Die Blechtrommel (30 page)

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Authors: Günter Grass

Tags: #Roman, #Klassiker

BOOK: Die Blechtrommel
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Es war einmal ein Spielzeughändler, der hieß Sigismund Markus und verkaufte unter anderem auch weißrot gelackte Blechtrommeln. Oskar, von dem soeben die Rede war, war der Hauptabnehmer dieser Blechtrommeln, weil er von Beruf Blechtrommler war und ohne Blechtrommel nicht leben konnte und wollte. Deshalb eilte er auch von der brennenden Synagoge fort zur Zeughauspassage, denn dort wohnte der Hüter seiner Trommeln; aber er fand ihn in einem Zustand vor, der ihm das Verkaufen von Blechtrommeln fortan oder auf dieser Welt unmöglich machte.

Sie, dieselben Feuerwerker, denen ich, Oskar, davongelaufen zu sein glaubte, hatten schon vor mir den Markus besucht, hatten Pinsel in Farbe getaucht und ihm quer übers Schaufenster in Sütterlinschrift das Wort Judensau geschrieben, hatten dann, vielleicht aus Mißvergnügen an der eigenen Handschrift, mit ihren Stiefelabsätzen die Schaufensterscheibe zertreten, so daß sich der Titel, den sie dem Markus angehängt hatten, nur noch erraten ließ. Die Tür verachtend, hatten sie durch das aufgebrochene Fenster in den Laden gefunden und spielten nun dort auf ihre eindeutige Art mit dem Kinderspielzeug.

Ich fand sie noch beim Spiel, als ich gleichfalls durch das Schaufenster in den Laden trat. Einige hatten sich die Hosen heruntergerissen, hatten braune Würste, in denen noch halbverdaute Erbsen zu erkennen waren, auf Segelschiffe, geigende Affen und meine Trommeln gedrückt. Sie sahen alle aus wie der Musiker Meyn, trugen Meyns SA-Uniform, aber Meyn war nicht dabei; wie ja auch diese, die hier dabei waren, woanders nicht dabei waren. Einer hatte seinen Dolch gezogen. Puppen schlitzte er auf und schien jedesmal enttäuscht zu sein, wenn nur Sägespäne aus den prallen Rümpfen und Gliedern quollen.

Ich sorgte mich um meine Trommeln. Meine Trommeln gefielen denen nicht. Mein Blech hielt ihren Zorn nicht aus, mußte still halten und ins Knie brechen. Markus aber war ihrem Zorn ausgewichen.

Als sie ihn in seinem Büro sprechen wollten, klopften sie nicht etwa an, brachen die Tür auf, obgleich die nicht verschlossen war.

Hinter seinem Schreibtisch saß der Spielzeughändler. Ärmelschoner trug er wie gewöhnlich über seinem dunkelgrauen Alltagstuch. Kopfschuppen auf den Schultern verrieten seine Haarkrankheit.

Einer, der Kasperlepuppen an den Fingern hatte, stieß ihn mit Kasperles Großmutter hölzern an, aber Markus war nicht mehr zu sprechen, nicht mehr zu kränken. Vor ihm auf der Schreibtischplatte stand ein Wasserglas, das auszuleeren ihm ein Durst gerade in jenem Augenblick geboten haben mußte, als die splitternd aufschreiende Schaufensterscheibe seines Ladens seinen Gaumen trocken werden ließ.

Es war einmal ein Blechtrommler, der hieß Oskar. Als man ihm den Spielzeughändler nahm und des Spielzeughändlers Laden verwüstete, ahnte er, daß sich gnomenhaften Blechtrommlern, wie er einer war, Notzeiten ankündigten. So klaubte er sich beim Verlassen des Ladens eine heile und zwei weniger beschädigte Trommeln aus den Trümmern, verließ so behängt die Zeughauspassage, um auf dem Kohlenmarkt seinen Vater zu suchen, der womöglich ihn suchte. Draußen war später Novembervormittag. Neben dem Stadttheater, nahe der Straßenbahnhaltestelle standen religiöse Frauen und frierende häßliche Mädchen, die fromme Hefte austeilten, Geld in Büchsen sammelten und zwischen zwei Stangen ein Transparent zeigten, dessen Aufschrift den ersten Korintherbrief, dreizehntes Kapitel zitierte. »Glaube — Hoffnung — Liebe« konnte Oskar lesen und mit den drei Wörtchen umgehen wie ein Jongleur mit Flaschen: Leichtgläubig, Hoffmannstropfen, Liebesperlen, Gutehoffnungshütte, Liebfrauenmilch, Gläubigerversammlung. Glaubst du, daß es morgen regnen wird? Ein ganzes leichtgläubiges Volk glaubte an den Weihnachtsmann. Aber der Weihnachtsmann war in Wirklichkeit der Gasmann. Ich glaube, daß es nach Nüssen riecht und nach Mandeln. Aber es roch nach Gas. Jetzt haben wir bald, glaube ich, den ersten Advent, hieß es. Und der erste, zweite bis vierte Advent wurden aufgedreht, wie man Gashähne aufdreht, damit es glaubwürdig nach Nüssen und Mandeln roch, damit alle Nußknacker getrost glauben konnten:

Er kommt! Er kommt! Wer kam denn? Das Christkindchen, der Heiland? Oder kam der himmlische Gasmann mit der Gasuhr unter dem Arm, die immer ticktick macht? Und er sagte: Ich bin der Heiland dieser Welt, ohne mich könnt ihr nicht kochen. Und er ließ mit sich reden, bot einen günstigen Tarif an, drehte die frischgeputzten Gashähnchen auf und ließ ausströmen den Heiligen Geist, damit man die Taube kochen konnte. Und verteilte Nüsse und Knackmandeln, die dann auch prompt geknackt wurden, und gleichfalls strömten sie aus: Geist und Gase, so daß es den Leichtgläubigen leichtfiel, inmitten dichter und bläulicher Luft in all den Gasmännern vor den Kaufhäusern Weihnachtsmänner zu sehen und Christkindchen in allen Größen und Preislagen. Und so glaubten sie an die alleinseligmachende Gasanstalt, die mit steigenden und fallenden Gasometern Schicksal versinnbildlichte und zu Normalpreisen eine Adventszeit veranstaltete, an deren vorauszusehende Weihnacht zwar viele glaubten, deren anstrengende Feiertage aber nur jene "überlebten, für die der Vorrat an Mandeln und Nüssen nicht ausreichen wollte — obgleich alle geglaubt hatten, es sei genug da.Aber nachdem sich der Glaube an den Weihnachtsmann als Glaube an den Gasmann herausgestellt hatte, versuchte man es, ohne auf die Reihenfolge des Korintherbriefes zu achten, mit der Liebe: Ich liebe dich, hieß es, oh, ich liebe dich. Liebst du dich auch? Liebst du mich, sag mal, liebst du mich wirklich? Ich liebe mich auch. Und aus lauter Liebe nannten sie einander Radieschen, liebten Radieschen, bissen sich, ein Radieschen biß dem anderen das Radieschen aus Liebe ab. Und erzählten sich Beispiele wunderbarer himmlischer, aber auch irdischer Liebe zwischen Radieschen und flüsterten kurz vorm Zubeißen frisch, hungrig und scharf: Radieschen, sag, liebst du mich? Ich liebe mich auch.

