Read Die Blechtrommel Online

Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

Die Blechtrommel (52 page)

BOOK: Die Blechtrommel
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Bebras Leute: Raucht zuviel! Lankes: Das liegt am Beton, Herr Hauptmann. Bebra: Und wenn es nun eines Tages keinen Beton mehr gibt? Bebras Leute: Keinen Beton mehr gibt. Lankes: Der ist unsterblich, Herr Hauptmann. Nur wir und unsere Zigaretten... Bebra: Ich weiß, ich weiß, mit dem Rauch verflüchtigen wir uns.Bebras Leute (langsam abgehend): Mit dem Rauch!

Bebra: Den Beton jedoch werden sie noch in tausend Jahren besichtigen.

Bebras Leute: In tausend Jahren!

Bebra: Hundeknochen wird man finden.

Bebras Leute: Hundeknöchelchen.

Bebra: Auch ihre schrägen Formationen im Beton.

Bebras Leute: MYSTISCH, BARBARISCH, GELANGWEILT! — (Der rauchende Lankes alleine)

Wenn Oskar auch während des Frühstücks auf dem Beton wenig oder kaum zu Wort kam, konnte er es dennoch nicht unterlassen, dieses Gespräch am Atlantikwall festzuhalten, fand man doch solche Worte am Vorabend der Invasion; auch werden wir jenem Obergefreiten und Betonkunstmaler Lankes wiederbegegnen, wenn auf einem anderen Blatt die Nachkriegszeit, unser heute in Blüte stehendes Biedermeier, gewürdigt wird.

Auf der Strandpromenade wartete immer noch der Schützenpanzerwagen auf uns. Mit langen Sprüngen fand der Oberleutnant Herzog zu seinen Schutzbefohlenen. Atemlos entschuldigte er sich bei Bebra für den kleinen Vorfall. »Sperrgebiet ist eben Sperrgebiet!« sagte er, half den Damen auf das Fahrzeug, gab dem Fahrer noch einige Anweisungen, und zurück ging's nach Bavent. Wir mußten uns sputen, fanden kaum Zeit fürs Mittagessen; denn für zwei Uhr hatten wir eine Vorstellung in dem Rittersaal jenes anmutigen normannischen Schlößchens angekündigt, das hinter Pappeln am Dorfausgang lag.

Gerade eine halbe Stunde blieb uns noch für Beleuchtungsproben, dann mußte Oskar trommelnd den Vorhang ziehen. Wir spielten für Unteroffiziere und Mannschaften. Das Lachen kam derb und oft. Wir trugen dick auf. Ich zersang einen gläsernen Nachttopf, in dem ein Paar Wiener Würstchen mit Senf lagen. Fettgeschminkt weinte Bebra seine Clownstränen über dem zerbrochenen Töpfchen, klaubte sich die Würste aus den Scherben, gab sich Senf dazu und verspeiste sie, was den Feldgrauen zu lauter Heiterkeit verhalf. Kitty und Felix traten seit einiger Zeit in Krachledernen und mit Tirolerhütchen auf, was ihren akrobatischen Leistungen eine besondere Note gab. Roswitha im enganliegenden Silberkleid trug blaßgrüne Stulpenhandschuhe, golddurchwirkte Sandalen am allerkleinsten Fuß, hielt die leicht bläulichen Augenlider stets gesenkt und zeugte mit ihrer somnambulen Mittelmeerstimme von jener ihr geläufigen Dämonie. Sagte ich schon, daß Oskar keiner Verkleidung bedurfte? Meine gute alte Matrosenmütze mit der gestickten Inschrift »SMS Seydlitz« trug ich, das marineblaue Hemd, drüber die Jacke mit goldenen Ankerknöpfen, unten lugten die Kniehosen hervor, gerollte Kniestrümpfe in meinen reichlich abgetragenen Schnürschuhen und jene weißrot gelackte Blechtrommel, die gleich beschaffen noch fünfmal in meinem Artistengepäck als Vorrat ruhte.

Am Abend wiederholten wir die Vorstellung für Offiziere und die Blitzmädchen einer Nachrichtendienststelle in Cabourg. Roswitha war etwas nervös, machte zwar keine Fehler, setzte sich aber mitten in ihrer Nummer eine Sonnenbrille mit blauer Umrandung auf, schlug eine andere Tonart an, wurde direkter in ihren Prophezeiungen, sagte zum Beispiel zu einem blassen, vor Verlegenheit schnippischen Blitzmädchen, sie habe eine Liebschaft mit ihrem Vorgesetzten. Eine Offenbarung also, die mir peinlich war, im Saal aber Lacher genug fand, denn der Vorgesetzte saß wohl neben dem Blitzmädchen.

