Sebastian (23 page)

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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

BOOK: Sebastian
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Langsam normalisierte sich sein Puls wieder. Er konnte mit Nadia reden. Wenn irgendjemand ihm helfen könnte, diese Sache zu verstehen, dann wäre sie es.
»Sebastian?«
Er stellte seine eigene Erkenntnis zurück und konzentrierte sich darauf, was er für sie geplant hatte.
»Ja«, sagte er. »Ich bin sowohl ein Zauberer als auch ein Inkubus.« Er stand auf, ging um den Tisch herum, bis er neben ihr stand und legte ihr eine Hand auf den Kopf. »Beim Willen und der Macht der Zauberer, erkläre ich dich, Lynnea, zur Löwin. Du bist stark, tapfer und mächtig. Du bist eine Frau von Schönheit und Mut. Und was auch immer du dir von dieser Nacht wünschst, wird in Erfüllung gehen.«
Sie sah zu ihm auf, ängstlich, verwirrt und … voller Hoffnung. »Hast du mich verzaubert?«
»Etwas in der Art.« Tageslicht! Er hoffte, dass er nicht mehr getan hatte, als ein paar Worte mit genügend Überzeugungskraft auszusprechen, um sie daran glauben zu lassen.
Seine Hand strich über ihre wunderschönen braunen Locken. Dann brachte er sie dazu, aufzustehen. Ihr Körper streifte den seinen, und er wollte sie mit einer Verzweiflung,
die schon an Wahnsinn grenzte. Aber diese Stunden gehörten ihr, und was immer zwischen ihnen geschah, würde sie entscheiden.
»Du brauchst etwas zum Anziehen«, sagte er mit rauer Stimme.
»Aber ich habe etwas zum Anziehen«, protestierte sie und strich mit der Hand über das Kleid.
»Etwas anderes.« Er ergriff ihre Hand und führte sie zu Mr Finchs Laden.
Ein paar Schritte vor der Tür blieb sie stehen und fragte mit schüchterner Stimme: »Was ist eine Löwin?«
»Eine große, starke Katze aus einer fernen Landschaft.«
»Eine Katze.« Sie betrachtete die farbigen Straßenlaternen. »Sie würde nicht zulassen, dass jemand ihren Jungen etwas antut?«
»Nein, das würde sie nicht. Und sie ist stark und mächtig genug, um sie gegen jeden Narren zu verteidigen, der es versucht.«
Er konnte beinahe spüren, wie sich etwas in ihr verschob, wie sich ihre Ausstrahlung veränderte. Als sie ihn ansah, war das kleine Häschen immer noch da, aber da war auch etwas von einer Löwin.
Mit dem Häschen konnte er umgehen. Aber er war sich nicht sicher, ob er mit der Löwin fertig werden würde, die er zu erschaffen versuchte. Und er wünschte, er wüsste, warum die Erwähnung von jungen Kätzchen eine solch heftige Reaktion in ihr hervorrief.
Mr Finch begrüßte sie mit seinem üblichen Summen und Zirpen, unter das er bisweilen ein paar richtige Worte mischte. Jedes Mal, wenn Sebastian mit dem kleinen, nervösen Mann zu tun hatte, fragte er sich, was in Mr Finch steckte, das ihn in den Pfuhl geführt hatte.
»Die Dame braucht Jagdkleidung«, sagte Sebastian.
»Jagdkleidung?«, fragte Lynnea.
»Jagdkleidung«, erwiderte er ernst. »Eine Löwin würde nichts anderes tragen, wenn sie durch den Pfuhl streift.«
»Eine Löwin«, flüsterte Mr Finch. Das nervöse Flattern seiner Hände legte sich, und seine Augen, sonst so geistesabwesend hinter den in Gold gefassten Brillengläsern, sprühten plötzlich vor professionellem Interesse.
