Zodiac (48 page)

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Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

BOOK: Zodiac
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Als wir gingen, war meine Freundin offenbar überzeugt, dass der Mann nicht zu Unrecht als verdächtig galt. »Mein Gott, der Kerl ist wirklich gerissen«, murmelte sie, als wir zum Wagen gingen. »Dem traue ich sofort zu, dass er der Zodiac ist.«

Ich sagte nichts, aber tief in meinem Inneren schwand mein Verdacht ihm gegenüber. Er war ein faszinierender Verdächtiger, aber ich glaubte einfach nicht mehr daran, dass er der Mann war, den wir suchten. Wenn man den gesamten Zodiac-Fall betrachtete, von dem Mord an Cheri Jo Bates in Riverside bis in die Gegenwart, so schien es weit und breit keinen Verdächtigen zu geben, für den so viel sprach wie für Bob Starr.

 

2

 

Zodiac

 

Dienstag, 20. Dezember 1983

 

Es war Abend, und der Wind wehte durch die Bäume an der Lake Herman Road. Genau fünfzehn Jahre nach den Morden an Betty Lou und David fuhr ich zu der Stelle, wo alles begonnen hatte - zu dem Parkplatz beim alten Wasserhebewerk. Die wenigen Autos, die hier vorbeikamen, tauchten schnell auf und verschwanden ebenso schnell wieder.

Ich hielt beim Tor des Pumpwerks an und stellte den Motor ab. Es war kein Licht weit und breit zu sehen. Als ich auf den Platz neben mir blickte, wo damals der weiße Chevrolet des Mörders gestanden hatte, fragte ich mich: Wie kam es, dass wir bei all dem Material über den Zodiac nicht imstande waren, den Fall zu lösen? Wo lag der Fehler, der uns den Blick darauf verstellte, wer der Täter war? Wie hatte doch Narlow einmal gesagt? »Bei dem Material, das wir in der Hand haben, sollten wir eigentlich in der Lage sein, den Fall zu lösen. Es sei denn, der Kerl führt uns alle miteinander an der Nase herum.«

Ich dachte an all die Theorien, die mir im Laufe der Jahre zu Ohren gekommen waren. War Zodiac vielleicht ein Patient in einer Nervenheilanstalt, der nur zeitweilig entlassen wurde und in diesen Phasen als Mörder in Erscheinung trat? War dieser Mensch so krank, dass ihm seine doppelte Identität nicht einmal bewusst war? Nein. Ich wusste, dass es bei einem paranoiden Schizophrenen so sein konnte, nicht aber bei einem Sexualsadisten, was Zodiac eindeutig war. Der Mann wusste genau, was er tat, und behielt es auch in Erinnerung.

Gab es vielleicht zwei Zodiacs - einen, der die Morde verübte, und einen, der hinterher die Briefe schrieb? Oder gab es vielleicht sogar mehrere Zodiacs, wie Sergeant Lundblad einmal gemeint hatte? Ich hatte jedoch meine Zweifel, dass ein solches Geheimnis von mehr als einer Person gehütet werden konnte.

Konnte es andererseits sein, dass es überhaupt keinen Zodiac gab? Dass sich da jemand einen makabren Scherz erlaubte und sich zu irgendwelchen ungelösten Verbrechen bekannte? Nun, der Schreiber der Briefe hatte immerhin ein Stück von Paul Stines Hemd geschickt - also musste er wenigstens diesen Mord begangen haben, oder ein Vertrauter des Mörders sein. Auch die Aufschrift an der Autotür am Lake Berryessa deutete darauf hin, dass Zodiac hinter diesem Verbrechen steckte.

Vielleicht war Zodiac ein Handelsvertreter, der einen Bezirk nach dem anderen bereiste und dessen eigentliches Geschäft das Töten war. Konnte es sein, dass er, wie er angedeutet hatte, Jäger war (was auch für die Treffsicherheit des Mörders sowie seine Kenntnis der Gegend sprechen würde) - ein Jäger, dem es nicht mehr genügte, Tiere zu jagen?

