um das Weinglas abzustellen, spürte er, wie jemand sich ihm näherte. Er konnte
die ausdrückliche Warnung, ihn in Ruhe zu lassen nicht mehr aussprechen, bevor Glorianna sich mit dem Rücken zur Straße auf den Stuhl neben ihm gleiten ließ.
Er hatte ihr so viel zu sagen, aber er platzte mit der Angelegenheit heraus, die ihm im Moment am meisten am Herzen lag. »Sie gehört nicht hierher.«
Glorianna griff nach der Weinflasche und goss sich ein Glas ein. »Niemand kommt durch einen Fehler in den Pfuhl.«
»Sie schon.«
Sie nippte an ihrem Wein und musterte ihn. »Bist du dir sicher?«
»Sie war eigentlich auf dem Weg zur Schule der Landschafferinnen, aber dann ist etwas geschehen, und sie ist hier gelandet.«
»Dann muss ihr Herz eine Resonanz geteilt haben, die von hier stammt.«
Meine
Resonanz. Aber das würde er nicht aussprechen. Nicht vor Glorianna Belladonna. »Ich bringe sie zur Schule der Landschafferinnen, sobald sie ein paar Stunden geschlafen hat.«
Glorianna zögerte. »Wenn es das ist, was du tun musst.«
»Es ist das Richtige.« Seine Stimme klang entschlossen, aber er hörte das Flehen, das hinter der Entschlossenheit lag.
Sag mir, dass ich Unrecht habe, Glorianna. Sag mir, dass sie hier bleiben kann, ohne dass ihr Leben zerstört wird.
Aber Glorianna schwieg und sah in den Wein in ihrem Glas. Schließlich sagte sie leise: »Es gibt vielleicht Schwierigkeiten in der Schule. Ernsthafte Schwierigkeiten, wenn die Landschafferinnen die Warnzeichen übersehen haben. Aber es sollte sicher genug sein, zur Schule zu reisen, schließlich werden weder Lynnea noch du lange bleiben.«
Er veränderte die Haltung und lehnte sich mit verschränkten
Armen auf den Tisch, um sich zu ihr zu beugen. »Was ist passiert?«
»Der Weltenfresser jagt wieder in den Landschaften.«
»Der Weltenfresser ist ein Mythos«, protestierte Sebastian. »Das Böse, über das sich Kinder flüsternd Geschichten erzählen, um sich gegenseitig Angst einzujagen - und das Erwachsene dazu benutzen, um ihre Kinder zu erschrecken.«
»Es gibt Ihn wirklich, Sebastian«, antwortete Glorianna. »Er war so lange eingesperrt, dass die meisten Menschen Ihn nur noch als eine Geschichte in Erinnerung haben. Aber jetzt ist Er entkommen. Die Landschaften, die mit Ihm eingeschlossen waren, sind es nicht mehr, und Er hat die Macht, diese Orte mit anderen Landschaften zu verbinden, um Ankerpunkte zu schaffen, von denen aus Er auf Jagd gehen kann. Er wird sich von der Angst nähren, die Er weckt, und so seine Macht über einen Ort stärken, bis alles, was in dieser Landschaft noch leuchtet, das Dunkle der Herzen ist. Bis das Licht so schwach ist, dass die Menschen es nicht einmal mehr in sich selbst entdecken können. Hoffnung, Glückseligkeit, Liebe. All diese Gefühle werden schwinden, bis sie nicht mehr sind, als blasse Erinnerungen.«
Sebastian füllte sein Glas auf und leerte es gleich wieder zur Hälfte. »Glaubst du, dass dieses … Ding … im Pfuhl auf die Jagd geht?«
»Ich weiß, dass Er hier war. Er hat versucht, eine Seiner Landschaften in der Gasse zu verankern, in der die Frau getötet wurde. Ich habe diesen Teil des Pfuhls neu gestaltet, als ich gesehen habe, was Er getan hat.«
Er erzählte ihr, wie die Gasse sich verändert hatte, als er, Teaser und der Bullendämon dort gewesen waren, um sich die Leiche anzusehen. Dann erzählte er ihr von dem anderen Tod in der Landschaft der Wasserpferde.