Nach der Vorstellung gaben die Stabsoffiziere des Regimentes, die in dem Schloß Quartier genommen hatten, noch eine Party. Während Bebra, Kitty und Felix blieben, verabschiedeten die Raguna und Oskar sich unauffällig, gingen zu Bett, schliefen nach dem abwechslungsreichen Tag schnell ein und wurden erst um fünf Uhr früh durch die beginnende Invasion geweckt.

Was soll ich Ihnen viel darüber berichten? In unserem Abschnitt, nahe der Ornemündung, landeten Kanadier. Bavent mußte geräumt werden. Wir hatten schon unser Gepäck verstaut. Mit dem Regimentsstab sollten wir zurückverlegt werden. Im Schloßhof hielt eine motorisierte, dampfende Feldküche. Roswitha bat mich, ihr einen Becher Kaffee zu holen, da sie noch nicht gefrühstückt hatte.

Etwas nervös und besorgt, ich könnte den Anschluß an den Lastwagen verfehlen, weigerte ich mich und war auch eine Spur grob mit ihr. Da sprang sie selbst vom Wagen, lief mit dem Kochgeschirr in Stöckelschuhen auf die Feldküche zu und erreichte den heißen Morgenkaffee gleichzeitig mit einer dort einschlagenden Schiffsgranate.

Oh, Roswitha, ich weiß nicht, wie alt du warst, weiß nur, daß du neunundneunzig Zentimeter maßest, daß aus dir das Mittelmeer sprach, daß du nach Zimmet röchest und nach Muskat, daß du allen Menschen ins Herz blicken konntest; nur in dein eigenes Herz blicktest du nicht, sonst wärest du bei mir geblieben und hättest dir nicht jenen viel zu heißen Kaffee geholt!

Es .gelang Bebra in Lisieux, für uns einen Marschbefehl nach Berlin zu erwirken. Als er vor der Kommandantur zu uns stieß, sprach er erstmals seit Roswithas Hingang: »Wir Zwerge und Narren sollten nicht auf einem Beton tanzen, der für Riesen gestampft und hart wurde! Wären wir nur unter den Tribünen geblieben, wo uns niemand vermutete.«

In Berlin trennte ich mich von Bebra. »Was willst du in all den Luftschutzkellern ohne deine Roswitha!« lächelte er spinnwebendünn, küßte mich auf die Stirn, gab mir Kitty und Felix mit Dienstreisepapieren versehen bis zum Hauptbahnhof Danzig als Reisebegleitung mit, schenkte mir auch die restlichen fünf Trommeln aus dem Artistengepäck; und so versorgt, auch nach wie vor mit meinem Buch versehen, traf ich am elften Juni vierundvierzig, einen Tag vor meines Sohnes drittem Geburtstag, in der Heimatstadt ein, die noch immer unversehrt und mittelalterlich von Stunde zu Stunde mit verschieden großen Glocken von verschieden hohen Kirchtürmen lärmte.

DIE NACHFOLGE CHRISTI

Nun ja, die Heimkehr! Um zwanzig Uhr vier traf der Fronturlauberzug in Danzig Hauptbahnhof ein.

Felix und Kitty brachten mich bis zum Max-Halbe-Platz, verabschiedeten sich, wobei Kitty zu Tränen kam, suchten dann ihre Leitstelle in Hochstrieß auf, und Oskar stiefelte kurz vor einundzwanzig Uhr mit seinem Gepäck durch den Labesweg.

Die Heimkehr. Eine weitverbreitete Unsitte macht heutzutage jeden jungen Mann, der einen kleinen Wechsel fälschte, deshalb in die Fremdenlegion ging, nach ein paar Jährchen etwas älter geworden heimkehrt und Geschichten erzählt, zu einem modernen Odysseus. Manch einer setzt sich zerstreut in den falschen Zug, fährt nach Oberhausen und nicht nach Frankfurt, erlebt etwas unterwegs — wie sollte er nicht — und wirft, kaum heimgekehrt, mit Namen wie Circe, Penelope und Telemachos um sich.

Oskar war alleine schon deshalb kein Odysseus, weil er bei seiner Heimkehr alles unverändert fand.

Seine geliebte Maria, die er ja als Odysseus Penelope nennen müßte, wurde nicht von geilen Freiern umschwärmt, die hatte noch immer ihren Matzerath, für den sie sich schon lange vor Oskars Abreise entschieden hatte. Auch fällt es den Gebildeten unter Ihnen hoffentlich nicht ein, in meiner armen Roswitha wegen ihrer einstigen somnambulen Berufstätigkeit eine männerbetörende Circe zu sehen.

