Meat (4 page)

Read Meat Online

Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
11.65Mb size Format: txt, pdf, ePub

Einige Bullen hatten ihre nervösen Färsen nicht ausreichend im Griff und deshalb nur bei einem geringen Prozentsatz der Paarungsversuche Erfolg. Andere verletzten in ihrer Ignoranz die Kühe mit ihren plumpen Annäherungen. Ein paar Bullen verhielten sich, trotz robuster Gesundheit, außergewöhnlicher Spermazytenzahl und kräftiger Statur, im Paarungspferch so linkisch, dass sie zur sofortigen Keulung freigegeben wurden. Es war zu teuer, solche Tiere am Leben zu erhalten. Ihr Fleisch würde gutes Geld abwerfen, das die Kosten ihrer Aufzucht bei Weitem überwog.

BLAU-792 war ein Bulle von einem ganz anderen Kaliber. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sein gewaltiger Riemen war der Running Gag unter den Viehtreibern. Sie hatten sogar ein Lied auf ihn getextet, das mit den Worten begann: »Oh, was wäre ein Mann sorgenfrei, mit einem Schwanz wie BLAU-792.« Aber es war nicht bloß die Größe. Er schien die Kühe in eine gefügige Trance zu versetzen und sie streichelnd seinem Willen zu unterwerfen, bevor er sie bestieg. Das Seufzen und Stöhnen der Färsen war derart heftig, dass Shanti wusste: Könnten sie schreien, es wäre ohrenbetäubend. Aber auf eine gewisse Weise waren es frohlockende Laute, Laute lustvoller Pein, stille Schreie, welche jeden Moment des Paarungsprozesses von einer Erfahrung kündeten, die Shanti sich kaum vorzustellen vermochte. Als würde die Paarung ihnen etwas geben, wovon sie ihr gesamtes kurzes Leben zehren könnten. Milchkühe wurden in der Regel nur einmal gepaart, und sie waren diejenigen, die am heftigsten »schrien«. Selbst die Fleischkühe, die, solange sie dazu imstande waren, jährlich ein Kalb zu produzieren, stöhnten, als wären Lust und Qual der Paarung das Letzte, was ihnen im Leben widerfahren würde.

War BLAU-792 involviert, ertönte ihr Stöhnen heftiger denn je. Shanti vermutete, dass sich die anderen Bullen der Qualitäten von BLAU-792 durchaus bewusst waren. Bullen wurden immer getrennt voneinander gehalten, was in diesem Fall durchaus seine Berechtigung hatte. Er wollte sich den Kampf, der ausbrechen würde, wenn BLAU-792 jemals in Kontakt mit irgendeinem der anderen männlichen Tiere käme, gar nicht erst vorstellen. Es gab in der Stadt Orte, an denen geschmuggelte Bullen in Kämpfen um Leben und Tod aufeinandergehetzt wurden, aber er hatte nie das Bedürfnis verspürt, einen solchen Stierkampf zu besuchen.

Allein dem herrlichen BLAU-792 beim Schlafen zuzuschauen, war bereits ausreichende Unterhaltung für ihn.

An dem Tag, als BLAU-792 die Paarungsbox von WEISS-047 betrat, hatte Shanti den Paarungen zugesehen. Es war kaum zu bemerken. Er wusste nicht, ob es einem der Treiber aufgefallen war ― sie waren zu sehr damit beschäftigt, über BLAU-792s riesigen Riemen zu lachen und den Bullen anzufeuern ―, aber irgendetwas am Paarungsvorgang war an diesem Tag anders. Der Bulle schnüffelte in der Luft, wie er es immer tat, aber Shanti sah, wie er innehielt, ohne nur einen weiteren Schritt vorwärts zu machen. Zuerst dachte er, sein Lieblingsbulle hätte Angst. Anstatt angespannt und nervös wie die anderen Kühe, furchtsam in die Ecke zu flüchten, stand WEISS-047 aufrecht vor BLAU-792. Sie starrte ihn an, und der Bulle starrte zurück.

»Jetzt pass auf«, sagte Freeman, der quadratschädelige Viehtreiber. »Das wird 'ne unschöne Sache. Das gibt 'nen Kampf.«

Die anderen Treiber drängten nach vorne.

