The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (29 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
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Viel zu weit gehörst du in’s Leiden. Vergäßest

du die geringste der maßlos erschmerzten Gestalten,

riefst du, schrieest, hoffend auf frühere Neugier,

einen der Engel herbei, der mühsam verdunkelten Ausdrucks

leidunmächtig, immer wieder versuchend,

dir dein Schluchzen damals, um jene, beschriebe.

Engel wie wars? Und er ahmte dir nach und verstünde

nicht daß es Schmerz sei, wie man dem rufenden Vogel

nachformt, die ihn erfüllt, die schuldlose Stimme.

GEGEN-STROPHEN

Oh, daß ihr hier, Frauen, einhergeht,

hier unter uns, leidvoll,

nicht geschonter als wir und dennoch imstande,

selig zu machen wie Selige.

Woher,

wenn der Geliebte erscheint,

nehmt ihr die Zukunft?

Mehr, als je sein wird.

Wer die Entfernungen weiß

bis zum äußersten Fixstern,

staunt, wenn er diesen gewahrt,

euern herrlichen Herzraum.

Wie, im Gedräng, spart ihr ihn aus?

Ihr, voll Quellen und Nacht.

Seid ihr wirklich die gleichen,

die, da ihr Kind wart,

unwirsch im Schulgang

anstieß der ältere Bruder?

Ihr Heilen.

               Wo wir als Kinder uns schon

               häßlich für immer verzerrn,

               wart ihr wie Brot vor der Wandlung.

Abbruch der Kindheit

war euch nicht Schaden. Auf einmal

standet ihr da, wie im Gott

plötzlich zum Wunder ergänzt.

               Wir, wie gebrochen vom Berg,

               oft schon als Knaben scharf

               an den Rändern, vielleicht

               manchmal glücklich behaun;

               wir, wie Stücke Gesteins,

               über Blumen gestürzt.

Blumen des tieferen Erdreichs,

von allen Wurzeln geliebte,

ihr, der Eurydike Schwestern,

immer voll heiliger Umkehr

hinter dem steigenden Mann.

               Wir, von uns selber gekränkt,

               Kränkende gern und gern

               Wiedergekränkte aus Not.

               Wir, wie Waffen, dem Zorn

               neben den Schlaf gelegt.

Ihr, die ihr beinah Schutz seid, wo niemand

schützt. Wie ein schattiger Schlafbaum

ist der Gedanke an euch

für die Schwärme des Einsamen.

FROM
SONETTE AN ORPHEUS

(1923)

Notes

Written as a monument for Vera Ouckama Knoop

Château de Muzot, February 1922

I,
I

Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!

O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!

Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung

ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

Tiere aus Stille drangen aus dem klaren

gelösten Wald von Lager und Genist;

und da ergab sich, daß sie nicht aus List

und nicht aus Angst in sich so leise waren,

sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr

schien klein in ihren Herzen. Und wo eben

kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,

ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen

mit einem Zugang, dessen Pfosten beben,—

da schufst du ihnen Tempel im Gehör.

I,
2

Und fast ein Mädchen wars und ging hervor

aus diesem einigen Glück von Sang und Leier

und glänzte klar durch ihre Frühlingsschleier

und machte sich ein Bett in meinem Ohr.

Und schlief in mir. Und alles war ihr Schlaf.

Die Bäume, die ich je bewundert, diese

fühlbare Ferne, die gefühlte Wiese

und jedes Staunen, das mich selbst betraf.

Sie schlief die Welt. Singender Gott, wie hast

du sie vollendet, daß sie nicht begehrte,

erst wach zu sein? Sieh, sie erstand und schlief.

Wo ist ihr Tod? O, wirst du dies Motiv

erfinden noch, eh sich dein Lied verzehrte?—

Wo sinkt sie hin aus mir? … Ein Mädchen fast.…

I,
3

Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll

ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?

Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier

Herzwege steht kein Tempel für Apoll.

Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,

nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;

Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.

Wann aber
sind
wir? Und wann wendet
er

an unser Sein die Erde und die Sterne?

Dies
ists
nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch

die Stimme dann den Mund dir aufstößt,—lerne

vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.

In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.

Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.