Was endlich meinen Sohn Kurt angeht, so machte der für seinen Vater keinen Finger krumm, war also mitnichten ein Telemachos, auch wenn er Oskar nicht wiedererkannte.

Wenn schon Vergleich — und ich sehe ein, daß ein Heimkehrer sich Vergleiche gefallen lassen muß — dann will ich für Sie der biblische verlorene Sohn sein; denn Matzerath machte die Tür auf, empfing mich wie ein Vater und nicht wie ein mutmaßlicher Vater. Ja, er verstand es, sich so über Oskars Heimkehr zu freuen, kam auch zu echten, sprachlosen Tränen, daß ich mich von jenem Tage an nicht nur ausschließlich Oskar Bronski, sondern auch Oskar Matzerath nannte.

Maria nahm mich gelassener, doch nicht unfreundlich auf. Sie saß am Tisch, klebte Lebensmittelmarken fürs Wirtschaftsamt und hatte auf dem Rauchtischchen schon einige noch verpackte Geburtstagsgeschenke für Kurtchen gestapelt. Praktisch wie sie war, dachte sie zuerst an mein Wohlbefinden, zog mich aus, badete mich wie in alten Zeiten, übersah mein Erröten und setzte mich im Schlafanzug an den Tisch, auf dem Matzerath mir inzwischen Spiegeleier und Bratkartoffeln servierte. Milch trank ich dazu, und während ich aß und trank, begann die Fragerei:

»Wo warste nur, überall harn wä jesucht, und de Polizei hat auch jesucht wie varückt, und vor Jericht mußten wir und beeidigen, daß wir dir nich über Eck jebracht hätten. Na, nu biste ja da. Aber Scherereien hattes jenug jemacht und wirtes wohl noch machen, denn nu missen wä dir wieder anmelden. Hoffentlich wolln se dir nich inne Anstalt stecken. Vädient hastes ja. Laifst davon un sagst nischt!«

Maria bewies Weitblick. Es gab Scherereien. Ein Beamter vom Gesundheitsministerium kam, sprach vertraulich mit Matzerath, aber Matzerath schrie laut, daß man es hören konnte: »Das kommt gar nicht in Frage, das habe ich meiner Frau am Totenbett versprechen müssen, ich bin der Vater und nicht die Gesundheitspolizei!«

Ich kam also nicht in die Anstalt. Aber von jenem Tage an traf alle zwei Wochen ein amtliches Brieflein ein, das den Matzerath zu einer kleinen Unterschrift aufforderte; doch Matzerath wollte nicht unterschreiben, legte aber sein Gesicht in Sorgenfalten.

Oskar hat vorgegriffen, muß wieder Matzeraths Gesicht glätten, denn am Abend meiner Ankunft strahlte er, machte sich viel weniger Gedanken als Maria, fragte auch weniger, ließ es mit meiner glücklichen Heimkehr genug sein, benahm sich also wie ein rechter Vater und sagte, als man mich bei der etwas verdutzten Mutter Truczinski zu Bett brachte: »Was wird sich doch das Kurtchen freuen, daß es wieder ein Brüderchen hat. Und obendrein feiern wir morgen Kurtchens dritten Geburtstag.«

Mein Sohn Kurt fand auf seinem Geburtstagstisch außer dem Kuchen mit den drei Kerzen einen weinroten Pullover von Gretchen Scheffels Hand, den er gar nicht beachtete. Einen scheußlichen gelben Gummiball gab es, auf den er sich setzte, den er ritt und schließlich mit einem Küchenmesser anstach. Dann saugte er aus der Gummiwunde jenes ekelhaft süße Wasser, das sich in allen luftgekühlten Bällen niederschlägt. Kaum hatte der Ball seine nicht mehr zu vertreibende Beule, begann Kurtchen, das Segelschiff abzutakeln und in ein Wrack zu verwandeln. Unberührt, doch beängstigend handlich blieben Brummkreisel und Peitsche liegen.

Oskar, der seines Sohnes Geburtstag schon lange im voraus bedacht hatte, der mitten aus rabiatestem Zeitgeschehen gen Osten eilte, damit er den dritten Geburtstag seines Stammhalters nicht versäumte, er stand abseits, sah dem zerstörerischen Werk zu, bewunderte den resoluten Knaben, verglich seine körperlichen Ausmaße mit denen seines Sohnes, und etwas nachdenklich gestand ich mir ein: das Kurtchen ist dir während deiner Abwesenheit über den Kopf gewachsen, jene vierundneunzig Zentimeter, die du dir seit deinem fast siebzehn Jahre zurückliegenden dritten Geburtstag zu erhalten verstanden hast, überragt das Jüngelchen um glatte zwei bis drei Zentimeter; es ist an der Zeit, ihn zum Blechtrommler zu machen und jenem voreiligen Wachstum ein energisches »Genug!« zuzurufen.