Vielleicht war er aber auch ein Angehöriger der Navy, der immer wieder für einige Zeit in der Bay Area stationiert war und dann woandershin versetzt wurde? Die Pausen in der Mordserie würden für diese These sprechen. Auch die Wing-Walker-Schuhe, die Ausbildung in Verschlüsselungstechnik, der militärische Bürstenschnitt und die Navy-Kleidung würden diese Annahme unterstützen. Es war allerdings nicht sehr wahrscheinlich, dass Zodiac es schaffte, immer wieder in die Bay Area versetzt zu werden.

Besonders beängstigend war die Möglichkeit, dass Zodiac ein Polizist sein könnte, der aus irgendeinem Grund zum Mörder wurde. Dafür würden nicht nur seine Fähigkeiten als Schütze sprechen, sondern auch seine Kenntnis von Ermittlungstechniken und Fahndungsmethoden der Polizei. Hatte er vielleicht sogar an der Suche nach sich selbst teilgenommen? Oder war er etwa ein Journalist, der bei einer der Zeitungen beschäftigt war, an die Zodiac seine Briefe schrieb? In diesen beiden Jobs hätte Zodiac jedenfalls die Möglichkeit gehabt, ständig auf dem Laufenden zu sein, was die Ermittlungen der Polizei betraf. Oder war er einfach nur einer der vielen, die den Ermittlern Tipps gaben, wie sie den Mörder fassen konnten?

Was das weitere Schicksal des Zodiac betrifft, so wäre es denkbar, dass er wegen eines anderen Vergehens festgenommen wurde, dass er irgendwann Selbstmord begangen hat, bei einem Unfall ums Leben gekommen ist oder von jemandem, den er als Opfer im Visier hatte, getötet wurde. Aber in all diesen Fällen wäre mit großer Wahrscheinlichkeit ans Licht gekommen, dass der Betreffende noch eine zweite Identität als Serienmörder besaß.

Natürlich könnte es auch sein, dass seine innere Wut allmählich verraucht ist und er irgendwann von selbst mit dem Morden aufgehört hat. Genauso könnte es sein, dass Leute, die um seine Schuld wussten, den Fall auf ihre Weise »gelöst« haben; dies wäre vor allem dann denkbar, wenn der Mörder Polizist war. Die schlimmste aller Möglichkeiten wäre jedoch die, dass er nach all den Jahren seiner bekannten Aktivität noch weiter sein Unwesen getrieben hat.

Von den rund 2500 Verdächtigen gibt es vor allem einen, der für die Ermittler (und für mich) noch genauso interessant ist wie eh und je: Bob Hall Starr, den viele Detectives von ihrem Gefühl her für den Täter halten. Niemand weiß mit Sicherheit, wer der Zodiac-Killer ist, aber in Anbetracht all der Hinweise, die ich gesehen habe, ist Starr wohl der Verdächtige, der mit der größten Wahrscheinlichkeit für die Morde infrage kommt.

Starr ist jedenfalls von allen Verdächtigen der Einzige, der bei wirklich jedem der Zodiac-Morde zur Tatzeit am Tatort gewesen sein konnte. Und er hat sogar seinen Freunden anvertraut, dass er Zodiac sei, was natürlich auch nur eine der vielen Schrullen dieses Mannes sein kann.

Auf Wunsch von Sergeant »Butch« Carlstadt suchte Bryan Hartnell das Geschäft auf, in dem Starr damals arbeitete, um sich dessen Stimme anzuhören. »Nach dem, was ich gehört und gesehen habe, könnte ich ihn nicht als Täter ausschließen«, meinte er.

Ich stieg aus dem Wagen, zog den Reißverschluss meiner Jacke zu und sah die dunkle Lake Herman Road hinunter. Leute aus der Gegend um Vallejo berichteten, einen Mann in einem weißen Auto gesehen zu haben, der Frauen in mondhellen Nächten verfolgte. Sie nannten ihn »The Phantom of Cordelia«. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie ein gespenstisch weißer Chevy über die staubigen Landstraßen Kalifornins raste - am Steuer ein stämmiger Mann, dessen rundes Gesicht vom Mondlicht beschienen wurde.

