Zodiac (7 page)

Read Zodiac Online

Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
6.59Mb size Format: txt, pdf, ePub

Die Polizei vernahm Dean und Leigh eine Stunde lang, ohne ihnen gleich alles zu erzählen, was passiert war.

»Wir haben erfahren, dass sie einen Freund hatte«, sagte einer der Detectives zu Dean.

»Na ja, Dean wollte das alles gar nicht hören«, erzählte Carmela später. »Er wollte es einfach nicht wahrhaben. Immer wieder sagte einer von uns zu ihm: ›Junge, du solltest dich mal darum kümmern, mit wem sie dauernd ausgeht. ‹ Aber er sagte nur: ›Sie macht bestimmt nichts Verkehrtes. Sie hat keinen Freund. Sie ist eben jung und muss sich ein bisschen austoben.‹ Er hat sie wirklich geliebt und sie immer in Schutz genommen, wenn andere etwas über sie gesagt haben. Als es dann immer ärger wurde, zog er sich einfach zurück. Ich glaube, in den letzten Monaten hat er überhaupt nichts mehr von ihr gewusst.«

»Ich kann mir absolut keinen Grund vorstellen«, sagte Bill Leigh gegenüber der Polizei, »warum irgendjemand Darlene umbringen sollte.«

Der offizielle Polizeibericht von Bills Vernehmung in Zimmer 28 des Police Departments Vallejo hatte folgenden Wortlaut:

William sagte aus, dass sie viel ausging und sich wahrscheinlich auch mit anderen Männern getroffen habe. Er konnte keine Namen nennen, betonte aber, dass sie oft erst spätnachts nach Hause gekommen sei. Einige seiner Freunde hätten ihm erzählt, dass sie Darlene an verschiedenen Plätzen mit anderen Männern gesehen hätten. William wies darauf hin, dass Dean sie ausgehen ließ, so oft und so lange sie wollte, und dass er nicht glaubte, dass sie ihn betrügen würde.

William gab außerdem an, dass er sich an einen Mann erinnerte, der nur als »Paul« bekannt war (der Name wurde geändert) und dem Dean einen Ford-Pick-up verkauft hatte. Dieser Paul soll, so William, mehrmals versucht haben, Darlene zu überreden, mit ihm auszugehen. Sie wollte aber angeblich nichts mit ihm zu tun haben, worauf er sichtlich verbittert und frustriert reagierte. William betonte, dass er diesen Paul seines Wissens nie persönlich getroffen habe und auch nicht wisse, wo der Mann wohnt oder arbeitet. Er habe allerdings gehört, dass er Barkeeper sei (…) und dass der Mann oft in der Bar (Jack’s Hangout) neben Darlenes altem Haus in der Wallace Street anzutreffen sei. Und er soll oft zu Darlene nach Hause gekommen sein und sie gedrängt haben, mit ihm auszugehen.

Bobbie Ramos erfuhr schon eine Viertelstunde nach Mitternacht von Officer Howard »Buzz« Gordon, einem gemeinsamen Freund von Darlene und Bobbie, was passiert war. »Er rief mich in der Arbeit an und sagte es mir. Ich glaube, er hat vom Revier aus angerufen«, erzählte sie mir später. Um halb drei kam Sergeant Rust in Terry’s Restaurant, um mit Darlenes Kolleginnen und Kollegen zu sprechen.

Bobbie Ramos kam als Erste an die Reihe. Sie hatte einige Abende zusammen mit Darlene im Coronado Inn verbracht, wo sie gern tanzte. Der einzige Freund von Darlene, von dem Bobbie wusste, war Mike. Nach Darlenes Tod wechselte Bobbie, die bis dahin in einem nicht allzu gut besuchten Bereich des Restaurants gearbeitet hatte, in den großen Speisesaal, wo sie meist von zweihundert Leuten umgeben war.

Als Nächstes sprach Rust mit Evelyn Olson, die behauptete, Darlene habe ihr erzählt, dass ihre Ehe praktisch am Ende sei. »Darlene glaubte, dass ihr Mann sie nicht mehr liebte. Das sagte sie mir kurz vor Weihnachten, und danach begann sie mit anderen Männern auszugehen. Darlene hatte viele Freunde, aber es war nichts Ernstes«, meinte Evelyn.

Kurz nach drei Uhr nachts sprach Rust mit Lois McKee, der Köchin, die ihm erzählte, dass Darlene zwar viele männliche Freunde gehabt habe, dass sie aber meistens mit Mike zusammen gewesen wäre. So hätten die beiden etwa auch im vergangenen Monat einen gemeinsamen Ausflug nach San Francisco unternommen.