»Ja, ja«, sagte Mr Finch, und seine Hände fingen wieder an zu zittern, als er durch die Tür in seine Arbeitsräume verschwand. »Ich habe genau das Richtige. Ich nenne es einen
Catsuit
. Ich habe ihn letzten Monat entworfen, und diesen habe ich gerade fertig gesäumt. Prüde und gleichzeitig unanständig, ja, ja.«
Er kam aus den Arbeitsräumen zurück und überreichte Lynnea ein aus einem einzigen Teil gefertigtes Kleidungsstück. Prüde war es, weil es den Körper einer Frau von den Knöcheln bis über die Brüste bedeckte, und unanständig, weil es fast so eng saß wie eine zweite Haut. Der Stoff war dunkelblau und von goldenen, silbernen, smaragdgrünen und rubinroten Fäden durchzogen.
Eine Dämonin, die so etwas trug, würde in den Emotionen ertrinken, die sie den Männern um sich herum abringen könnte.
Lynnea in diesem Aufzug durch den Pfuhl streifen zu sehen, würde ihn umbringen. Er wusste es einfach.
»Was …« Lynnea räusperte sich. »Was trägt man darunter?« Sie hielt den Stoff in den Händen, als ob er jeden Moment zum Leben erwachen und sie beißen könnte.
»Haut«, zirpte Mr Finch glücklich. Er sah Sebastian nicht an, aber um seine Mundwinkel spielte ein Lächeln. »Die Inkuben mögen Haut.«
»Oh, ich könnte nie -«
Sebastian berührte ihr Ohr mit dem Mund und flüsterte: »Löwin.«
Ein Sukkubus tauchte hinter einem Regal auf, ihre Augen glühten vor Neid, als sie den Catsuit erblickte.
Tageslicht!
, dachte Sebastian, als sie sich ihnen näherte. Warum musste ausgerechnet
diese
Sukkubusschlampe jetzt hier sein?
»Sebastian«, schnurrte sie. »Versuchst du schon wieder, kleine Mädchen, die von Zuhause weggelaufen sind, so herzurichten, dass sie als begehrenswert durchgehen?«
»Ich tue nichts dergleichen«, fauchte er.
»Ooohhh? Ich habe gehört, du seiest mit Teaser befreundet, und jeder weiß, dass er nicht hat, was es braucht, um ein
wahrer
Inkubus zu sein. Ohne dich wäre er doch schon lange gefressen und wieder ausgespuckt worden.« Sie musterte Lynnea. »Selbst wenn du es schaffst, deinen Pferdehintern in diesen göttlichen Anzug zu quetschen, hast du immer noch das Problem mit dem Gesicht.«
»Vielleicht kann ich bei dem Gesicht behilflich sein«, erklang eine kalte Stimme von der Tür.
Er hatte sie bereits seit über einem Jahr nicht mehr gesehen, und
so
hatte er ihre Stimme noch nie gehört, aber er wusste, wer da im Türrahmen stand.
Ebenso wie die Dämonin, deren Gesicht sich zu einer hässlichen Maske der Angst verzerrt hatte.
Sebastian schloss für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln, bevor er sich zur Tür - und zu Glorianna umdrehte.
Augen aus grünem Eis begegneten seinem Blick. Ihr von langem schwarzem Haar eingerahmtes Gesicht war noch immer wunderschön, aber es war eine kalte, unnahbare Schönheit - und er fragte sich, ob ihr Herz genauso kalt geworden war.
Diese
Belladonna war dazu fähig, eine Bestie auf den Pfuhl loszulassen, die ihre Opfer auf so abscheuliche Art und Weise tötete.
Nein.
Nein!
Er würde nicht einmal daran denken, würde es niemals glauben. Wenn sie in der Lage wäre, so etwas zu tun, würde es seinem Herzen eine Wunde zufügen, für die es keine Heilung gab.
Sie betrat den Laden und starrte die Dämonin an, die unter ihrem Blick zusammenschrumpfte.
»Verschwinde«, sagte sie.
Der Sukkubus floh auf die Straße.
»Wir müssen reden«, sagte Sebastian leise.
»Später.« Sie musterte Lynnea und lächelte. »Sebastian hat seine guten Manieren vergessen. Ich bin seine Cousine Glorianna.«
»Schön, Sie kennen zu lernen«, antwortete Lynnea wohlerzogen. »Ich bin Lynnea.«
»Glorianna -«, fing Sebastian an.
»Warum gehst du nicht raus und schnappst ein bisschen frische Luft?«, schlug Glorianna vor.
