Meat (19 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»Vielleicht werde ich ja zu einem anderen Menschen. Vielleicht gelingt es dir ja, mich zu bekehren.«

Collins starrte ihn mit bohrendem Blick an. Dann nahm sein Gesichts einen milden Zug an, und er lachte. Magnus fiel lauthals in sein Lachen mit ein. Bruno verlagerte nervös sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut. Magnus ignorierte ihn.

Das befremdliche, übertrieben laute Gelächter erstarb sofort wieder.

»Möchten Sie es wirklich wissen«, fragte Collins, »oder machen Sie sich bloß über mich lustig?« Erneut sah er Magnus auf eine Art an, die jegliche Autorität unterlief. »Denn ich bin jetzt bereit für das Ende. Wir müssen mit dieser Scharade nicht weitermachen. Ich habe es mindestens tausend Mal erzählt. Unter den zahllosen Menschen, denen ich es erzählt habe, sind Sie derjenige, bei dem die geringsten Chancen bestehen, dass er auch nur das Geringste davon verinnerlicht. Vielleicht wäre es sinnvoller ―für beide von uns ―, wenn wir zu meiner Schlachtung übergehen.«

»Legst du etwa keinen Wert mehr auf dein letztes Tänzchen?«

»So wichtig ist das nicht. Ich wollte Ihnen bloß etwas deutlich machen. Aber selbst wenn mir das gelänge, würde es schlussendlich nichts bewirken, was auch nur halbwegs von Bedeutung wäre. All das, was mir wichtig war, wichtig war zu erreichen, habe ich längst erreicht.«

»Wir werden unser Tänzchen tanzen, mein Sohn. Bevor
es zu Ende ist, werden wir unser Tänzchen tanzen. Jetzt aber will ich erst einmal alles ganz genau wissen. Ich will wissen, was du ihnen erzählt hast.«

Collins' Augen schlossen sich, unterbrachen das unsichtbare Band, das ihn, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Rollen, mit Magnus verband. Magnus nutzte die Gunst des Augenblicks, sich vom Bann dieses Blickes zu befreien. Er wollte es hören, aber er musste stark bleiben. Durfte diesen gebrochenen Messias nicht zu tief in seinen Kopf lassen. Er beobachtete Collins, der eine übertrieben dramatische Pause machte, bevor er seinen Sermon begann. Magnus sah genauer hin, überprüfte seine dürren, die Haut wie Zeltstangen spannenden Rippen und seinen eingesunkenen Solarplexus auf Anzeichen von Atmung. Es war nichts zu sehen. Na, großartig, er kann also eine Zeit lang die Luft anhalten, dachte Magnus.

Collins öffnete die Augen.

»Vor allem anderen müssen Sie wissen, dass alles, was Sie zu wissen meinen, auf Lügen basiert. Die Stadt, das Buch, die Fürsorge. Alles Humbug. Wie die Korsagen, Hüftgürtel, die Schminke und das Haarspray, die eine gewöhnliche Frau zur Schönheit machen. Kunstvolle Linien mit Eyeliner und Mascara, die den Blick geheimnisvoller wirken lassen. Heiße Luft und Kämme, damit das dünne Haar voller erscheint. Grundierung und Puder, um bleichen, eingefallenen Wangen Schwung und Gesundheit zu verleihen. Lippen- und Konturstift, um dünne, leidenschaftslose Lippen mit Glanz und Farbe zur Geltung zu bringen. Stützkorsette, um aus formloser Masse eine Figur zu modellieren. Straffe Büstenhalter, um hängende Brüste anzuheben und Polster, um kleine Brüste größer erscheinen zu lassen. Hochhackige Schuhe, um die Beine zu verlängern. Parfüm, um Körpergeruch zu übertönen. Mundwasser, um schlechten Atem zu
kaschieren. Lass das alles weg, reiß diese Larve aus Lügen herunter, und was bleibt, ist diese Stadt: nackt, hässlich und stinkend.«

»Ich muss sagen, du scheinst die Frauen von Abyrne sehr gut zu kennen«, bemerkte Magnus lachend. »Ich habe über die Jahre Hunderte von ihnen gehabt. Und wie ich zu meiner Enttäuschung feststellen musste, trifft deine Beschreibung auf viele von ihnen zu.«

»Sie alle benutzen Kosmetik, die aus Magnus-Fleisch-Produktion stammt. Auch sie sind Teil deiner Lüge.«

Manchmal bewies Collins Sinn für Humor, manchmal schien er gar keinen zu haben. Magnus wurde nicht schlau aus ihm. Er lachte über die Aussicht auf den eigenen Tod und ließ gleichzeitig keine Gelegenheit aus, auf Magnus ohne mit der Wimper zu zucken herumzuhacken. Solange es nicht endlich ans Körperliche ging, würde diese Auseinandersetzung keine allzu spaßige Angelegenheit sein.

