The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke (25 page)

BOOK: The Selected Poetry of Rainer Maria Rilke
2.07Mb size Format: txt, pdf, ePub

Wie der Seemann schweigt, der ältere,

und die bestandenen

Schrecken spielen in ihm wie in zitternden Käfigen.

AN HÖLDERLIN

Verweilung, auch am Vertrautesten nicht,

ist uns gegeben; aus den erfüllten

Bildern stürzt der Geist zu plötzlich zu füllenden; Seeen

sind erst im Ewigen. Hier ist Fallen

das Tüchtigste. Aus dem gekonnten Gefühl

überfallen hinab ins geahndete, weiter.

Dir, du Herrlicher, war, dir war, du Beschwörer, ein ganzes

Leben das dringende Bild, wenn du es aussprachst,

die Zeile schloß sich wie Schicksal, ein Tod war

selbst in der lindesten, und du betratest ihn; aber

der vorgehende Gott führte dich drüben hervor.

O du wandelnder Geist, du wandelndster! Wie sie doch alle

wohnen im warmen Gedicht, häuslich, und lang

bleiben im schmalen Vergleich. Teilnehmende. Du nur

ziehst wie der Mond. Und unten hellt und verdunkelt

deine nächtliche sich, die heilig erschrockene Landschaft,

die du in Abschieden fühlst. Keiner

gab sie erhabener hin, gab sie ans Ganze

heiler zurück, unbedürftiger. So auch

spieltest du heilig durch nicht mehr gerechnete Jahre

mit dem unendlichen Glück, als wär es nicht innen, läge

keinem gehörend im sanften

Rasen der Erde umher, von göttlichen Kindern verlassen.

Ach, was die Höchsten begehren, du legtest es wunschlos

Baustein auf Baustein: es stand. Doch selber sein Umsturz

irrte dich nicht.

Was, da ein solcher, Ewiger, war, mißtraun wir

immer dem Irdischen noch? Statt am Vorläufigen ernst

die Gefühle zu lernen für welche

Neigung, künftig im Raum?

[Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens]

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,

siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,

aber wie klein auch, noch ein letztes

Gehöft von Gefühl. Erkennst du’s?

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund

unter den Händen. Hier blüht wohl

einiges auf; aus stummem Absturz

blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.

Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann

und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.

Da geht wohl, heilen Bewußtseins,

manches umher, manches gesicherte Bergtier,

wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel

kreist um der Gipfel reine Verweigerung.—Aber

ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens.…

DER TOD

Da steht der Tod, ein bläulicher Absud

in einer Tasse ohne Untersatz.

Ein wunderlicher Platz für eine Tasse:

steht auf dem Rücken einer Hand. Ganz gut

erkennt man noch an dem glasierten Schwung

den Bruch des Henkels. Staubig. Und: >
Hoff-nung
<

an ihrem Bug in aufgebrauchter Schrift.

Das hat der Trinker, den der Trank betrifft,

bei einem fernen Frühstück ab-gelesen.

Was sind denn das für Wesen,

die man zuletzt wegschrecken muß mit Gift?

Blieben sie sonst? Sind sie denn hier vernarrt

in dieses Essen voller Hindernis?

Man muß ihnen die harte Gegenwart

ausnehmen, wie ein künstliches Gebiß.

Dann lallen sie. Gelall, Gelall.…

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

O Sternenfall,

von einer Brücke einmal eingesehn—:

Dich nicht vergessen. Stehn!

AN DIE MUSIK

Musik: Atem der Statuen. Vielleicht:

Stille der Bilder. Du Sprache wo Sprachen

enden. Du Zeit,

die senkrecht steht auf der Richtung vergehender Herzen.

Gefühle zu wem? O du der Gefühle

Wandlung in was?—: in hörbare Landschaft.

Du Fremde: Musik. Du uns entwachsener

Herzraum. Innigstes unser,

das, uns übersteigend, hinausdrängt,—

heiliger Abschied:

da uns das Innre umsteht

als geübteste Ferne, als andre

Seite der Luft:

rein,

riesig,

nicht mehr bewohnbar.