»Ich kann verstehen, warum dieser Weltenfresser im Pfuhl jagen würde«, sagte er, als er ihnen den Rest des
Weins einschenkte. »Der Pfuhl ist eine dunkle Landschaft mit vielen Menschen und menschenähnlichen Dämonen auf engstem Raum. Aber warum sollte er ein Wasserpferd umbringen? Diese Dämonen jagen selbst Menschen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Würde dieses Ding sie nicht … willkommen heißen?«
Glorianna schüttelte den Kopf. »Wie die Bullendämonen, die Nachtschwärmer und einige andere sind die Wasserpferde ein dunkler Aspekt Ephemeras - aber ein natürlicher Aspekt. Der Weltenfresser hat sie nicht geschaffen. Er kann sie nicht kontrollieren, also wird Er auch auf sie Jagd machen.« Sie zögerte. »Bleib nicht zu lange vom Pfuhl fort, Sebastian. Tu, was du tun musst, aber bleib nicht zu lange fort.«
»Warum?« Da war etwas, was sie ihm nicht sagen wollte, aber dies war nicht der Zeitpunkt für Geheimnisse, nicht, wenn sie recht hatte und dieser Weltenfresser in Ephemera auf Jagd war.
Der Ausdruck in ihren Augen gefiel ihm nicht. Stolz und Bedauern - und beide Gefühle wurden von ihm ausgelöst.
»Weil du der Anker des Pfuhls bist«, sagte sie schließlich. »Die anderen Bewohner schaffen seine Struktur … aber im Kern ist der Pfuhl, was du in ihm siehst und was du von ihm erwartest. Weil der Pfuhl dein Innerstes widerspiegelt.«
»Willst du damit sagen, dass ich das Ding in den Pfuhl gelassen habe, damit es hier jagen kann?«
»Nein. Du hättest Ihn nicht davon abhalten können, den Pfuhl zu betreten. Aber Er kann den Pfuhl nicht
verändern
, wenn du nicht zulässt, dass er sich verändert.«
Sebastian lachte trocken. »Mein Wille gegen etwas, das so böse und tödlich ist, dass es die Welt in einen Albtraum verwandeln kann? Glaubst du wirklich, dass ich dafür gewappnet bin?«
»Du hast es bereits getan«, sagte sie, als er sie ungläubig
anstarrte. »Du hast es selbst gesagt, Sebastian. Die Gasse hat sich verändert, wurde zu einer anderen Landschaft, aber
du hast es nicht zugelassen.
Du hast an dem festgehalten, was die Gasse eigentlich sein sollte und bist so entkommen. Du kannst Ihn nicht davon abhalten, den Pfuhl aufzusuchen. Es gibt jede Menge Brücken, die den Pfuhl mit anderen Landschaften verbinden, die sich nicht in meiner Obhut befinden. Bis diese Übergänge nicht abgerissen sind, kann Er einen Weg hinein finden und kleine Zugangspunkte schaffen. Aber Er kann das Herz des Pfuhls nicht kontrollieren, wenn du an diesem Ort festhältst.«
Philo. Mr Finch. Teaser. All die anderen Bewohner des Pfuhls. Die Verantwortung für ihr Leben lastete schwer auf seinen Schultern. Mit so etwas hatte er nie gerechnet.
Dann sah er Glorianna an und erkannte, dass die Bürde, die sie trug, tausendmal schwerer war.
Er legte seine Hand auf ihre. »Was hast du jetzt vor?«
Sie seufzte. »Alles, was ich jetzt tun kann, ist an den Landschaften in meiner Obhut festzuhalten und sie zu schützen, so gut ich kann. Lee kann mir dabei helfen - wenn ich ihn erst einmal gefunden habe.«
Er hörte die Besorgnis in ihrer Stimme. Er versuchte nicht, ihr falschen Trost zu spenden. Nach dem, was sie ihm gerade erzählt hatte, wäre das kein Zeichen der Freundschaft gewesen. Also ließ er einfach seine Hand auf der ihren liegen und bot ihr das vertraute Band der Familie, indem er ihr ohne Worte sagte, dass sie nicht alleine war.
