Meat (22 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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»Hey, Jungs!«

Er hielt ihnen eine Packung Zigaretten entgegen, während er sie heranwinkte. Sie änderten ihren eingeschlagenen Weg und hielten auf ihn zu.

»Wohin so eilig?«, fragte er, als sie nah genug waren. »Ihr habt wohl Besseres zu tun, als Kühe zu melken?«

»Nein, Sir«, antwortete Harrison. »Wir wollten nur ...«

»Das geht schon in Ordnung, ihr seid mir keine Erklärung schuldig. Wenn meine Schicht zu Ende ist, verdrücke ich mich hier genauso schnell wie jeder andere. Es gibt Wichtigeres im Leben als MFP, habe ich Recht?«

Sie nickten und entspannten sich ein wenig.

»Hier, raucht eine mit mir.«

Torrance reichte das Päckchen herum. Erst zögerten sie, dann griffen alle auf einmal zu. Er zündete ein Streichholz an und vier Köpfe beugten sich der Flamme entgegen.

»Danke, Sir.«

Torrance nickte. Respekt war gut und richtig. Ihn respektierten sie ― im Gegensatz zu ihrem ehemaligen Boss. Was auch nur gut und richtig war.

»Wie läuft es denn jetzt so im Milchhof?«

»Ohne diesen Freak Snipe? Wesentlich besser«, sagte Roach. Die anderen sahen erst ihn und dann Torrance an. Roach realisierte, dass er zu weit gegangen war und blickte auf seine Füße, während er sich wünschte, nicht so eine große Klappe zu haben.

»Du hast Recht«, entgegnete Torrance. »Snipe war ein Freak der übelsten Sorte. Nicht gut genug, hier zu arbeiten, nicht gut genug ein Bürger unserer Stadt zu sein. Ihr wisst doch, was mit ihm passiert ist?«

Sie zuckten die Achseln.

»Status aberkannt«, sagte Maidwell.

»Richtig. Und ihr wisst sicher auch alle, was das bedeutet, oder?«

Sie nickten, aber ihm war klar, dass sie noch zu jung waren, um es im vollen Umfang zu begreifen. Sie wussten Bescheid, aber sie hatten es noch nicht verstanden.

»Wenn du kein Bürger dieser Stadt bist, dann bist du Fleisch. So einfach ist das. Ich zeige euch mal etwas.«

Er ging zum Lastwagen in der nächsten Parkbucht, und sie folgten ihm. Sie konnten jetzt das Gas-Logo auf den Türen erkennen und wussten, was er geladen hatte. Stück für Stück wurden Loren mit Innereien in die offenen Sektionen des Wagens entleert. Schimmernde Schläuche blass rosafarbener, grauer, weißer und blauer Eingeweide kippten aus den Loren. Mägen, Bauchspeicheldrüsen und Gallenblasen. Die Knoten und Spiralen in den Schlingen der großen und kleinen Innereien ließen sie wie seltsam gefärbte Würste aussehen. Die Art, wie sie glänzten und sich umeinanderwanden, wenn sie durcheinanderpurzelten, hatte etwas Intimes, fast Sexuelles.

»Das dort ist der Strom für unsere Stadt. Jene von uns, die so glücklich sind, Elektrizität zu haben ― hieraus wird sie gewonnen. Snipe, euer alter Boss, ist irgendwo da drin,
und das ist nur fair. Denn er hat etwas für Gott und Magnus Unverzeihliches getan. Jetzt ist er voll und ganz für die Bürger unserer Stadt da. Er befeuert ihre Öfen, treibt unsere Lastwagen an. Er sorgt dafür, dass die Fabrik Energie hat, um die Auserwählten zu verarbeiten. Auf die eine oder andere Art leisten wir alle unseren Beitrag dazu, Jungs. Es ist besser, man macht es auf die richtige Art. Versteht ihr, was ich meine?«

Parfitt war so blass wie die in den LKW schlitternden Organe. Aber die anderen schienen es zu akzeptieren, wenn auch mit leicht angeekelten Gesichtern. Sie alle nickten und sagten: »Jawohl, Sir«.

»Dann ist's ja gut.« Torrance drückte die Zigarette unter seinem Stiefel aus. »Und jetzt, wo ihr alle bereits ein paar Monate hier arbeitet, wird es Zeit für einige außerplanmäßige Aktivitäten. Seid heute Abend um zehn Uhr bei Dinos.«

Harrison wollte protestieren, aber Torrance ließ ihm keine Chance.