Shanti blieb, wo er war. Nah genug am Verschlag, aber abseits der kleinen Gruppe von Schaulustigen. Freeman lag falsch. Von dort, wo Shanti stand, konnte er das Gesicht von BLAU-792 im Profil sehen. Er konnte den Ausdruck darauf erkennen. Er hatte den Bullen durch die Spalten zwischen den Brettern seines Pferchs und in gut einem Dutzend Situationen beobachtet ― so oft, dass er sein Verhalten inzwischen einzuschätzen wusste. Dies war kein Augenblick der Aggression. WEISS-047 stand ungewöhnlich aufrecht für eine Kuh, die Schultern zurück und ihre jungen, jungfräulichen Euter nach vorn gedrückt. Sie stand breitbeinig da, ohne nur das Geringste vor ihrem potenziellen Partner zu verbergen. Aber es waren ihre Augen, die sie verrieten, zumindest Shanti gegenüber. In ihren Augen blitzte Erregung. Sie signalisierten Erstaunen. Eine bestimmte Art des Verlangens und des Erkennens. Und eine Nachgiebigkeit, die außer Shanti und BLAU-792 niemand bemerkte. Es war, als würde sich das Paar seit Jahren kennen und sich nun, nach einer langen Zeit der Trennung, wieder vereinen. Dann bemerkte die Kuh, dass Shanti sie beobachtete, und ihr Gesichtsausdruck wurde wachsam. Ihrem Beispiel folgend, nahm auch der Körper von BLAU-792 wieder die gewohnte Spannung an, und sein Gesicht verhärtete sich zu einem Ausdruck purer Entschlossenheit ― zurück zum Geschäft.

Der Bulle strebte vorwärts. Die Färse, gleichfalls ihre Rolle spielend, wich zur hinteren Wand zurück und gab ihre selbstsichere Körperhaltung auf.

»Ich glaub, das war's mit dem Kampf, Sir«, sagte einer der jüngeren Viehtreiber.

»Ich hätte Geld darauf setzen sollen.«

Freeman grunzte, verärgert darüber, vor seinen Männern nicht Recht behalten zu haben.

»Noch ist es nicht gelaufen, Junge.«

Aber Shanti sah, dass auch dem Mann klar war, es würde keinen Kampf geben. Er blickte zu dem jüngeren Viehtreiber herüber, einem Neuen, den er nicht kannte, und fragte sich, ob der einer von denen war, die sich die illegalen Stierkämpfe in der Stadt ansahen. Es war ein schmächtiger Mann, aber er trug das Mal der Bösartigkeit wie ein Tattoo auf der Stirn.

Im Paarungspferch hatte der Bulle die Kuh erreicht. Sie hob ihre rechte Hand zu seinem Gesicht und berührte seinen Hals. BLAU-792 wich ein mikroskopisch kleines Stück zurück. Shanti bezweifelte, dass irgendjemand sonst es bemerkt hatte. Die forschenden Fingerstumpen klopften und streichelten den Hals des Bullen hinunter bis zur Schulter. Für jeden, der nicht wusste, wie die Auserwählten miteinander kommunizierten, musste es aussehen, als würde sie vor Angst schlottern. Shanti sah, wie eine Gänsehaut in einer Welle die ganze linke Seite des Bullen herunterwanderte.

Normalerweise drehten die Bullen ihre Färsen von sich weg und bestiegen sie von hinten. Das ging schnell und erforderte weniger Kraftaufwand. So blieb ihnen mehr Energie für die anderen Kühe, die sie während der kurzen Paarungssaison noch zu befruchten hatten.

WEISS-047 verharrte von Angesicht zu Angesicht zu BLAU-792. Als der Bulle sein Gesicht im Nacken der Kuh vergrub, gerieten sie schließlich in eine Art Umarmung. Shanti sah seinen monströs geschwollenen Riemen, von dem bereits Samenflüssigkeit ins Stroh tropfte, kurz bevor der Bulle sie hochhob, sie gegen die kalten Paneele presste und tat, wofür man ihn gezüchtet hatte. Shanti drehte sich um, unterdrückte die Tränen und verließ den Stall.

 

Jetzt war WEISS-047 mit ihrem Schmerz allein. Schlagartig wurde ihm klar, welchen zutiefst menschlichen und gleichzeitig animalischen Eindruck Maya in derselben Situation auf ihn gemacht hatte. WEISS-047 schwitzte und keuchte, ihr Schnaufen wurde immer wieder durch längere, energischere Seufzer unterbrochen, die er bei Maya als frustriertes Ächzen und Schmerzensschreie vernommen hatte. Er war froh, diese Laute nicht erneut hören zu müssen, aber er vermochte aufgrund des Gesichtsausdrucks der Kuh genau zu sagen, was sie gerade durchstand. Da war nichts, was er tun konnte, um der schmerzgeplagten Kreatur im Kalbungspferch zur Seite zu stehen. Sollte die Geburt erfolglos sein, würde sie zum Sterben zurückgelassen. Wenn es um das Vieh ging, wurde gespart, wann immer es möglich war. Wenn sie starben, schlug man aus ihrem Fleisch Profit.