An diesem Dezemberabend lag ein weißer Nebel über der Lake Herman Road, wo vor fünfzehn Jahren ein schreckliches Verbrechen passiert war.

Doch für Darlenes Schwester Pam war all das kürzlich wieder beängstigend nahe gerückt. Sie wurde verfolgt und bekam seltsame Botschaften zugeschickt. Und sie erhielt zwei überaus bedrohliche Anrufe - einen in der Wohnung ihres Freundes in Antioch und einen an ihrem neuen Zuhause in der East Bay.

Es war beide Male derselbe Mann, und er begann beide Male mit den Worten: »Hier spricht der Zodiac …«

 

Sonntag, 22. Juli 1984

 

Ich wollte wissen, ob Starr es immer noch vermied, irgendetwas mit der Hand zu schreiben, und meine Freundin erklärte sich bereit, mir zu helfen.

Wir stellten den Wagen hinter dem verrosteten alten Anker auf dem Parkplatz ab und gingen zum Eingang des Geschäfts hinüber.

Meine Freundin schilderte den Besuch von Starrs Arbeitsplatz später mit folgenden Worten:

 

Starr hat mich bei meinem Einkauf ausführlich beraten und mir geduldig geholfen, das Richtige zu finden. Als ich so viel eingekauft hatte, dass ich es kaum noch tragen konnte, bot er mir einen Korb an.
»Eine Sache bräuchte ich noch«, wandte ich ein, »nämlich eine detaillierte Rechnung für das alles.« »Einer der Verkäufer vorne an der Kasse wird sie Ihnen gern
ausstellen«, antwortete er. »Ich bin nicht mehr dazu befugt.«
»Oh, Sie haben mir sehr geholfen. Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben.«

 

Ich stand am anderen Ende des Raumes und sah, wie Starr sich ihr zuwandte und lächelnd seine großen Hände auf ihre Arme legte. Als er sie im nächsten Augenblick wieder losließ, bewegten sich seine Lippen, doch ich war zu weit weg, um zu hören, was er sagte.

Sie wandte sich ab, und Starr streckte den Arm aus und tätschelte ihre Schulter.

In dem hell erleuchteten Geschäftsraum sah ich Starrs Spiegelbild auf der glänzend lackierten Bootswand, an den Messinggegenständen, die um ihn herum standen, und im blank polierten Fußboden. Und auch in dem gro ßen Schaufenster spiegelte sich der Mann in voller Größe.

Egal, wo ich hinblickte - ich sah immer nur Starr.

 
 

 

(Der Verdächtige, der in diesem Buch unter dem Namen Robert Hall Starr in Erscheinung tritt, starb im August 1992 an den Folgen einer Krankheit.)

 

Epilog

 

Viele der am Zodiac-Fall beteiligten Personen leben nicht mehr. Sergeant Les Lundblad und Gerichtsmediziner Dan Horan sind ebenso verstorben wie Stella Borges, die die Opfer in der Lake Herman Road entdeckte, und Darlene Ferrins Mutter.

Der ehemalige Polizeichef von San Francisco Charles Gain leitet heute einen einträglichen Wohnwagenpark in Lemoore im Kings County und ist damit, wie er sagt, »rundum glücklich«.

Gains ehemaliger Stellvertreter Clement D. DeAmicis wurde gefeuert, als der neue Chief Cornelius P. Murphy II. im Januar 1980 alle Stellvertreter Gains ersetzte. DeAmicis verließ den Polizeidienst und arbeitet heute in der Securityabteilung bei einer Bank.