I,
5

Errichtet keinen Denkstein. Laßt die Rose

nur jedes Jahr zu seinen Gunsten blühn.

Denn Orpheus ists. Seine Metamorphose

in dem und dem. Wir sollen uns nicht mühn

um andre Namen. Ein für alle Male

ists Orpheus, wenn es singt. Er kommt und geht.

Ists nicht schon viel, wenn er die Rosenschale

um ein paar Tage manchmal übersteht?

O wie er schwinden muß, daß ihrs begrifft!

Und wenn ihm selbst auch bangte, daß er schwände.

Indem sein Wort das Hiersein übertrifft,

ist er schon dort, wohin ihrs nicht begleitet.

Der Leier Gitter zwängt ihm nicht die Hände.

Und er gehorcht, indem er überschreitet.

I,
7

Rühmen, das ists! Ein zum Rühmen Bestellter,

ging er hervor wie das Erz aus des Steins

Schweigen. Sein Herz, o vergängliche Kelter

eines den Menschen unendlichen Weins.

Nie versagt ihm die Stimme am Staube,

wenn ihn das göttliche Beispiel ergreift.

Alles wird Weinberg, alles wird Traube,

in seinem fühlenden Süden gereift.

Nicht in den Grüften der Könige Moder

straft ihm die Rühmung lügen, oder

daß von den Göttern ein Schatten fällt.

Er ist einer der bleibenden Boten,

der noch weit in die Türen der Toten

Schalen mit rühmlichen Früchten hält.

I,
8

Nur im Raum der Rühmung darf die Klage

gehn, die Nymphe des geweinten Quells,

wachend über unserm Niederschlage,

daß er klar sei an demselben Fels,

der die Tore trägt und die Altäre.—

Sieh, um ihre stillen Schultern früht

das Gefühl, daß sie die jüngste wäre

unter den Geschwistern im Gemüt.

Jubel
weiß
, und Sehnsucht ist geständig,—

nur die Klage lernt noch; mädchenhändig

zählt sie nächtelang das alte Schlimme.

Aber plötzlich, schräg und ungeübt,

hält sie doch ein Sternbild unsrer Stimme

in den Himmel, den ihr Hauch nicht trübt.

I,
25

Dich
aber will ich nun,
Dich
, die ich kannte

wie eine Blume, von der ich den Namen nicht weiß

noch
ein
Mal erinnern und ihnen zeigen, Entwandte,

schöne Gespielin des unüberwindlichen Schrei’s.

Tänzerin erst, die plötzlich, den Körper voll Zögern,

anhielt, als göß man ihr Jungsein in Erz;

trauernd und lauschend—. Da, von den hohen Vermögern

fiel ihr Musik in das veränderte Herz.

Nah war die Krankheit. Schon von den Schatten bemächtigt,

drängte verdunkelt das Blut, doch, wie flüchtig verdächtigt,

trieb es in seinen natürlichen Frühling hervor.

Wieder und wieder, von Dunkel und Sturz unterbrochen,

glänzte es irdisch. Bis es nach schrecklichem Pochen

trat in das trostlos offene Tor.

II,
4

O dieses ist das Tier, das es nicht giebt.

Sie wußtens nicht und habens jeden Falls

—sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,

bis in des stillen Blickes Licht—geliebt.

Zwar
war
es nicht. Doch weil sie’s liebten, ward

ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.

Und in dem Raume, klar und ausgespart,

erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum

zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,

nur immer mit der Möglichkeit, es sei.

Und die gab solche Stärke an das Tier,

daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.

Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei—

und war im Silber-Spiegel und in ihr.

II,
8

Wenige ihr, der einstigen Kindheit Gespielen

in den zerstreuten Gärten der Stadt:

wie wir uns fanden und uns zögernd gefielen

und, wie das Lamm mit dem redenden Blatt,

sprachen als Schweigende. Wenn wir uns einmal freuten,

keinem gehörte es. Wessen wars?

Und wie zergings unter allen den gehenden Leuten

und im Bangen des langen Jahrs.

Wagen umrollten uns fremd, vorübergezogen,

Häuser umstanden uns stark, aber unwahr,—und keines

kannte uns je.
Was
war wirklich im All?

Nichts. Nur die Bälle. Ihre herrlichen Bogen.