Er erkannte einen Befehl, wenn er ihn hörte, und, Cousin oder nicht, nur ein Narr würde sich Glorianna Belladonna widersetzen. Trotzdem hätte er versucht, ihr eine Minute abzuringen, um ihr alles zu erklären, aber der Blick, den sie ihm zuwarf, erstickte jeden Protest im Keim. Also ging er hinaus und lehnte sich so unbeteiligt mit der Schulter an die Hauswand, als ob im Inneren des Ladens nichts Wichtiges vor sich gehen würde.
 
Glorianna sah Sebastian nach, als er den Laden verließ. Als sie den Pfuhl in der Nähe des Cottages betreten hatte, hatte sie eine Dissonanz wahrgenommen, von der sie
wusste
, dass sie von Sebastian kam. Es war, als hätten sich die dunklen Strömungen in ihm so miteinander verwoben, dass es das Wesen seines Herzens verändert hatte. Als sie dann in den Pfuhl geeilt war, um ihn zu suchen und herauszufinden, was mit ihm nicht stimmte, hatte sie eine erneute Veränderung gespürt - die Licht und Dunkelheit in Sebastian wieder ins Gleichgewicht brachte, als heile sie eine schwärende Wunde.
Sie wusste nicht, was die erste Veränderung hervorgerufen hatte, aber die zweite war von der Frau ausgegangen, die jetzt vor ihr stand.
Es ergibt keinen Sinn, dachte sie, als sie sich umdrehte, um Lynnea anzusehen, die schüchtern lächelte und
sie mit blauen Augen anstarrte, die dunkel waren vor Angst. Diese Frau gehörte nicht in den Pfuhl, hätte nicht in der Lage sein dürfen, diese Landschaft zu betreten. Aber sie war hier, und ihre Anwesenheit verursachte keine Dissonanz.
Glorianna stockte der Atem, als sie erkannte, was sie da vor sich hatte.
Einen Katalysator.
Sie war ein ganz normaler Mensch, aber weil Lynnea sich in einer Landschaft befand, die sie nicht hätte betreten können sollen, wirkte ihre Anwesenheit wie ein Kieselstein, den jemand in einen Teich geworfen hatte. Die Wellen, die er schlug, würden die Herzen anderer beeinflussen, manche mehr, manche weniger stark. Würden zu Veränderung führen. Würden Gelegenheiten und Entscheidungen mit sich bringen.
Sowohl für den Katalysator selbst als auch für die Menschen in seiner Umgebung.
Was eine Erklärung dafür sein könnte, warum Sebastian sich aufführte wie ein Schäferhund, der ein einzelnes Lamm zu hüten hatte. Und das war schon sehr interessant.
Und genauso interessant war es, dass sie, als sie sich vor kurzem in einer Stadt umgesehen hatte, die in einer ihrer Landschaften lag, einer Eingebung gefolgt war und bei einem Laden Halt gemacht hatte, der Damenkosmetik anbot. Die Farben, die sie ausgewählt hatte, passten überhaupt nicht zu ihr, aber sie hatte sie seitdem ganz unten in ihrem Bündel mit sich herumgetragen.
Die Farben passten perfekt zu Lynnea.
Glorianna warf einen Blick auf den Catsuit in Lynneas Hand, sah dann kurz hinüber zur Ladentür - und lächelte.
»Na komm«, sagte sie und legte Lynnea eine Hand auf die Schulter, um sie durch einen Vorhang in den Umkleideraum zu führen. »Wir wollen dich für einen Streifzug durch den Pfuhl zurechtmachen.«
Sebastian starrte auf die Tür zu Mr Finchs Laden.
Glorianna Belladonna blieb kein Geheimnis des Herzens verborgen. Innerhalb einer Minute würde sie erkennen, dass Lynnea nicht in den Pfuhl gehörte. Aber würde sie auch weiterdenken? Sie wusste nichts von seinem Vorhaben, seinem kleinen Häschen die Möglichkeit zu geben, stark und mutig zu sein. Sie wusste nicht, dass er ein paar Stunden mit einer Frau brauchte, die so viele Gefühle in ihm weckte, dass es ihm Angst machte.