Harley Scalley, der Manager, bestätigte, dass Darlene »sich mit vielen Männern abgab.« »Ist Darlene mit vielen Männern ausgegangen?«, fragte ich Lynch später, und er antwortete: »Oh ja, mit allen möglichen Typen. Sie war ein richtiger Feger.«

Auffällig war jedoch, dass sich Bobbie, Evelyn und Lois an einen eher kleinen stämmigen Mann erinnerten, der Darlene immer wieder gedrängt habe, mit ihm auszugehen. Der Mann, der angeblich einen pinkfarbenen Pick-up und einen braunen Wagen, möglicherweise einen Corvair, fuhr, »konnte es nur schwer ertragen, dass sie ihn abwies.« Die Frauen wussten nicht, wie der Mann mit Nachnamen hieß, aber sie waren sicher, dass er als Barkeeper arbeitete und dass er mit Vornamen Paul hieß.

 
 

Um halb vier Uhr wurde Darlenes Leiche ins Twin-Chapels-Leichenhaus gebracht, wo Fotos angefertigt wurden.

»Ich war schwanger damals«, erinnerte sich Darlenes Schwester Linda, »und ich ging in die Leichenhalle, und da lag sie auf so einem Tisch. ›Sie ist noch nicht so weit‹, sagten sie mir, aber ich wollte sie unbedingt sofort sehen. Ich ließ mich durch nichts und niemanden davon abhalten und berührte sie … und ich werde nie vergessen, wie sie sich angefühlt hat - wie eine Puppe, oder wie aus Marmor. Ihr Haar war orange und an ihrem Mund klebte immer noch Blut. Sie hatten ihren Mund genäht, aber das Blut war immer noch dran. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte sie nicht so gesehen, aber ich wollte es damals unbedingt, und darum tat ich es auch.«

Lynch war um sieben Uhr morgens immer noch draußen in Blue Rock Springs. »Wir suchten immer noch die Gegend ab, um vielleicht noch irgendetwas Brauchbares zu finden. Ed Cruz zeichnete eine Skizze von der gesamten Umgebung des Tatorts. Sie holten eine völlig unbeschädigte Kugel aus dem Wagen, die nach dem Austritt aus ihrem Körper im Autositz stecken geblieben war.«

Die Detectives fanden außerdem neun Patronenhülsen vom Kaliber 9 Millimeter und sieben 9-Millimeter-Kugeln in unterschiedlichem Zustand. Da der Mörder also mindestens neun und höchstens dreizehn Schüsse abgegeben hatte, ohne nachzuladen, nahmen sie an, dass es sich bei der Waffe mit großer Wahrscheinlichkeit um eine Browning handeln musste (Smith und Wesson stellte die M59 her, eine 9 Millimeter Parabellum, die mit einem modifizierten Browning-System arbeitete und eine Magazinkapazität von 14 Patronen aufwies. Diese Pistole ist vor allem als Polizeiwaffe gedacht). Alle anderen halb automatischen Pistolen (Star, Smith and Wesson, Astra, Llama, Neuhausen, Zbrojovka, Husqvarna, Esperanza und die Parabellum von Luger) hatten lediglich eine Kapazität von sieben oder acht Kugeln. Die Browning 1935 High Power (FN GP35), die seit dem Zweiten Weltkrieg von der John Inglis Company in Kanada hergestellt wird und von der kanadischen Army verwendet wird, enthält dreizehn Patronen in einem zweireihigen Magazin.

Rust traf mit der immer noch ziemlich mitgenommenen Linda und ihrem Mann in Blue Rock Springs ein. Linda erzählte Lynch, dass die drei engsten Freunde von Darlene Deans Cousine Sue, Bobbie (»die Blonde im Terry’s«) und ein Mann namens Bob gewesen wären. Letzterer habe ihr immer Geschenke aus Tijuana mitgebracht. Linda erwähnte auch einen gewissen Paul, der sie immer wieder gedrängt hätte, mit ihm auszugehen. »Darlene hat ihn aber nicht besonders gemocht. Er zog sich gut an, war klein, stämmig und hatte dunkle Haare«, erzählte sie. »Er hat Darlene oft besucht, ihm lag offenbar viel an ihr.«

Lynch sprach auch mit Mikes Vater, der die Nacht des Verbrechens in Kenwig’s Motel verbracht hatte. »Darlene hat am Freitag mehrmals angerufen«, berichtete er. Mikes Zwillingsbruder war angeblich vier oder fünf Wochen vor Darlenes Tod nach L. A. gezogen, doch dazu gab es unterschiedliche Aussagen.