»Weiter«, forderte Magnus.

»Wenn wir zurückblicken, wie das alles angefangen hat ...«

»Warte, Collins.« Magnus hob beide Hände. Er wollte nicht, dass Bruno zu Ohren bekam, was jetzt vermutlich folgen würde. »Bruno, mach ihn los. Bring ihm einen Stuhl und ein Laken oder so was in der Art.«

»Sir?«

»Dann warte unten in der Halle, bis ich nach dir rufe.« »Aber was, wenn ...«

»Sofort, Bruno. Tu einfach, was ich dir sage.«

Der große Mann beugte sich vor, um Collins' Fesseln zu lösen.

»Mir geht's bestens«, sagte Collins. »Ich brauche nichts.« »Du gehörst jetzt mir und tust gefälligst, was ich dir sage. «

Bruno verließ den Raum und kehrte mit einem mottenzerfressenen Laken zurück.

»Etwas Besseres konntest du nicht auftreiben?«, blaffte ihn Magnus an.

»Entschuldigung, Sir, ich dachte ...«

»Zieh Leine, Bruno. Aber bleib in der Nähe.«

Als sie in dem Arbeitszimmer alleine waren, holte Magnus einen Stuhl von der gegenüberliegenden Seite des Raumes und stellte ihn neben Collins.

»Mach es dir bequem«, sagte er. »Aber gewöhn dich nicht daran.«

Collins setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf den Stuhl, die Hände auf den Lehnen und das Laken um die Hüfte gewickelt. Magnus schüttelte den Kopf. Der Mann war wie aus Gummi.

»Es gibt Dinge, die niemand sonst hören muss«, sagte Magnus.

»Glauben Sie mir, Mr. Magnus, es haben bereits genug Leute davon gehört. Gehört, geglaubt und aufgrund dessen gehandelt. Die Stadt befindet sich im Wandel. Die Welt befindet sich im Wandel.«

»Das wage ich zu bezweifeln. Doch nicht wegen eines harmlosen mageren Kerlchens wie dir. Du hast deine kleinen geheimen Versammlungen abgehalten und eventuell einigen leichtgläubigen Bürgern das Hirn verdreht, aber der Rest von uns wird deine Worte so schnell wieder vergessen, wie du sie ausgesprochen hast, und weitermachen. Wenn ich mich erst mal an dir satt gegessen, das Mark aus deinen Knochen gelutscht und dich über die nächsten paar Wochen wieder ausgeschissen habe, wirst du Geschichte sein. Die Sorte von Geschichte, an die sich kein Schwein mehr erinnert.«

»Geschichte zu schreiben ist wichtig, zweifellos. Denn das,
was von ihr überliefert und niedergeschrieben wird, das neigen die Leute ― wie alles, was geschrieben steht ― zu glauben und in Erinnerung zu behalten. Ob es allerdings wahr oder falsch ist, hat dabei noch nie eine große Rolle gespielt.«