Was passierte in diesem verflixten Laden?
Teaser kam über die Straße getrottet und stellte sich neben ihn.
»In Ordnung, es ist für alles gesorgt«, sagte er. »Obwohl ich euren Streifzug auf die Hauptstraße beschränken würde, wenn ich du wäre. Ich habe die Nachricht zwar verbreitet, aber das heißt nicht, dass die Inkuben und Sukkuben sich auch alle daran halten werden, was du von ihnen willst.«
»Das werden sie, wenn sie im Pfuhl bleiben wollen«, knurrte Sebastian. Wenn er all die Jahre unbewusst die Magie der Zauberer, die in ihm schlummerte, dazu genutzt hatte, um menschliche Besucher daran zu hindern, in den Pfuhl zurückzukehren, könnte er dann auch einen Dämon davon abhalten? Er würde es an dem Sukkubusluder ausprobieren, nachdem er Lynnea in die Schule der Landschafferinnen gebracht hatte. Immer vorausgesetzt natürlich, dass Lynnea noch im Laden war.
Teaser sah ihn vorsichtig an, aber einen Moment später war sein Blick schon wieder so selbstbewusst und lebhaft wie immer, und er sprühte geradezu vor Energie. In den Augen des Inkubus brannte ein Licht, das er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ein harmloser Streifzug war nicht das heiße Treiben, nach dem sich die Inkuben normalerweise sehnten, aber es war mal etwas anderes, etwas Neues, und das allein war Grund genug für Teasers Begeisterung.
»Also«, sagte Teaser, während er sich umsah und grinste, »wo ist die Landmaus?«
»Im Laden. Mit Glorianna.«
Das Grinsen verschwand. »Belladonna ist hier?«
Bevor Sebastian antworten konnte, öffnete sich die Ladentür, und Glorianna trat heraus. Allein.
Er stieß sich von der Wand ab, wollte sie zur Seite drängen und in den Laden stürzen, um nachzusehen, ob außer Mr Finch noch jemand da war. Stattdessen stand er einfach nur da, und seine Muskeln verkrampften sich von der Anstrengung, still stehen zu bleiben. »Wir müssen reden.«
Glorianna warf ihm einen langen Blick zu, lächelte dann schadenfroh - und sah aus wie die Cousine, die er liebte, und nicht wie die gefährliche Landschafferin, die man aus Angst ausgestoßen hatte. »Später. Du wirst für eine Weile alle Hände voll zu tun haben, Sebastian.«
Dann sah sie Teaser an, der zum Gruß mit dem Kopf nickte und sagte: »Ich helfe Sebastian.«
»Ja«, sagte sie nach einer langen Pause. »Ja, das tust du.« Sie klang fasziniert, als ob etwas ihre Erwartungen übertroffen hätte.
Dann ging sie davon.
»Gut«, sagte Teaser, atmete laut aus und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Gut.«
Er rannte nicht weg, lief aber so eilig in die andere Richtung, dass der Abstand zwischen ihm und Belladonna schnell größer wurde.
Was Sebastian wieder allein vor Mr Finchs Laden zurückließ. Warum noch länger warten? In Gloriannas Lächeln hatte eine Nachricht gelegen, aber er konnte sie nicht entschlüsseln … und hatte auch keine Lust, es zu versuchen.
Unglücklich und enttäuscht wandte er sich von der Tür ab. Er hatte den Pfuhl auf den Kopf gestellt, um für ein paar Stunden eine Illusion zu erschaffen. Und wofür?
Um sich wieder wie ein Kind zu fühlen, von den anderen dazu ermutigt, zu glauben, er dürfe mitspielen, nur um festzustellen, dass das Spiel daraus
bestand
, seine Hoffnungen zu zerschlagen?
»Sebastian?«
Zum Teil menschlich zu sein, war nicht menschlich genug. Und der Versuch, zu sein wie ein Mensch, hatte ihm noch nie etwas Gutes eingebracht. Warum konnte er es nicht aufgeben und seine menschliche Seite einfach loslassen?
»Sebastian? Ich bin fertig. Glaube ich.«
Er fuhr herum und wäre beinahe nach hinten übergefallen. »Lynnea?«

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