Glorianna lief über die Hauptstraße des Pfuhls und widerstand dem Drang, zurück zum Restaurant zu rennen und Sebastian zu sagen, er solle Lynnea nicht zur Schule bringen. Sie glaubte nicht, dass er während seines Aufenthaltes auf ernsthafte Schwierigkeiten stoßen würde, nicht mit all den Lehrern, die auf dem Gelände wohnten,
und den anderen Landschafferinnen, die immer wieder zurückkehrten, um sich um ihre Gärten zu kümmern. Vielleicht hatten sie den Weltenfresser bereits wieder eingeschlossen. Und wenn sie es nicht alleine schafften, würden sie die Zauberer zur Hilfe rufen. Und die Zauberer verstanden sich schließlich darauf, Probleme aus dem Weg zu schaffen.
Nein, sie glaubte nicht, dass Sebastian in Schwierigkeiten geraten würde, obwohl sie dafür gesorgt hatte, dass er noch von einem anderen Weg erfuhr, auf dem er die Schule wieder verlassen konnte. Es war die Resonanz zweier Herzenswünsche, die durch die Strömungen der Macht hallte, die in ihr den Wunsch weckten, ihn zu der Entscheidung zu drängen, die
sie
für die bessere hielt.
Du darfst leiten, aber du darfst nicht kontrollieren. Du darfst niemandem die Entscheidungen nehmen, die er treffen muss, um die Reise seines Lebens fortzusetzen.
Gelegenheit und Entscheidung. Den Menschen boten sich ständig Gelegenheiten, ihre Herzenswünsche zu erfüllen, aber entweder sie erkannten sie nicht, oder sie fanden nicht den Mut, nach dem zu greifen, was sie sich am sehnlichsten wünschten.
Sie durfte sich nicht in Sebastians Reise einmischen, wo auch immer sie ihn hinführen mochte. Sie hatte ihm die Gelegenheit gegeben, eine Ausrede, seine Entscheidung, Lynnea zur Schule zu bringen, zu ändern, aber er hatte beschlossen, sie nicht zu beachten.
Das Wissen, dass sie das Richtige tat, wenn sie ihm die Entscheidung überließ, konnte den Wunsch nicht schwächen, ihrem Lieblingscousin und seinem neu gewonnenen Ehrgefühl einen heftigen Tritt zu versetzen.
Als er sich von Glorianna verabschiedet hatte und über die Straße lief, um Lynnea zu finden, beendeten Teaser und zwei jüngere Inkuben gerade eine Stegreif-Parodie voll sexueller Andeutungen. Zweideutig, ja, aber zu
übertrieben und gutmütig, um wirklich obszön zu sein.
Und da stand auch Lynnea am Rande des Publikums und strahlte wie das Sternenlicht, während sie lachte und applaudierte.
Nein, nicht wie Sternenlicht. Sie trug zu viel Wärme in sich, um Sternenlicht zu sein. Sonnenlicht, das passte zu ihr. Eine Wärme, die den Pfuhl nie erreicht hatte - bis sie durch die Landschaft gegangen war und ihr Lachen mit sich gebracht hatte.
Er applaudierte mit dem Rest des Publikums, nicht weil er die Vorführung gesehen hatte, sondern um Teasers Hilfe bei seinem Vorhaben anzuerkennen, seinem kleinen Häschen ein paar Stunden zu schenken, in denen sie sich fühlen konnte wie eine Löwin.
Als hätte sie den Klang seiner Hände erkannt, drehte Lynnea sich um und lächelte ihn an. »Sind sie nicht wunderbar?«
»Ja, das sind sie«, antwortete er und erwiderte ihr Lächeln.