Um 8.25 Uhr wurde Mike zunächst an seinem gebrochenen Kiefer und am linken Bein operiert. Eine Kugel wurde vom operierenden Arzt aus dem Oberschenkel entfernt und in einem Glasfläschchen an Lynch geschickt. Der schwierigste Eingriff war der an seinem Arm, weil es hier zu Knochenabsplitterungen gekommen war. Außerdem hatte die Zungenverletzung zur Folge, dass Mike nur unter allergrößten Schmerzen sprechen konnte.

Um 9.30 Uhr nahm John Sparks von der kriminaltechnischen Abteilung in der Polizeiwerkstatt eine gründliche Untersuchung an dem Wagen vor, den Darlene gefahren hatte.

Um 11.15 Uhr fuhren Lynch und Rust zum Haus der Familie Suennen. Darlenes Vater Leo gab an, dass seine Tochter zwar seines Wissens keine Feinde gehabt habe, dass es ihm aber so vorgekommen sei, als habe sie »manchmal Angst vor Mageau« gehabt.

Obwohl Mike unter dem Einfluss starker Beruhigungsmittel stand, wurde er schließlich an seinem Krankenhausbett von Lynch befragt. Er betonte, dass es dunkel gewesen sei, sodass man nur schwer etwas erkennen habe können. Mühsam berichtete er Lynch, was sich in dieser tragischen Nacht des vierten Juli zugetragen hatte. In einem Punkt sollte Mike seinen Bericht später ändern: »Darlene hat mich um zwanzig vor zwölf abgeholt«, behauptete er, »und weil wir beide Hunger hatten, fuhren wir auf der Springs Road nach Vallejo, aber als wir zu Mr. Ed’s kamen, kehrten wir auf meinen Vorschlag hin um und fuhren nach Blue Rock Springs, um zu reden.«

Durch eine vertrauliche Mitteilung erfuhr ich von einer weiteren Ungereimtheit in Mikes Geschichte. Sue Ayers, die in einer Anwaltskanzlei tätig war, erzählte mir, sie habe im Krankenhaus mit Mike gesprochen und von ihm erfahren, dass Darlene mit einem anderen Mann Streit gehabt hätte, während er, Mike, vor Terry’s Restaurant in ihrem Wagen gesessen habe. Dieser Mann sei ihnen später nach Blue Rock Springs gefolgt, wo die Auseinandersetzung weiterging. Und in der Folge hätte der Mann dann auf sie beide geschossen. Mike sagte ihr außerdem, dass sie »mindestens ab dem Zeitpunkt, als sie mich zu Hause abholte«, verfolgt wurden.

In weiteren Gesprächen sagte Mike aus, dass der Mörder ein blaues Hemd oder einen Sweater trug, dass er knapp fünfundsiebzig Kilo wog und dass sein Haar in einer Art Tolle zurückgekämmt war. Was den Wagen des Mannes betraf, so behauptete er später, dass es sich um einen hellbraunen Chevy gehandelt haben könnte.

Darlenes Schwester Pam behauptete, dass Mike ihr im Krankenhaus erzählt habe, dass »der Kerl auf ihren Wagen zukam und zu schießen begann. Er musste Darlene gekannt haben, weil er sie mit ihrem Namen ansprach. Ihre engsten Freunde nannten sie ›Dee‹ - und genau diesen Namen verwendete er auch.«

»Was glauben Sie, warum Mike offensichtlich gewisse Dinge der Polizei nicht erzählen will?«, fragte ich Pam später.

»Na ja, er war in Darlene verliebt«, meinte sie. »Mike hat ihr Briefe geschrieben. Nach Darlenes Tod fanden sie drei Briefe von Mike - jeder mit einem anderen Namen unterschrieben. Mike gab sich gern als jemand anders aus.«

Die Polizei rief die beiden jungen Babysitterinnen an und forderte sie auf, auf das Polizeirevier zu kommen.