Auch nicht die Kinder … Aber manchmal trat eines,

ach ein vergehendes, unter den fallenden Ball.

(
In memoriam Egon von Rilke
)

II,
13

Sei allem Abschied voran, als wäre er hinter

dir, wie der Winter, der eben geht.

Denn unter Wintern ist einer so endlos Winter,

daß, überwinternd, dein Herz überhaupt übersteht.

Sei immer tot in Eurydike—, singender steige,

preisender steige zurück in den reinen Bezug.

Hier, unter Schwindenden, sei, im Reiche der Neige,

sei ein klingendes Glas, das sich im Klang schon zerschlug.

Sei—und wisse zugleich des Nicht-Seins Bedingung,

den unendlichen Grund deiner innigen Schwingung,

daß du sie völlig vollziehst dieses einzige Mal.

Zu dem gebrauchten sowohl, wie zum dumpfen und stummen

Vorrat der vollen Natur, den unsäglichen Summen,

zähle dich jubelnd hinzu und vernichte die Zahl.

II,
14

Siehe die Blumen, diese dem Irdischen treuen,

denen wir Schicksal vom Rande des Schicksals leihn,—

aber wer weiß es! Wenn sie ihr Welken bereuen,

ist es an uns, ihre Reue zu sein.

Alles will schweben. Da gehn wir umher wie Beschwerer,

legen auf alles uns selbst, vom Gewichte entzückt;

o was sind wir den Dingen für zehrende Lehrer,

weil ihnen ewige Kindheit glückt.

Nähme sie einer ins innige Schlafen und schliefe

tief mit den Dingen—: o wie käme er leicht,

anders zum anderen Tag, aus der gemeinsamen Tiefe.

Oder er bliebe vielleicht; und sie blühten und priesen

ihn, den Bekehrten, der nun den Ihrigen gleicht,

allen den stillen Geschwistern im Winde der Wiesen.

II,
23

Rufe mich zu jener deiner Stunden,

die dir unaufhörlich widersteht:

flehend nah wie das Gesicht von Hunden,

aber immer wieder weggedreht,

wenn du meinst, sie endlich zu erfassen.

So Entzognes ist am meisten dein.

Wir sind frei. Wir wurden dort entlassen,

wo wir meinten, erst begrüßt zu sein.

Bang verlangen wir nach einem Halte,

wir zu Jungen manchmal für das Alte

und zu alt für das, was niemals war.

Wir, gerecht nur, wo wir dennoch preisen,

weil wir, ach, der Ast sind und das Eisen

und das Süße reifender Gefahr.

II,
24

O diese Lust, immer neu, aus gelockertem Lehm!

Niemand beinah hat den frühesten Wagern geholfen.

Städte entstanden trotzdem an beseligten Golfen,

Wasser und Öl füllten die Krüge trotzdem.

Götter, wir planen sie erst in erkühnten Entwürfen,

die uns das mürrische Schicksal wieder zerstört.

Aber sie sind die Unsterblichen. Sehet, wir dürfen

jenen erhorchen, der uns am Ende erhört.

Wir, ein Geschlecht durch Jahrtausende: Mütter und Väter,

immer erfüllter von dem künftigen Kind,

daß es uns einst, übersteigend, erschüttere, später.

Wir, wir unendlich Gewagten, was haben wir Zeit!

Und nur der schweigsame Tod, der weiß, was wir sind

und was er immer gewinnt, wenn er uns leiht.

II,
28

O komm und geh. Du, fast noch Kind, ergänze

für einen Augenblick die Tanzfigur

zum reinen Sternbild einer jener Tänze,

darin wir die dumpf ordnende Natur

vergänglich übertreffen. Denn sie regte

sich völlig hörend nur, da Orpheus sang.

Du warst noch die von damals her Bewegte

und leicht befremdet, wenn ein Baum sich lang

besann, mit dir nach dem Gehör zu gehn.

Du wußtest noch die Stelle, wo die Leier

sich tönend hob—; die unerhörte Mitte.

Für sie versuchtest du die schönen Schritte

und hofftest, einmal zu der heilen Feier

des Freundes Gang und Antlitz hinzudrehn.

II,
29

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