Read Die Blechtrommel Online

Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

Die Blechtrommel (90 page)

BOOK: Die Blechtrommel
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Trotz des klapprigen Verses von der schrecklichen Schwarzen Köchin wollte mir die Metrostation Maison Blanche heimelig, fast wohnlich vorkommen. Ich fühlte mich auf der Rolltreppe wie zu Hause, hätte mich glücklich geschätzt, trotz Angst und Kinderschreck, wenn es mit mir nicht wildfremde Menschen, sondern meine lebenden und toten Freunde und Verwandten hinaufgetragen hätte: meine arme Mama zwischen Matzerath und Jan Bronski, die grauhaarige Maus, Mutter Truczinski mit ihren Kindern Herbert, Guste, Fritz, Maria, auch den Gemüsehändler Greff und seine Schlampe Lina, natürlich den Meister Bebra und die grazile Roswitha — alle die da meine fragwürdige Existenz einrahmten, die da an meiner Existenz scheiterten — oben jedoch, wo der Rolltreppe die Luft ausging, wünschte ich mir an Stelle der Kriminalbeamten das Gegenteil der schrecklichen Schwarzen Köchin: meine Großmutter Anna Koljaiczek sollte dort wie ein Berg ruhen und mich und mein Gefolge nach glücklicher Auffahrt unter die Röcke, in den Berg hineinnehmen.

Es standen aber zwei Herren dort, die keine weitläufigen Röcke, sondern amerikanisch zugeschnittene Regenmäntel trugen. Auch mußte ich mir gegen Ende der Auffahrt mit allen zehn Zehen in den Schuhen lächelnd eingestehen, daß das ungenierte Liebespaar über mir, die alte murmelnde Frau unter mir simple Polizeiagenten waren.

Was soll ich noch sagen: Unter Glühbirnen geboren, im Alter von drei Jahren vorsätzlich das Wachstum unterbrochen, Trommel bekommen, Glas zersungen, Vanille gerochen, in Kirchen gehustet, Luzie gefüttert, Ameisen beobachtet, zum Wachstum entschlossen, Trommel begraben, nach Westen gefahren, den Osten verloren, Steinmetz gelernt und Modell gestanden, zur Trommel zurück und Beton besichtigt, Geld verdient und den Finger gehütet, den Finger verschenkt und lachend geflüchtet, aufgefahren, verhaftet, verurteilt, eingeliefert, demnächst freigesprochen, feiere ich heute meinen dreißigsten Geburtstag und fürchte mich immer noch vor der Schwarzen Köchin — Amen.

Die ausgeknipste Zigarette ließ ich fallen. Zwischen den Latten des Rolltreppenstufenbelages fand sie Platz. Oskar fuhr, nachdem er längere Zeit lang einen Winkel von fünfundvierzig Grad Steigung beschreibend, gen Himmel gefahren war, noch drei Schrittchen waagerecht, ließ sich nach dem ungenierten Polizistenliebespaar, vor der Polizistengroßmutter vom Lattenrost der Rolltreppe auf einen feststehenden Eisenrost schieben und sagte, nachdem sich die Kriminalbeamten vorgestellt hatten, ihn Matzerath genannt hatten, seinem Rolltreppeneinfall folgend, zuerst auf deutsch: »Ich bin Jesus!« dasselbe, da er sich der internationalen Kriminalpolizei gegenübersah, auf französisch, schließlich auf englisch: »I am Jesus!«

Dennoch wurde ich als Oskar Matzerath verhaftet. Widerstandslos vertraute ich mich der Obhut und, da es draußen, auf der Avenue d'Italie regnete, den Regenschirmen der Kriminalpolizei an, blickte mich aber gleichwohl beunruhigt, ängstlich suchend um und sah auch mehrmals — sie kann das — in der Menschenmenge auf der Avenue, im Gedränge um den Kastenwagen der Polizei das schrecklich ruhige Antlitz der Schwarzen Köchin.

Jetzt habe ich keine Worte mehr, muß aber dennoch überlegen, was Oskar nach seiner unvermeidlichen Entlassung aus der Heil-und Pflegeanstalt zu tun gedenkt. Heiraten? Ledigbleiben?