Aus meinem Artistengepäck, das ich mit dem großen Bildungsbuch auf dem Trockenboden hinter den Dachpfannen versorgt hatte, holte ich ein blitzblank fabrikneues Blech und wollte meinem Sohn — da die Erwachsenen es nicht taten — dieselbe Chance bieten, die meine arme Mama, ein Versprechen haltend, mir an meinem dritten Geburtstag geboten hatte.

Mit gutem Grund durfte ich annehmen, daß Matzerath, der einst mich fürs Geschäft bestimmt hatte, nun, nach meinem Versagen, in Kurtchen den zukünftigen Kolonialwarenhändler sah. Wenn ich jetzt sage: Das mußte verhütet werden! sehen Sie bitte in Oskar keinen ausgemachten Feind des Einzelhandels. Ein mir oder meinem Sohn in Aussicht gestellter Fabrikkonzern, ein zu erbendes Königreich mit dazugehörenden Kolonien, hätte mich genauso handeln lassen. Oskar wollte nichts aus zweiter Hand übernehmen, wollte deshalb seinen Sohn zu ähnlichem Handeln bewegen, ihn — und hier lag mein Denkfehler — zum Blechtrommler einer permanenten Dreijährigkeit machen, als wäre die Übernahme einer Blechtrommel für einen jungen, hoffnungsvollen Menschen nicht gleich scheußlich wie die Übernahme eines Kolonialwarengeschäftes.

So denkt Oskar heute. Doch damals gab es für ihn nur ein einziges Wollen: es galt, einen trommelnden Sohn an die Seite eines trommelnden Vaters zu stellen, es galt, zweimal von unten her trommelnd, den Erwachsenen zuzuschauen, es galt, eine zeugungsfähige Trommlerdynastie zu begründen; denn mein Werk sollte von Generation zu Generation blechern und weißrot gelackt übermittelt werden.

Was für ein Leben stand uns bevor! Wir hätten nebeneinander aber auch in verschiedenen Zimmern, wir hätten Seite an Seite, aber auch er im Labesweg, ich in der Luisenstraße, er im Keller, ich auf dem Dachboden, Kurtchen in der Küche, Oskar auf dem Abtritt, Vater und Sohn hätten hier und dort und gelegentlich zusammen aufs Blech schlagen können, hätten bei günstiger Gelegenheit alle beide meiner Großmutter, seiner Urgroßmutter Anna Koljaiczek unter die Röcke schlüpfen, dort wohnen, trommeln und den Geruch leicht ranziger Butter einatmen können. Vor ihrer Pforte hockend, hätte ich zum Kurtchen gesagt: »Schau nur hinein, mein Sohn. Von dort her kommen wir. Und wenn du schön brav bist, dürfen wir für ein Stündchen oder länger zurück und die dort wartende Gesellschaft besuchen.«

Und das Kurtchen hätte sich unter den Röcken vorgebeugt, hätte ein Auge riskiert und mich, seinen Vater, höflich fragend um Erklärungen gebeten.

»Jene schöne Dame«, hätte Oskar geflüstert, »die dort in der Mitte sitzt, mit ihren schönen Händen spielt und ein so sanft ovales Gesicht hat, daß man weinen könnte, das ist meine arme Mama, deine gute Großmutter, die an einem Gericht Aalsuppe oder am eigenen übersüßen Herzen starb.«

»Weiter, Papa, weiter!« hätte das Kurtchen gedrängt. »Wer ist der Mann mit dem Schnauz?«

Geheimnisvoll hätte ich dann die Stimme gesenkt: »Das ist dein Urgroßvater, der Joseph Koljaiczek.

Achte auf seine flackernden Brandstifteraugen, auf die göttlich polnische Verstiegenheit und die praktisch kaschubische Verschlagenheit über seiner Nasenwurzel. Bemerke bitte auch die Schwimmhäute zwischen seinen Zehen. Im Jahre dreizehn, als die >Columbus< vom Stapel lief, geriet er unter ein Holzfloß, mußte lange schwimmen, bis er nach Amerika kam und dort Millionär wurde.

BOOK: Die Blechtrommel
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