Die Viehtreiber am Pferch von WEISS-047 sahen, dass es noch eine ganze Weile dauern könnte, bis sie gebären würde. Sie zogen weiter, um nach anderen Kühen in anderen Pferchen zu sehen. Shanti blieb. Als die Treiber außer Sichtweite, in einem parallel verlaufenden Gang mit Verschlägen verschwunden waren, klopfte er mit den Fingern auf die Querstäbe des Kalbungspferchs. WEISS-047 warf mit weit aufgerissenen, ungläubigen Augen den Kopf zu ihm herum. Erneut wurde sie von Spasmen durchschüttelt. Vor Schmerzen kniff sie die Augen zusammen.

Shanti hielt sich an einem der unteren Gitterstäbe fest, um genügend Halt zu haben, während er in die Hocke ging. Als ihre Kontraktion vorüber war und WEISS-047 ihre Augen wieder öffnete, klopfte er erneut mit den Fingerspitzen gegen den Stab, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er sah sich nach beiden Seiten um, hielt Ausschau nach den herumstreichenden Treibern. Die Gänge waren leer.

»Schau her, so geht das«, sagte er und drückte sich ein paarmal ein wenig mit den Hacken hoch, bevor er aufstand und von den Gittern zurücktrat. »Verstanden?«

Ein weiterer Krampf durchfuhr sie und löste mehr stille Schreie aus. Als sie sich erholt hatte, rollte sie sich auf ihre Knie, krabbelte zu den Gittern des Verschlags und zog sich an ihnen hoch. Als sie stand, konnte Shanti sehen, welche Mühe es ihr bereitete. Sie klammerte ihre Handflächen um einen der unteren Gitterstäbe, genau wie er es getan hatte, und ließ sich mit einem Seufzer tiefer Erleichterung in die Hocke herab. Zwischen ihren Beinen öffnete sich ihre Vulva. Einen Augenblick später erschien der Kopf des Kalbs.

Shanti nickte zufrieden. WEISS-047 war viel zu sehr auf die Geburt konzentriert, um zu bemerken, dass er immer noch da war. Er ging den Schotterweg zwischen den Kalbungspferchen hinab, weg von ihrem Pferch zu den großen Stalltüren. Momente darauf hörte er den einzigen lauten Schrei der Auserwählten, den MFP-Angestellte jemals hören: den eines neugeborenen Kalbs. Jetzt würden die Viehtreiber kommen, zum Pferch von WEISS-047 laufen, um ihr Kalb für den Rest seines Lebens verstummen zu lassen. Er fragte sich, ob es wohl männlich oder weiblich war.

  
3

 

Morgens um zehn vor fünf stand Greville Snipe in seinem schnieken weißen Melkerkittel am Hintereingang des Melkstands und wartete auf seine Melkhilfen: Harrison, Maid-well, Roach und Parfitt. Sie mussten ihren Job im Milchhof wirklich hassen, um erst so kurz vorm Stechen der Uhr zu erscheinen und zu verschwinden, sobald sie ihre Pflicht erledigt hatten. Sie verbrachten so wenig Zeit im Melkstand, wie nur irgend möglich, und taten gerade mal das Minimum, um den Laden zu seiner Zufriedenheit am Laufen zu halten.

Er klopfte auf seine Uhr, als würde es das Erscheinen seiner Crew beschleunigen. Die MFP-Busse für die Frühschicht trafen eigentlich deutlich vor Schichtbeginn ein, aber er wusste, dass seine Jungs sich sofort der Menge am Haupttor anschlossen, um dort mit ihren Kumpels aus anderen Abteilungen der Fabrik rauchend und scherzend herumzulungern. Vielleicht lachten sie gerade über ihn. Er war ziemlich sicher, dass sie sich hinter seinem Rücken über ihn lustig machten. Aber was konnte er schon dagegen tun?

Die Jugendlichen, überhaupt die Mehrheit der einfachen Arbeiter, waren faul. Snipe wusste das lange, bevor er zum Melkaufseher befördert worden war. Dementsprechend lagen die von ihm geforderten Standards weit über denen, die die Geschäftsführung erwartete. Sollte einer seiner Melkhilfen diesen Standards nicht genügen, wären seine Ergebnisse immer noch gut genug, um in jeder Inspektion zu bestehen. Nichtsdestotrotz ließ er sie spüren, was er von ihren Defiziten hielt und drohte ihnen regelmäßig mit Kündigung. Mochten sie den Milchhof auch noch so sehr hassen, sie würden nirgendwo sonst in der Stadt einen annähernd so gut bezahlten Job finden. Und das wussten sie auch.