»Sie wollten unbedingt etwas Bestimmtes von uns hören«, erzählte mir Janet einige Jahre später. »Wenn wir irgendetwas sagten, unterbrachen sie uns gleich und behaupteten, dass es nicht so gewesen sein könne, und wir gaben dann lieber nach. Ich war damals vierzehn - und mit vierzehn widerspricht man einem Polizisten nicht so schnell. Es ist schon komisch … wenn sie einen aufs Revier kommen lassen, hat man noch Wochen später Albträume davon.«

»Hier in dem Bericht«, sagte Lynch, »steht, dass Darlene um elf Uhr nach Hause gekommen ist und das Haus aufgeräumt hat.«

»Nein«, erwiderte Janet, »es war bestimmt so fünf nach halb zwölf.«

»Was in dem Polizeibericht steht«, behauptete Janet, »das stimmt ganz einfach nicht. Die Polizisten wollten uns einreden, dass sie um elf Uhr heimgekommen sein musste, und wir sagten, dass es später war. Aber sie machten sich nicht einmal die Mühe, unsere Aussage niederzuschreiben. Wann, sagen Sie, wurde sie erschossen? Um Mitternacht? Sie ist erst kurz vor Mitternacht wieder losgefahren. Ich weiß es noch so genau, weil wir uns gerade eine Sendung ansahen, die erst kurz vor Mitternacht anfängt. Wie soll sie denn da fünf Minuten später schon dort gewesen sein, wo es passiert ist? Noch dazu hat sie vorher jemanden abgeholt. Wir dachten, das wäre schon wichtig. Man kann doch unmöglich so schnell dort sein, wo es passiert ist.«

Es sei denn, man wird verfolgt und hat es deshalb sehr eilig.

So wie bei den Morden in der Lake Herman Road lag auch in diesem Fall keine sexuelle Belästigung und kein Raub vor. So wie damals feuerte der Mörder einen Kugelhagel ab und ließ keine brauchbaren Reifenspuren oder Fußabdrücke zurück. Der Mörder musste sich in Vallejo sehr gut auskennen. Konnte es sein, dass er in der Stadt lebte, dass er vielleicht sogar ein Nachbar von Betty Lou Jensen oder David Faraday war oder alle Opfer gut kannte?

Lynch unterhielt sich mit Lundblad, der beide Verbrechen miteinander verglich und zur Auffassung kam, dass es sich bei dem Anruf bei der Polizei nicht um ein Ablenkungsmanöver handelte. Lundblad wies auch in den Medien auf die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Fällen hin, ohne jedoch den Anruf zu erwähnen oder näher auf das Beweismaterial einzugehen.

Ein Polizist aus Vallejo, der sich gelegentlich mit Darlene getroffen hatte und deshalb unter Verdacht geriet, wurde von Lynch entlastet, verließ aber nicht lange danach die Dienststelle.

 

Sonntag, 6. Juli 1969

 

Fünf Minuten nach Mitternacht traf Mikes Mutter Carmen, die in Los Angeles lebte, in Vallejo ein. Sie und Mikes Bruder sprachen sofort mit Lynch. »Soweit ich weiß, hatte Darlene keine Feinde«, gab Mikes Zwillingsbruder an.

Danach riefen ein Mann und sein Sohn bei Lynch an und teilten ihm mit, dass sie am 4. Juli um 22.30 Uhr auf dem Parkplatz von Terry’s Restaurant einen Streit zwischen einem Mann und einer Frau beobachtet hätten. Der Mann war etwa dreißig, etwas über einsachtzig groß und gut achtzig Kilo schwer. Er hatte aschblondes Haar, das glatt zurückgekämmt war.

Um 18.45 Uhr sprach Lynch mit den drei Teenagern, die kurz nach dem Verbrechen zum Tatort gekommen waren. Um 19 Uhr holte Darlenes Vater Christina und die beiden Babysitterinnen ab, damit sie sich alle zusammen in Darlenes Haus mit Lynch und Rust treffen konnten.

Lynch, der inzwischen zum Chefermittler des Mordfalls bestellt worden war, zog jedes mögliche Motiv, von Eifersucht bis Rachsucht, in Erwägung, ohne damit jedoch einen Schritt weiterzukommen. Angesichts des eigenartigen Telefonanrufs ging der Detective bei seiner Suche von einem wahnsinnigen Täter aus.

»Sie war wirklich ein schönes Mädchen«, sagte Lynch bedauernd. »Ich war bei der Autopsie dabei. Ich hatte damals keinen einzigen freien Tag. Das Verbrechen hat damals ganz Vallejo erschüttert, vor allem, nachdem ein halbes Jahr vorher die beiden anderen jungen Leute ermordet worden waren.«

Other books

First Strike by Jack Higgins
Submersion by Guy A Johnson
Kings and Assassins by Lane Robins
The Colonel's Mistake by Dan Mayland