»Hattest du eine schöne Zeit mit deiner Cousine?«
»Es war sehr nett, ja.« Er steckte eine Hand in die Tasche seiner Lederjacke und berührte die zusammengefaltete Leinenserviette. Glorianna hatte darauf bestanden, ihm eine grobe Karte der Schule zu zeichnen. Es war ihm albern vorgekommen. Schließlich gab es nur eine Straße zum Schulgelände der Landschafferinnen, und die führte geradewegs auf die Gebäude zu, in denen die Klassenräume und Wohnquartiere untergebracht waren. Dann erkannte er, dass die Straße und die Gebäude nur grobe Bezugspunkte auf dem Weg zu dem Ort waren, den zu finden er in der Lage sein sollte, sofern die Notwendigkeit dazu bestand. Ihr Garten.
Sie fühlte sich sichtlich unwohl, als sie ihren Garten erwähnte, aber er musste die Wegbeschreibung wiederholen, bis sie sich sicher war, dass er ihn finden würde.
Ein sicherer Ort, sollte er einen brauchen. Und ein Fluchtweg, versteckt im Brunnen in der Mitte ihres Gartens, falls er einen solchen benötigen würde.
Darüber würde er sich den Kopf zerbrechen, wenn Lynnea und er die Schule erreicht hatten. Jetzt wollte er an nichts denken als an sie, wollte nichts fühlen, das nicht mit der Zeit, die ihnen gemeinsam gegeben war, in Verbindung stand. Nicht genug Zeit. Nicht annähernd genug Zeit. Aber er würde nicht nach mehr fragen.
Sie ließen Teaser zurück, und während sie Hand in Hand über die Straße schlenderten, genossen sie die Musik, das Treiben, die Energie. Alles sah jetzt anders aus. Dies waren seine Leute, seine Verantwortung, sowohl die Dämonen als auch die Menschen. Sein Wille und sein Herz waren der Anker, der den Pfuhl vor drohendem Unheil bewahren würde. Er wurde gebraucht, wie er noch nie zuvor gebraucht worden war.
Und ein Teil seines Herzens änderte als Antwort auf dieses Wissen seine Resonanz, ganz leicht nur, und doch unüberhörbar.
Als sie an einer Seitenstraße vorbeiliefen, rasten zwei Dämonenräder um die Ecke. Eines bemerkte Sebastian und kam abrupt zum Stehen. Das andere hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf Lynnea gerichtet, machte einen Satz nach vorne, schwenkte die Arme und brüllte: »Blaarrgh!«
Lynnea starrte den Dämon mit seinen Klauen und rasiermesserscharfen Zähnen an - und kicherte.
Der Dämon erwiderte ihren Blick und spitzte die Ohren, als er das Geräusch vernahm. »Blaarrgh!«, brüllte er noch einmal.
Sie kicherte erneut, ergriff dann eine seiner klauenbewehrten Hände und sagte: »Wie geht es Ihnen, Herr Dämon?«
Es gab einen Unterschied zwischen Löwin und lebensmüde. Die Dämonen, welche die motorisierten Räder als
Kampfesbeute für sich beansprucht hatten, konnten einen Mann mit einem Schlag ihrer Krallen ausweiden - und normalerweise begannen sie bereits zu fressen, bevor der erste Schrei verstummt war.
Aber da stand er und
grinste
sie an, während sein Kamerad ein Gesicht machte, als hätte man ihm eine besondere Leckerei vorenthalten. Und so über sein Häschen zu denken, war
keine
besonders gute Idee von den beiden.
»Wir müssen jetzt gehen«, sagte Sebastian. »Wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns.«
Ein verdrießlicher Gesichtsausdruck löste das Grinsen auf dem Gesicht des Dämons ab. »Wo ihr hingehen?«, fragte er mit einer Stimme, die schepperte wie ein Metallfass voller Kieselsteine.
Sie konnten sprechen? Natürlich wusste jeder, dass die Dämonenräder menschliche Sprache verstanden, aber niemand hatte sie je
reden
gehört.
»Wir sind auf dem Weg zu meinem Cottage«, gab Sebastian zögerlich zur Antwort. Wahrscheinlich wussten sie sowieso schon, wo sein Cottage zu finden war, schließlich waren sie ständig im ganzen Pfuhl unterwegs, aber das bedeutete ja nicht, dass er sie darauf aufmerksam machen musste.