»Und kommt bloß nicht zu spät.«

 

Es war nicht das, was Magnus erwartet hatte.

Collins bewegte sich wie eine Katze. Kein verschrecktes Tier. Sondern eine sehr hagere, selbstsichere und bedächtige Katze. Das Blut lief ihm aus beiden Nasenlöchern, aber Collins schien es nicht für nötig zu halten, sich mit dem Handrücken durchs Gesicht zu fahren, um das Ausmaß seiner Verletzung festzustellen. Stattdessen erblühten durch sein Atmen ― das für Magnus' Geschmack etwas zu ruhig war ― blutige Blasen, die auf seiner Oberlippe mit einem kurzen scharlachroten Sprühregen in die warme Luft des Arbeitszimmers platzten.

Seine Augen waren hypnotisch ― ein breiter weißer Ring
umgab die Iris ―, und er schien ihn weniger anzustarren, als alles um ihn herum aufzusaugen. Magnus überkam das Gefühl, dass Collins sogar durch ihn hindurchblicken konnte. Die Chancen, noch vor Sekunden scheinbar unwiderruflich auf Magnus' Seite, schienen auf einmal deutlich ausgewogener zu sein, als Magnus glauben wollte. Flink und sicher wie ein Chirurg griff er mit der rechten Hand unter seine Jacke und zog den Totschläger hervor, den er in einem Halfter unter seinem linken Arm trug. Er bestand aus dem Kopf und den ersten acht Inches eines Oberarmknochens, die Markröhre mit Blei ausgegossen, und wurde allgemein nur »Nussknacker« genannt. Das Bein war zu einem fahlen gelben Glanz poliert, darin eingraviert ein filigranes Monogramm: R. M. Es konnte nichts schaden, die Chancenverteilung ein wenig zu seinen Gunsten zu frisieren. Magnus wollte dem Mann nicht mit einer Klinge auf den Pelz rücken, zumindest jetzt noch nicht.

Collins' Augen flackerten nicht einmal, als er den Nussknacker erblickte.

Mit dem Nussknacker in der Hand fühlte es sich sehr viel besser an, sich Collins zu nähern. Jetzt würde er ihn fachmännisch zusammenknüppeln, einen Muskel hier und da, ein paar Rippen und einen oder zwei gebrochene Gesichtsknochen. Nichts, was Cleavers Arbeit verderben würde. Nichts, was Collins davon abhalten würde, jedes abgezogene Stück Haut, jeden Schnitt in sein Fleisch, jedes Durchtrennen seiner Sehnen und Bänder, jedes Brechen seiner reißenden Knochen und Glieder zu spüren.

Der umgeworfene Stuhl lag zwischen ihnen. Magnus würde ihn aus dem Weg treten müssen, bevor er Collins auf die Pelle rückte. Er ging einen Schritt vor und erwartete Collins' Reaktion. Immer noch nichts. Nicht das Zucken eines Muskels. Nicht ein Flackern seiner Augen. Magnus
schob den bestiefelten rechten Fuß unter den Stuhl und katapultierte ihn im hohen Bogen gegen die Wand. Nun war der Weg frei. Magnus hob den Nussknacker und rückte vor.

 

Von den Waisen, die in jenem Jahr adoptiert wurden, waren zwei bereits tot. Die Übrigen wussten weder etwas über die Shanti-Familie, noch wussten sie von anderen Waisen, die möglicherweise nicht erfasst worden waren. Diejenigen, die noch lebten, standen ihren Fragen so ignorant und uninteressiert gegenüber, wie es von derartigem Pack zu erwarten war. Vielleicht, dachte sie, sollte man, statt Waisen zur Adoption freizugeben, ihnen einfach den Status entziehen und sie in die Fabrik verfrachten. Das würde die Zahl der asozialen Städter aufs Minimum reduzieren. Abyrne war bereits mit Ignoranten übervölkert. Ignorant ihrer Religion und ignorant ihren Beschützern, der Fürsorge, gegenüber. Ignorant gegenüber allem, was die Stadt am Leben erhielt.

Nachdem sich bisher jeder Strang ihrer Ermittlungen als Sackgasse erwiesen hatte, begab sie sich zu einem letzten Besuch ins Archiv. Whittaker und Rawlins sprangen inzwischen von ihren Stühlen, sobald sie ihrer ansichtig wurden. Und sie brachten ihr Milch, ohne dass sie noch danach fragen musste. Seit einigen Tagen ging es ihr relativ gut. Das Zittern hatte nachgelassen, und die Magenschmerzen waren ebenfalls abgeklungen. Sie führte es darauf zurück, dass der Bischof ihre Pflichtrationen so großzügig um Kalbfleisch ergänzte, das sie nun jeden Tag aß ― bevorzugt zum Frühstück.