Auswandern? Modellstehen? Steinbruch kaufen? Jünger sammeln? Sekte gründen? All die Möglichkeiten, die sich heutzutage einem Dreißigjährigen bieten, müssen überprüft werden, womit überprüft, wenn nicht mit meiner Trommel. So werde ich also jenes Liedchen, das mir immer lebendiger und fürchterlicher wird, auf mein Blech legen, werde die Schwarze Köchin anrufen, befragen, damit ich morgen früh meinem Pfleger Bruno verkünden kann, welche Existenz der dreißigjährige Oskar fortan im Schatten eines immer schwärzer werdenden Kinderschreckens zu führen gedenkt; denn was mich früher auf Treppen erschreckte, was im Keller, beim Kohlenholen buhhh machte, daß ich lachen mußte, was aber dennoch immer schon da war, mit Fingern sprach, durchs Schlüsselloch hustete, im Ofen seufzte, schrie mit der Tür, wölkte auf aus Kaminen, wenn Schiffe im Nebel ins Horn atmeten, oder wenn zwischen den Doppelfenstern stundenlang eine Fliege starb, auch als die Aale nach Mama verlangten, und meine arme Mama nach den Aalen, wenn die Sonne hinter dem Turmberg verschwand und für sich lebte, Bernstein! Wen meinte Herbert, als er das Holz berannte? Auch hinterm Hochaltar — was wäre der Katholizismus ohne die Köchin, die alle Beichtstühle schwärzt? Sie warf den Schatten, als des Sigismund Markus Spielzeug zusammenbrach, und die Gören auf dem Hof des Mietshauses, Axel Mischke und Nuchy Eyke, Susi Kater und Hänschen Kollin, sie sprachen es aus, sangen, wenn sie die Ziegelmehlsuppe kochten: »Ist die Schwarze Köchin da? Jajaja! Du bist schuld und du bist schuld und du am allermeisten. Ist die Schwarze Köchin da...« Immer war sie schon da, selbst im Waldmeisterbrausepulver, so unschuldig grün es auch schäumte; in allen Kleiderschränken, in denen ich jemals hockte, hockte auch sie und lieh sich später das dreieckige Fuchsgesicht der Luzie Rennwand aus, fraß Wurstbrote mitsamt den Pellen und führte die Stäuber auf einen Sprungturm — nur Oskar blieb übrig, sah Ameisen zu und wußte: das ist ihr Schatten, der sich vervielfältigt hat und der Süße nachgeht, und alle die Worte: Gebenedeite, Schmerzensreiche, Seliggepriesene, Jungfrau der Jungfrauen ... und alle die Gesteine: Basalt, Tuff, Diabas, Nester im Muschelkalk, Alabaster so weich... und all das zersungene Glas, durchsichtige Glas, hauchdünn geatmete Glas... und Kolonialwaren: Mehl und Zucker in blauen Pfund-und Halbpfundtüten. Später vier Kater, deren einer Bismarck hieß, die Mauer, die frisch gekalkt werden mußte, ins Sterben verstiegene Polen, auch Sondermeldungen, wenn wer was versenkte, Kartoffeln, die von der Waage polterten, was sich zum Fußende hin verjüngt, Friedhöfe, auf denen ich stand, Fliesen, auf denen ich kniete, Kokosfasern, auf denen ich lag... alles im Beton Eingestampfte, der Saft der Zwiebeln, der die Tränen zieht, der Ring am Finger und die Kuh, die mich leckte... Fragt Oskar nicht, wer sie ist! Er hat keine Worte mehr. Denn was mir früher im Rücken saß, dann meinen Buckel küßte, kommt mir nun und fortan entgegen:

Schwarz war die Köchin hinter mir immer schon.

Daß sie mir nun auch entgegenkommt, schwarz.

Wort, Mantel wenden ließ, schwarz.

Mit schwarzer Währung zahlt, schwarz.

Während die Kinder, wenn singen, nicht mehr singen:

Ist die Schwarze Köchin da? Ja — Ja — Ja!

+   +   +   +   +

e   n   d   e

epub-Version erstellt im Januar 2013 von einem Schalke-Fan. Glück auf!
Grüße an SPIEGELBEST und die Hörspiel-Scene!
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