Aber nachdem sie sich aus Liebe die Radieschen abgebissen hatten und der Glaube an den Gasmann zur Staatsreligion erklärt worden war, blieb nach Glaube und vorweggenommener Liebe nur noch der dritte Ladenhüter des Korintherbriefes: die Hoffnung. Und während sie noch an Radieschen, Nüssen und Mandeln zu knabbern hatten, hofften sie schon, daß bald Schluß sei, damit sie neu anfangen konnten oder fortfahren, nach der Schlußmusik oder schon während der Schlußmusik hoffend, daß bald Schluß sei mit dem Schluß. Und wußten immer noch nicht, womit Schluß. Hofften nur, daß bald Schluß, schon morgen Schluß, heute hoffentlich noch nicht Schluß; denn was sollten sie anfangen mit dem plötzlichen Schluß. Und als dann Schluß war, machten sie schnell einen hoffnungsvollen Anfang daraus; denn hierzulande ist Schluß immer Anfang und Hoffnung in jedem, auch im endgültigen Schluß. So steht auch geschrieben: Solange der Mensch hofft, wird er immer wieder neu anfangen mit dem hoffnungsvollen Scheumachen. r Ich aber, ich weiß nicht. Ich weiß zum Beispiel nicht, wer sich heute unter den Braten der Weihnachtsmänner versteckt, weiß nicht, was Knecht Ruprecht im Sack hat, weiß nicht, wie man die Gashähne zudreht und abdrosselt; denn es strömt schon wieder Advent, oder immer noch, weiß nicht, probeweise, weiß nicht, für wen geprobt wird, weiß nicht, ob ich glauben kann, daß sie hoffentlich liebevoll die Gashähne putzen, damit sie krähen, weiß nicht, an welchem Morgen, an welchem Abend, weiß nicht, ob es auf Tageszeiten ankommt; denn die Liebe kennt keine Tageszeiten, und die Hoffnung ist ohne Ende, und der Glaube kennt keine Grenzen, nur das Wissen und das Nichtwissen sind an Zeiten und Grenzen gebunden und enden meistens vorzeitig schon bei den Braten, Rucksäcken, Knackmandeln, daß ich wiederum sagen muß: Ich weiß nicht, oh, weiß nicht, womit sie, zum Beispiel, die Därme füllen, wessen Gedärm nötig ist, damit es gefüllt werden kann, weiß nicht, womit, wenn auch die Preise für jede Füllung, fein oder grob, lesbar sind, weiß ich dennoch nicht, was im Preis mit einbegriffen, weiß nicht, aus welchen Wörterbüchern sie Namen für Füllungen klauben, weiß nicht, womit sie die Wörterbücher wie auch die Därme füllen, weiß nicht, wessen Fleisch, weiß nicht, wessen Sprache: Wörter bedeuten, Metzger verschweigen, ich schneide Scheiben ab, du schlägst die Bücher auf, ich lese, was mir schmeckt, du weißt nicht, was dir schmeckt: Wurstscheiben und Zitate aus Därmen und Büchern — und nie werden wir erfahren, wer still werden mußte, verstummen mußte, damit Därme gefüllt, Bücher laut werden konnten, gestopft, gedrängt, ganz dicht beschrieben, ich weiß nicht, ich ahne: Es sind dieselben Metzger, die Wörterbücher und Därme mit Sprache und Wurst füllen, es gibt keinen Paulus, der Mann hieß Saulus und war ein Saulus und erzählte als Saulus den Leuten aus Korinth etwas von ungeheuer preiswerten Würsten, die er Glaube, Hoffnung und Liebe nannte, als leicht verdaulich pries, die er heute noch, in immer wechselnder Saulusgestalt an den Mann bringt.

Mir aber nahmen sie den Spielzeughändler, wollten mit ihm das Spielzeug aus der Welt bringen.

Es war einmal ein Musiker, der hieß Meyn und konnte ganz wunderschön Trompete blasen.

Es war einmal ein Spielzeughändler, der hieß Markus und verkaufte weißrotgelackte Blechtrommeln.

Es war einmal ein Musiker, der hieß Meyn und hatte vier Katzen, deren eine Bismarck hieß.

Es war einmal ein Blechtrommler, der hieß Oskar und war auf den Spielzeughändler angewiesen.

Es war einmal ein Musiker, der hieß Meyn und erschlug seine vier Katzen mit dem Feuerhaken.

Es war einmal ein Uhrmacher, der hieß Laubschad und war Mitglied im Tierschutzverein.

Es war einmal ein Blechtrommler, der hieß Oskar, und sie nahmen ihm seinen Spielzeughändler.

Es war einmal ein Spielzeughändler, der hieß Markus und nahm mit sich alles Spielzeug aus dieser Welt.

Es war einmal ein Musiker, der hieß Meyn, und wenn er nicht gestorben ist, lebt er heute noch und bläst wieder wunderschön Trompete.

ZWEITES BUCH
SCHROTT

Besuchstag: Maria brachte mir eine neue Trommel. Als sie mir mit dem Blech zugleich die Quittung der Spielzeugwarenhandlung übers Bettgitter reichen wollte, winkte ich ab, drückte auf die Klingel am Kopfende des Bettes, bis Bruno, mein Pfleger, eintrat, das tat, was er immer zu tun pflegt, wenn Maria mir eine neue, in blauem Papier verpackte Blechtrommel bringt. Er löste die Verschnürung des Paketes, ließ das Packpapier auseinanderfallen, um es nach dem fast feierlichen Herausheben der Trommel sorgfältig zu falten. Dann erst schritt Bruno — und wenn ich schritt sage, meine ich Schreiten — zum Waschbecken schritt er mit dem neuen Blech, ließ warmes Wasser fließen und löste vorsichtig, ohne am weißen und roten Lack kratzen zu müssen, das Preisschildchen vom Trommelrand. Als Maria nach kurzem, nicht allzu anstrengendem Besuch gehen wollte, nahm sie das alte Blech, das ich während der Beschreibung des Truczinskischen Rückens, der hölzernen Galionsfigur und der vielleicht etwas zu eigenwilligen Auslegung des ersten Korintherbriefes zerschlagen hätte, mit sich, um es in unserem Keller all den verbrauchten Blechen, die mir zu teils beruflichen, teils privaten Zwecken gedient hatten, nahe zu legen.