Im Staub zog sich ein glänzender Pfad quer durch das Archiv, den sie auf ihren zahlreichen Gängen von und zu den Aktenregalen ausgetreten hatte. Nachdem sie Whittaker und Rawlins einen für ihre Verhältnisse ungewöhnlich aufgeräumten Gruß zukommen ließ, begab sie sich geradewegs zu dem Karton mit den Originalakten, den sie als
Allererstes überprüft hatte und holte ihn erneut herunter. Darin fand sie detaillierte Angaben über den toten Jungen, Richard Shanti, der bei der Geburt von der eigenen Nabelschnur erwürgt wurde. Nachdem sie die Unterlagen einer eingehenden Prüfung unterzogen hatte, fand sie heraus, dass Richard Shanti einen Bruder namens Reginald Arnold Shanti gehabt hatte. Sein Bruder war tot geboren worden. Dem Stammbaum der Shantis war es nicht bestimmt, fortgeführt zu werden. Auf ihren noblen Namen, der schon bestand, als die Stadt aus der Asche der Ödnis erwachsen war, hatte das Schicksal keinerlei Rücksicht genommen.

Zwei tote Kinder. Zwei Jungen, die ihren ersten Tag auf dieser Welt nicht überlebt hatten.

Was ging da in einer Mutter vor? Was ging in einem Vater vor, der sich Fortbestand und Gedeih seiner Familie erhoffte? Fraglos hatten sie sich eingestehen müssen, dass ihre Blutlinie beendet war. Was taten sie, nachdem sie es akzeptiert hatten? Wenn sie Waisenkinder aufnahmen, hätte es diesen Kindern geholfen, weil es sie zu Bürgern der Stadt machte. Und es hätte sie vor der Fabrik oder einem Leben als Flüchtling im verfallenen Viertel gerettet, aber es stellte keineswegs die Fortführung der Blutlinie wieder her.

Was hatte es also zu bedeuten, dass zwei Jungen tot waren? Gab es irgendwo in der Stadt einen weiteren Mann mit einem noblen Namen, der nicht war, wer er glaubte zu sein?

In der Hoffnung, noch etwas mehr herausfinden zu können, begann sie noch einmal die Akten der Eltern durchzusehen.

 

Während er ins Arbeitszimmer sprintete, trat Bruno brutal gegen die Türe. Sie schwang krachend auf, knallte mit der Klinke gegen die Innenwand und ließ den Putz von der Wand platzen.

»Bleib, wo du bist«, brüllte Magnus.

Bruno registrierte, dass sein Boss sorgsam darauf bedacht war, Collins' Gesicht im Auge zu behalten. Der Blickkontakt schweißte die Kontrahenten aneinander. Eine Ablenkung im falschen Moment ― und sei es auch nur für eine hundertstel Sekunde ― und der jeweils andere würde seinen Vorteil wahrnehmen.

»Ich und Mister Hungerhaken hier, wir sind dabei, uns etwas besser miteinander bekanntzumachen«, fuhr Magnus fort. »Ich möchte dabei nicht gestört werden.«

Bruno blickte auf Collins' blutige Nase und Lippen, realisierte noch einmal, wie ausgehungert er aussah und erinnerte sich daran, wie einfach es gewesen war, ihn hierher zu verschleppen. Er bemerkte das glänzende Stück menschlichen Elfenbeins in der rechten Hand seines Bosses und entspannte sich. Der Nussknacker war eine Legende in der Stadt, eine zu Recht von jedermann gefürchtete Waffe.

Bruno hatte den Lärm des umstürzenden Stuhls und des aufschlagenden Körpers sogar unten in der Halle deutlich gehört und für einen kurzen Moment Panik bekommen, dass es möglicherweise Magnus sein könnte, der überwältigt worden war. Jetzt begriff er, wie dumm und paranoid das gewesen war. Magnus brauchte den Schutz seiner Männer nur, wenn es darum ging, Messer, Steine oder Speere abzuwehren. Magnus brauchte ganz sicher keinen Beistand, wenn es, wie jetzt gerade, Mann gegen Mann ging. Er hatte die Konstitution eines Schwergewichtsboxers und war trotz seines massigen Leibes außergewöhnlich schnell. Er hatte Magnus über die Jahre Dutzende von Männern fertigmachen sehen. Dieser Kampf mit John, dem Propheten, war für ihn ein Kinderspiel. Allein Magnus' Kraft und sein schieres Gewicht ließen Collins zwergenhaft erscheinen. Das dürre Kerlchen hatte keine Chance.