»Du bist nicht so dumm, wie ich dachte.«

»Ich bin der dümmste Mensch, den Sie jemals getroffen haben. Ich bin dem Ruf einer inneren Stimme gefolgt, die mir erzählt hat, was richtig ist. Ich habe zugelassen, dass ich wegen dieser Stimme nun unausweichlich einem ausgesprochen unerfreulichen, vorzeitigen Tod entgegensehe. Eine Stimme, die niemand sonst hören und deren Existenz niemand belegen kann. Nicht einmal ich selbst. Aber lassen Sie sich etwas gesagt sein, Mr. Magnus: So dumm zu sein, fühlt sich gut an. Sie betrachten mich als einen Mann, der für seine albernen Ansichten in einer nichtigen Auseinandersetzung sein Leben wegschmeißt. Für mich aber ist es das mit Abstand Befreiendste und Erfüllendste, was ich jemals mit meinem Leben gemacht habe.« Collins lachte in einem Anflug persönlichen Erstaunens still in sich hinein und fuhr fort: »Im Ernst, ich sitze hier und bin mir vollkommen bewusst, was mir bevorsteht. Genauso wie ich mir darüber bewusst bin, was Ihnen und der Stadt bevorsteht. Sie dagegen, Mr. Magnus, sind sich über nichts davon bewusst. Und obwohl ich hier sitze und Ihnen bereitwillig und wider besseres Wissen davon erzähle, obwohl ich Ihnen ― indem ich Sie warne ― möglicherweise die Handhabe gebe, es zu verhindern, werden Sie mir weder zuhören, noch werden Sie es verstehen. Da hat die Vorsehung ihre Finger im Spiel. Ich kann sagen, was ich will, jedes Detail meiner Mission an Sie verraten. Und Sie werden immer noch die Fehler machen, die Ihrer Bestimmung entsprechen.« Collins lachte erneut. »Sie haben keine Vorstellung davon, wie glücklich mich das stimmt. Sogar die Aussicht auf Ihre Messer und
Knochensägen erfüllt mein Herz mit Freude. Ich gebe mich freudig hin, um Andere zu befreien. Menschen, zu denen auch Sie gehören könnten, wenn Sie es wollten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie wollen.«

Magnus blieb unbeeindruckt, bewunderte aber die Stärke des Mannes. Er wusste wirklich, wie man redet. Möglicherweise erwies sich Collins, von seinem verhärmten Körper und seinem Mangel an Respekt mal abgesehen, doch noch als angemessener Gegner. Umso besser. Wenn er ihn besiegte, würde Magnus nur noch viel stärker werden. Denn genau das war es, was Magnus über all die Jahre in der Fabrik und in der Stadt an der Macht gehalten hatte. Er bezog seine Stärke von denen, die er bezwungen hatte. Dadurch wurde er von Mal zu Mal mächtiger.

Er griff in seine Jacketttasche und zog ein schlankes, silbernes Etui heraus, stemmte es mit seinen Metzgerfingern auf und nahm einen zierlichen Zigarillo heraus. Er steckte ihn zwischen die Zähne und entzündete ihn an der Kerze auf dem Schreibtisch. Selbst der Talg der Kerze war aus ausgelassenem Fett derer gemacht, die er beseitigt hatte. Derer, die er gegessen hatte. Der Geschmack von Lakritze und verbranntem Laub füllte seinen Mund. Er zog den Rauch tief in seine Lungen, bevor er ihn Collins ins Gesicht blies.

»Fahr fort, mein Sohn«, sagte er, »ich beginne, es zu genießen.«

»Wissen Sie was, Mr. Magnus? Es ist völlig egal, ob die Leute sich an mich erinnern oder nicht. Wenn ich tot bin, habe ich bereits alles getan, was ich zu tun hatte, um Dinge in dieser Stadt zu ändern. Es für die Nachwelt niederzuschreiben, ist gar nicht nötig. Es ist auch nicht nötig, dass man über mich als etwas wie eine Legende redet ...«

»Gescheiterte Legende«, warf Magnus ein und wedelte tadelnd mit einem Wurstfinger.

»Gescheitert oder nicht. Was ich getan habe, zählt jetzt. Nur heute ist es wichtig. In der Zukunft hat es keinerlei Relevanz mehr. Mein Argument, die Geschichte betreffend, ist ein wichtiges Argument, denn es sagt alles darüber, wie die Bürger der Stadt leben. Das Buch des Gebens ist eine Lüge. Ist dir das blasphemisch genug?«

Magnus gluckste.

»Du sprichst von Vorsehung. Wenn ich dich nicht zuerst geschnappt hätte, die Fürsorge hätte nicht lang auf sich warten lassen. Du kannst nicht herumspazieren, derartige Dinge erzählen und dennoch ernsthaft erwarten, du würdest deinen nächsten Geburtstag noch erleben.«

»Das ist mir durchaus bewusst. Aber wir alle haben unsere Rolle zu spielen. Und ich bin glücklich mit der meinen.«

Wie auch immer, dachte Magnus. Freu dich darüber, solange du noch kannst. Du wirst nicht mehr so glücklich sein, wenn ich mit deiner Rolle spiele ― nachdem ich sie abgeschnitten habe.