Er hielt sich nicht für einen besonders strengen Vorgesetzten. In seiner Anfangszeit bei MFP hatte er weitaus schlimmere Aufseher erlebt. Deshalb zog er es vor, die Person Greville Snipe nicht auf Drohungen und Verwarnungen zu reduzieren. Er war ein Mann, der sich bemühte, der Arbeit im Milchhof einen Hauch von Würde zu verleihen. Wenn er der Meinung war, dass die Melkhilfen gute Arbeit geleistet hatten, was zugegeben eher selten geschah, ließ er ihnen einen Bonus in Form einer Sonderration Milch, Joghurt, Butter oder Käse zukommen. Dinge, von denen er wusste, dass man es ihnen danken würde, wenn sie sie mit nach Hause brachten.

Es war noch dunkel draußen, und die Gaslaternen waren angeschaltet. Ihr Licht löste helle Zirkel des Drecks aus der Finsternis entlang der Umfassungsmauer der MFP-Fabrik sowie auf den breiten Korridoren zwischen den Weiden, den Gehegen, den Ställen, den Wirtschaftsgebäuden, dem Schlachthaus und dem Milchhof. Er beobachtete eine Reihe ziellos umherflatternder Motten, die um die heißen gelben Glühbirnen kreisten und sich immer wieder auf sie stürzten, im Glauben, das Licht würde ihnen einen Weg irgendwo nach draußen weisen, obwohl sie doch in Wirklichkeit längst frei waren. Ähnlich wie die Auserwählten war auch den Insekten der Stumpfsinn zu eigen. Dessen ungeachtet überkam Snipe ein Anflug von Schwermut angesichts der Sinnlosigkeit ihrer Bestrebungen. Waren ihre Flügel bis zur Nutzlosigkeit versengt, würden die Motten in den feuchten Schmutz stürzen und krepieren. Ihre Versuche waren ebenso ergebnislos wie selbstzerstörerisch.

Schritte stapften über den schmutzigen Erdboden und kamen näher. Er blickte erneut auf seine Uhr. Noch drei Minuten. Sie reizten ihren Spielraum bis zum Limit aus ― es blieb kaum noch genug Zeit, sich umzuziehen und bis fünf im Melkstand zu sein.

»Macht vorwärts, ihr verdammten Drückeberger«, brüllte er. »Treibt es nicht zu weit.« Sie schlitterten an ihm vorbei zur Stechuhr, stempelten und hasteten mit puterroten Gesichtern, halb kichernd, halb in Panik, Richtung Umkleideraum. »Wenn auch nur einer von euch den Bruchteil einer Sekunde zu spät im Melkstand ist, kürze ich euch den Lohn um eine halbe Stunde. Wir sind ein Team. Wir lassen die Mannschaft nicht im Stich.«

Eine Minute vor Schichtbeginn sprinteten sie raus in den Melkstand und zu den Boxen, während sie sich immer noch die fleckigen Melkerkittel zuknöpften.

»Und lasst eure beschissenen Uniformen reinigen!«

 

Die Garage war groß genug für einen kleinen Laster und eine Reihe von Werkzeugen und Ablagen entlang der Wände. Aber sie stand seit Jahren leer. Sie war aus Betonblöcken erbaut und hatte keine Fenster. Die Türen waren aus Holz, so wie die anderen in der Zeile. Dort, wo das Holz den Betonboden berührte, war es moderig und zersplittert. Trotz des eisigen Durchzugs hatte sich die Feuchtigkeit eingenistet und selbst im Sommer, wenn es draußen wärmer wurde, hatte das Innere der Garage ein kaltes Dezemberherz. Wer eintrat, der erschauderte.

Die anderen Garagen und Abstellräume in der Zeile waren türlose Verschläge für die Elenden und Verdammten. Es war zu gefährlich, um darin zu schlafen, deshalb erledigten gelegentliche Besucher dort höchstens ihre Notdurft und zogen vor Anbruch der Nacht weiter. Dies war ein Ort, an den Gangs ihre Gefangenen verschleppten, um sich mit ihnen die Nächte zu vertreiben. Er war weit genug innerhalb des verfallenen Viertels und weit genug von den nächsten bewohnbaren Häusern entfernt, so dass alle Schreie ungehört verhallten. Die Geräusche von Holz, Glas oder Stahl auf Fleisch und Knochen könnten ebenso gut aus einer Grube tief in der Erde kommen.

Other books

Red Line by Brian Thiem
Servant of the Empire by Raymond E. Feist, Janny Wurts
Kajira of Gor by John Norman
Between Planets by Robert A Heinlein
To Kiss You Again by Brandie Buckwine
A Stranger’s Touch by Lacey Savage
Death in the Aegean by Irena Nieslony