Er hatte zur Verstärkung eine Sonderschicht Wachleute geordert, die das Gelände des Anwesens durchkämmen sollten. Sie hatten keine Spur von etwaigen Helfern gefunden, keinen Hinterhalt hungernder Städter, keine ketzerische Räuberbande. Das Anwesen war vollkommen sicher. Collins war ein Mann, der in der wohl gefährlichsten Lage seines Lebens völlig auf sich allein gestellt war. Magnus würde ihn so gekonnt und umsichtig zusammenknüppeln, dass er seine Exekution ― die blutigste, die die Stadt jemals erleben würde ― noch in vollen Zügen genießen konnte.

Bruno verglich die beiden Kontrahenten miteinander: den bleichen Schatten von einem Mann ― der laut eigener Aussage niemals Fleisch aß und seit Monaten unterernährt war ― mit seinen wirren Reden und Blasphemien, dessen einziger Anflug von Stärke in seinen intensiven Augen lag. Gebückt, beinahe kauernd, stand er einem Giganten gegenüber. Jenem Mann, für den Bruno arbeitete und tötete, seit er ihn als Teenager von der Straße aufgelesen hatte. Magnus sah größer aus als der gewaltigste Bulle, seine Brust und seine Schultern spannten sich unter seinem Anzug, als würden sie ihn jeden Moment auseinanderreißen. Magnus war ein satter Mann: satt von Wut und Zorn, satt von Gier und Leidenschaft, satt vom Lebenssaft und Fleisch eines jeden Mannes, der ihm im Weg stand, seit er seinen Platz als Abyrnes Fleischbaron eingenommen hatte.

Sein Erscheinungsbild ließ Bruno an eine Art menschenfressendes Ungeheuer denken. Sein rostrotes Haar, dünner werdend, aber immer noch lang, hing weit über seinen Kragen. Sein Bart war so dicht, dass man den Mund darunter nur erahnen konnte, und seine Koteletten wucherten bis über die Wangenknochen. Seine Schultern waren zwei massive Muskelbögen und seine Hände groß wie Schaufeln. Der Hunger musste Collins' Hirn zerfressen haben. Nur ein
Wahnsinniger würde freiwillig den Kampf mit einem Mann wie Magnus suchen.

»Das bedeutet: Verschwinde, Bruno.«

Bruno zögerte, die beiden alleine zu lassen. Nicht weil er sich Sorgen um seinen Boss machte. Er wollte lediglich das unvermeidliche Resultat dieses ungleichen Kampfes miterleben. Er wollte mit ansehen, wie Collins geschlagen und gedemütigt würde, bevor sie ihn Cleaver übergaben, damit dieser ihn in aller Ruhe zerlegte.

Bruno trat aus dem Zimmer und prägte sich das Bild der beiden Kämpfer ein. Auf der einen Seite der rothaarige Bär von einem Mann, der die Geschicke der Stadt Abyrne lenkte. Auf der anderen der in Kürze massakrierte Asket mit dem Windhundkörper.

Zu schade, dass er das verpassen sollte.

 

12

 

Magnus wusste, dass er jetzt, nachdem er als Erster zugeschlagen hatte, lange auf den perfekten Moment warten konnte. Es wurde Zeit, mit den Muskeln zu spielen.

Nach vorne gebeugt streckte er den Arm aus, um Collins zu packen, sobald der zur einen oder anderen Seite ausweichen würde. Aber Collins bewegte sich nicht. Magnus lächelte still in sich hinein, während er sich mit beiden Armen auf seinen Gegner warf, um ihn zu sich heranzuziehen. Die Umklammerung würde Collins zerquetschen. Im letztmöglichen Moment trat Collins zur Seite, und er stürzte an ihm vorbei. Aus dem geplanten Ausfallschritt wurde eine Schwalbe. Magnus krachte auf den Boden. Der Läufer aus gewebtem Haar dämpfte seinen Aufschlag nur geringfügig. Collins, der heimtückische kleine Bastard, befand sich nun hinter ihm.

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