»Das Buch des Gebens wurde von Menschen geschrieben. Menschen lügen. Menschen haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie die Welt und ihr Gott zu sein hat. Dementsprechend schreiben sie ihre Lügen nieder und nennen sie Gottes Wort. Die Städter haben alle miteinander viel zu viel Vertrauen in das geschriebene Wort. Ich bin hier, um das zu ändern. Es geht darum, herauszufinden, was bleibt, wenn die Bücher nicht mehr da sind. Die Frage, was richtig oder falsch ist, ist also aus sich selbst heraus zu beantworten. Dann erst wird die Welt beginnen, so zu funktionieren, wie sie es sollte.«

»Tatsächlich?« Magnus war nicht im Geringsten beeindruckt. »Und was soll der Scheiß? Als wenn ich mich um Bücher kümmern würde. Das Buch des Gebens ist nützlich
für mich. Es macht mein Geschäft für alle Menschen lebenswichtig. Dafür erhält die Fürsorge monatlich großzügige Unterstützungen von mir. Manchmal entsorge ich den Müll für sie, so wie ich es mit dir machen werde. Alle sind zufrieden. Und alles geht seinen Gang.«

»Ja, aber das alles ist Unrecht. Die Fürsorge ist Unrecht. Was sie den Bürgern der Stadt erzählt, ist Unrecht, und was Sie hier machen, ist ebenfalls Unrecht. Manchmal kann ich es kaum glauben, wie weit wir uns von den simpelsten Prämissen des Anstands und der Rechtschaffenheit entfernt haben. Es ist nicht recht, Mr. Magnus, seinesgleichen zu töten. Und es ist gewiss nicht recht, von ihrem Fleisch zu leben. Ein eindeutigeres Unrecht gibt es nicht.«

Magnus erhob beschwichtigend die Handflächen.

»Collins, Collins. Beruhige dich, mein Sohn. Sie sind nicht >unseresgleichen<, wie du behauptest. Aus der Sicht der Städter und der Fürsorge sind sie des Vaters geheiligte Kinder und sein Geschenk an uns. Sie halten uns stark und wohlgenährt, um Gottes Willen auf Erden zu erfüllen. Du und ich wissen, dass das ausgemachter Blödsinn ist. Und soweit es mich betrifft, sind es schlicht Tiere. Sie existieren einzig und allein zu unserem Nutzen.«

Collins war blass. Es war das erste Mal, dass Magnus einen Ausdruck von Betroffenheit über das Gesicht des Mannes huschen sah. Also das ist des Pudels Kern, dachte er, das ist Collins wunder Punkt.

»Du kannst mir nicht erzählen, du hättest noch nie ein saftiges Steak gegessen oder ein paar Würstchen zum Frühstück. Etwas Pâté auf deinem Toast?«

Collins senkte den Kopf, schluckte seine Worte herunter. »Komm schon, Collins. Gib es zu, Söhnchen. Erzähl es deinem Onkel Magnus.«

Collins blickte auf. Er weinte.

»Als ich klein war, habe ich ständig Fleisch gegessen. Meine Mutter wollte, dass ich stark und gesund würde. Wie jeder andere war sie davon überzeugt, dass nur Fleisch das garantieren könnte.«

»Ah, na gut, wenn deine Mutter dich dazu gezwungen hat, kann man dich wohl kaum dafür verantwortlich machen. Immerhin warst du ein kleiner Junge und noch nicht alt genug, es besser zu wissen. Ich bin unfair. Ich kann nicht erwarten, dass du die Verantwortung dafür übernimmst, über mehrere Jahre deines Lebens hinweg Fleisch gegessen zu haben. Wie kam ich nur darauf? Nein, ich könnte niemals erwarten, dass du diese Last auf deinen Schultern trägst. All dieses Leiden, die Gefangenschaft, das Elend, die Ausbeutung. Du warst schließlich nur einer unter Zehntausenden von Fleischessern. Natürlich kann man es dir nicht vorwerfen. Ich würde doch niemals einem kleinen unschuldigen Jungen für all das die Schuld zuweisen. Das wäre doch übertrieben. Stimmt's?«

Collins Tränen schienen verdunstet zu sein, und die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt. Er wirkte wieder völlig gefasst. Magnus war enttäuscht.

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