Bevor Maria ging, sagte sie: »Na, viel Platz is nich mehr im Keller. Ich mecht mal bloß wissen, wo ich die Winterkartoffeln lagern soll.«

Lächelnd überhörte ich den Vorwurf der aus Maria sprechenden Hausfrau und bat sie, die ausgediente Trommel ordnungsgemäß mit schwarzer Tinte zu numerieren und die von mir auf einem Zettel notierten Daten und kurzgehaltenen Angaben über den Lebenslauf des Bleches in jenes Diarium zu übertragen, das schon seit Jahren an der Innenseite der Kellertür hängt und über meine Trommeln vom Jahre neunundvierzig an Bescheid weiß.

Maria nickte ergeben und verabschiedete sich mit einem Kuß von mir. Mein Ordnungssinn bleibt ihr weiterhin kaum begreiflich, auch etwas unheimlich. Oskar kann Marias Bedenken gut verstehen, weiß er doch selbst nicht, warum ihn eine derartige Pedanterie zum Sammler zerschlagener Blechtrommeln macht. Zudem ist es nach wie vor sein Wunsch, jenen Schrotthaufen im Kartoffelkeller der Bilker Wohnung nie wieder sehen zu müssen. Weiß er doch aus 'Erfahrung, daß Kinder die Sammlungen ihrer Väter mißachten, daß also sein Sohn Kurt auf all die unglückseligen Trommeln eines Tages, da er das Erbe antreten wird, bestenfalls pfeifen wird.

Was also läßt mich alle drei Wochen Maria gegenüber Wünsche äußern, die, wenn sie regelmäßig befolgt werden, eines Tages unseren Lagerkeller füllen, den Winterkartoffeln den Platz nehmen werden?

Die selten, ja immer seltener aufblitzende fixe Idee, es könnte sich eines Tages ein Museum für meine invaliden Instrumente interessieren, kam mir erst, als schon mehrere Dutzend Bleche im Keller lagen.

Hier also kann nicht der Ursprung meiner Sammelleidenschaft liegen. Vielmehr, und je genauer ich darüber nachdenke, um so wahrscheinlicher liegt der Begründung dieses Sammelsuriums der simple Komplex zugrunde: eines Tages könnten die Blechtrommeln ausgehen, rar werden, unter Verbot stehen, der Vernichtung anheimfallen. Eines Tages könnte sich Oskar gezwungen sehen, einige nicht allzu arg zugerichtete Bleche einem Klempner in Reparatur geben zu müssen, damit der mir helfe, mit den geflickten Veteranen eine trommellose und schreckliche Zeit zu überstehen.

Ähnlich, wenn auch mit anderen Ausdrücken äußern sich die Ärzte der Heil-und Pflegeanstalt über die Ursache meines Sammlertriebes. Fräulein Doktor Hornstetter wollte sogar den Tag wissen, der zum Geburtstag meines Komplexes wurde. Recht genau konnte ich ihr den neunten November achtunddreißig nennen, denn an jenem Tage verlor ich Sigismund Markus, den Verwalter meines Trommelmagazins. Wenn es schon nach dem Tod meiner armen Mama schwierig geworden war, pünktlich in den Besitz einer neuen Trommel zu gelangen, da die Donnerstagsbesuche in der Zeughauspassage zwangsläufig aufhörten, Matzerath sich nur nachlässig um meine Instrumente kümmerte, Jan Bronski jedoch immer seltener ins Haus kam, um wieviel hoffnungsloser gestaltete sich meine Lage, als man das Geschäft des Spielzeughändlers zertrümmerte und der Anblick des am aufgeräumten Schreibtisch sitzenden Markus mir deutlich machte: der Markus schenkt dir keine Trommel mehr, der Markus handelt nicht mehr mit Spielzeug, der Markus hat für immer die Geschäftsbeziehungen zu jener Firma abgebrochen, die dir bisher die schöngelackten weißroten Trommeln fabrizierte und lieferte.

Dennoch wollte ich damals nicht glauben, daß mit dem Ende des Spielzeughändlers jene frühe, oder verhältnismäßig heitere Spielzeit ihr Ende gefunden hatte, klaubte mir vielmehr aus dem in einen Trümmerhaufen verwandelten Geschäft des Markus eine heile und zwei nur am Rand verbeulte Bleche, trug die Beute nach Hause und glaubte, Vorsorge getroffen zu haben.

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