DUINESER ELEGIEN

(1923)

Notes

The property of Princess
Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe

(1912/1922)

DIE ERSTE ELEGIE

Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel

Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme

einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem

stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts

als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,

und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,

uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

    Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf

dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen

wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,

und die findigen Tiere merken es schon,

daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind

in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht

irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich

wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern

und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,

der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.

    O und die Nacht, die Nacht, wenn der Wind voller Weltraum

uns am Angesicht zehrt—, wem bliebe sie nicht, die ersehnte,

sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen

mühsam bevorsteht. Ist sie den Liebenden leichter?

Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los.

    Weißt du’s
noch
nicht? Wirf aus den Armen die Leere

zu den Räumen hinzu, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel

die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug.

Ja, die Frühlinge brauchten dich wohl. Es muteten manche

Sterne dir zu, daß du sie spürtest. Es hob

sich eine Woge heran im Vergangenen, oder

da du vorüberkamst am geöffneten Fenster,

gab eine Geige sich hin. Das alles war Auftrag.

Aber bewältigtest du’s? Warst du nicht immer

noch von Erwartung zerstreut, als kündigte alles

eine Geliebte dir an? (Wo willst du sie bergen,

da doch die großen fremden Gedanken bei dir

aus und ein gehn und öfters bleiben bei Nacht.)

Sehnt es dich aber, so singe die Liebenden; lange

noch nicht unsterblich genug ist ihr berühmtes Gefühl.

Jene, du neidest sie fast, Verlassenen, die du

so viel liebender fandst als die Gestillten. Beginn

immer von neuem die nie zu erreichende Preisung;

denk: es erhält sich der Held, selbst der Untergang war ihm

nur ein Vorwand, zu sein: seine letzte Geburt.

Aber die Liebenden nimmt die erschöpfte Natur

in sich zurück, als wären nicht zweimal die Kräfte,

dieses zu leisten. Hast du der Gaspara Stampa

denn genügend gedacht, daß irgend ein Mädchen,

dem der Geliebte entging, am gesteigerten Beispiel

dieser Liebenden fühlt: daß ich würde wie sie?

Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen

fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend

uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn:

wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung

mehr
zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.

Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur

Heilige hörten: daß sie der riesige Ruf

aufhob vom Boden; sie aber knieten,

Unmögliche, weiter und achtetens nicht:

So
waren sie hörend. Nicht, daß du
Gottes
ertrügest

die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre,

die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.

Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir.

Wo immer du eintratst, redete nicht in Kirchen

zu Rom and Neapel ruhig ihr Schicksal dich an?

Oder es trug eine Inschrift sich erhaben dir auf,

wie neulich die Tafel in Santa Maria Formosa.

Was sie mir wollen? leise soll ich des Unrechts

Anschein abtun, der ihrer Geister

reine Bewegung manchmal ein wenig behindert.

Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,

kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,

Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen

nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;

das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,

nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen

wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.

Seltsam, die Wünsche nicht weiterzuwünschen. Seltsam,

alles, was sich bezog, so lose im Raume

flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam

und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig

Ewigkeit spürt.—Aber Lebendige machen

alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.

Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter

Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung

reißt durch beide Bereiche alle Alter

immer mit sich und übertönt sie in beiden.

Schließlich brauchen sie uns nicht mehr, die Früheentrückten,

man entwöhnt sich des Irdischen sanft, wie man den Brüsten

milde der Mutter entwächst. Aber wir, die so große

Geheimnisse brauchen, denen aus Trauer so oft

seliger Fortschritt entspringt—:
könnten
wir sein ohne sie?

Ist die Sage umsonst, daß einst in der Klage um Linos

wagende erste Musik dürre Erstarrung durchdrang;

daß erst im erschrockenen Raum, dem ein beinah göttlicher Jüngling

plötzlich für immer enttrat, das Leere in jene

Schwingung geriet, die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft.

DIE ZWEITE ELEGIE

Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir,

ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele,

wissend um euch. Wohin sind die Tage Tobiae,

da der Strahlendsten einer stand an der einfachen Haustür,

zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furchtbar;

(Jüngling dem Jüngling, wie er neugierig hinaussah).

Träte der Erzengel jetzt, der gefährliche, hinter den Sternen

eines Schrittes nur nieder und herwärts: hochauf-

schlagend erschlüg uns das eigene Herz. Wer seid ihr?

Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung,

Höhenzüge, morgenrötliche Grate

aller Erschaffung,—Pollen der blühenden Gottheit,

Gelenke des Lichtes, Gänge, Treppen, Throne,

Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne, Tumulte

stürmisch entzückten Gefühls und plötzlich, einzeln,

Spiegel:
die die entströmte eigene Schönheit

wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.

Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir

atmen uns aus und dahin; von Holzglut zu Holzglut

geben wir schwächern Geruch. Da sagt uns wohl einer:

ja, du gehst mir ins Blut, dieses Zimmer, der Frühling

füllt sich mit dir … Was hilfts, er kann uns nicht halten,

wir schwinden in ihm und um ihn. Und jene, die schön sind,

o wer hält sie zurück? Unaufhörlich steht Anschein

auf in ihrem Gesicht und geht fort. Wie Tau von dem Frühgras

hebt sich das Unsre von uns, wie die Hitze von einem

heißen Gericht. O Lächeln, wohin? O Aufschaun:

neue, warme, entgehende Welle des Herzens—;

weh mir: wir
sinds
doch. Schmeckt denn der Weltraum,

in den wir uns lösen, nach uns? Fangen die Engel

wirklich nur Ihriges auf, ihnen Entströmtes,

oder ist manchmal, wie aus Versehen, ein wenig

unseres Wesens dabei? Sind wir in ihre

Züge soviel nur gemischt wie das Vage in die Gesichter

schwangerer Frauen? Sie merken es nicht in dem Wirbel

ihrer Rückkehr zu sich. (Wie sollten sie’s merken.)

Liebende könnten, verstünden sie’s, in der Nachtluft

wunderlich reden. Denn es scheint, daß uns alles

verheimlicht. Siehe, die Bäume
sind;
die Häuser,

die wir bewohnen, bestehn noch. Wir nur

ziehen allem vorbei wie ein luftiger Austausch.

Und alles ist einig, uns zu verschweigen, halb als

Schande vielleicht und halb als unsägliche Hoffnung.

Liebende, euch, ihr in einander Genügten,

frag ich nach uns. Ihr greift euch. Habt ihr Beweise?

Seht, mir geschiehts, daß meine Hände einander

inne werden oder daß mein gebrauchtes

Gesicht in ihnen sich schont. Das giebt mir ein wenig

Empfindung. Doch wer wagte darum schon zu
sein
?

Ihr aber, die ihr im Entzücken des anderen

zunehmt, bis er euch überwältigt

anfleht: nicht
mehr
—; die ihr unter den Händen

euch reichlicher werdet wie Traubenjahre;

die ihr manchmal vergeht, nur weil der andre

ganz überhand nimmt: euch frag ich nach uns. Ich weiß,

ihr berührt euch so selig, weil die Liebkosung verhält,

weil die Stelle nicht schwindet, die ihr, Zärtliche,

zudeckt; weil ihr darunter das reine

Dauern verspürt. So versprecht ihr euch Ewigkeit fast

von der Umarmung. Und doch, wenn ihr der ersten

Blicke Schrecken besteht und die Sehnsucht am Fenster,

und den ersten gemeinsamen Gang,
ein
Mal durch den Garten:

Liebende,
seid
ihrs dann noch? Wenn ihr einer dem andern

euch an den Mund hebt und ansetzt—: Getränk an Getränk:

o wie entgeht dann der Trinkende seltsam der Handlung.

Erstaunte euch nicht auf attischen Stelen die Vorsicht

menschlicher Geste? war nicht Liebe und Abschied

so leicht auf die Schultern gelegt, als wär es aus anderm

Stoffe gemacht als bei uns? Gedenkt euch der Hände,

wie sie drucklos beruhen, obwohl in den Torsen die Kraft steht.

Diese Beherrschten wußten damit: so weit sind wirs,

dieses
ist unser, uns
so
zu berühren; stärker

stemmen die Götter uns an. Doch dies ist Sache der Götter.

Other books

Matteo Ricci by Michela Fontana
Controlled Cravings by Christin Lovell
Embedded by Gray, Wesley R.
Glittering Shadows by Jaclyn Dolamore
Red is for Remembrance by Laurie Faria Stolarz
Hunted by Kaylea Cross