Im Juli 1979 beendete John Shimoda seine fünfjährige Zusammenarbeit mit dem San Francisco Police Department und weigerte sich, noch irgendwelche Dokumente für die Polizei zu analysieren. Als Grund dafür nehme ich an, dass man ihn bei den Ermittlungen zu dem Zodiac-Brief im April 1978 so unter Druck setzte. Ein Polizist verriet mir: »Es gibt hier bei uns viele Cops, die verärgert sind, weil wir uns jetzt wegen jeder Kleinigkeit an das CI&I in Sacramento wenden müssen, und in einem dringenden Fall ist das ziemlich umständlich.«

Maupins Informant zog sich Ende 1978 in die East Bay zurück. Eric Zelms, jener Streifenpolizist, der den Zodiac-Killer nach dem Mord an Paul Stine in Presidio Heights angehalten hatte, wurde wenig später in einer Silvesternacht im Dienst erschossen. Sein Kollege, der damals bei ihm im Wagen saß, wurde inzwischen befördert und gehört immer noch der Polizei von San Francisco an.

Inspektor Bill Armstrong hörte Anfang 1976 von einer freien Stelle im Betrugsdezernat. »Ich habe mich mit meinem letzten Mord herumgeschlagen«, teilte er Toschi mit. Er schied dann im Oktober 1978 im Alter von fünfzig Jahren aus dem Polizeidienst aus.

Schwere Rückenprobleme zwangen Edward Rust, das Police Department Vallejo zu verlassen. Er und Sergeant Lynch genießen heute ihren Ruhestand in Vallejo.

Lieutenant Jim Husted, der unermüdliche, fast besessene Ermittler aus Vallejo, verlor seine Intelligence Division und wurde mehrmals bei dienstlichen Unfällen verletzt. Er ist mittlerweile geschieden und verbringt viel Zeit auf seiner Ranch und mit seiner eigenen Firma.

Paul Avery, jener Reporter des
Chronicle
, der den Zodiac-Bezug zu Riverside aufdeckte, ist heute ein preisgekrönter Reporter des Sacramento Bee.

Noch ein Wort zu den überlebenden Zodiac-Opfern:

Mike Mageau lebt heute unter einem anderen Namen in Südkalifornien.

Bryan Hartnell, der sich von seinen Verletzungen wieder vollständig erholt hat, lebt als erfolgreicher Anwalt in Südkalifornien. Er besucht regelmäßig Cecelia Ann Shepards Familie.

Terry’s Restaurant ist mittlerweile geschlossen. Blue Rock Springs liegt heute nicht mehr abgelegen; neben neuen Straßen und Wohnanlagen entstand dort auch ein Marine-World-Freizeitpark.

Janet, Darlenes Babysitterin an jenem 4. Juli 1969, erinnert sich: »Erst vor einer Woche habe ich in den Nachrichten wieder etwas über den Zodiac gehört, und ich dachte mir: ›Wenn er bloß nicht wiederkommt. Ich war die Babysitterin einer Frau, die von Zodiac ermordet wurde - es ist ein Teil meines Lebens, und jedes Mal, wenn ich diesen Namen höre, denke ich mir: O nein, nicht schon wieder!‹«

Was Dean Ferrin betrifft, so erzählte mir Carmela Leigh: »Er war ein guter Ehemann. Er ist wieder verheiratet und hat zwei Kinder mit seiner neuen Frau. Aber er wird wohl nie vergessen können, was passiert ist.«

Nach fünf erfolgreichen Jahren im Raubdezernat wechselte Toschi im Mai 1984 in das Dezernat für Sexualdelikte. Nach zweiunddreißig Jahren bei der Polizei verabschiedete er sich schließlich am 3. Juli 1985 und wurde Sicherheitschef des Watergate-Wohnkomplexes in Emeryville. »Zodiac war der frustrierendste von allen meinen Fällen. Ich bin überzeugt, dass ich meine Magengeschwüre nur davon habe«, sagte er.

Obwohl mehrere Leute behaupten, das Band gehört zu haben, auf dem Zodiac mit dem Police Department von Vallejo spricht, wurde dieses Band nie gefunden.

 

Anhang

 

Zodiacs Handschrift

 

Kleine, verkrampft gechriebene Buchstaben; blauer Filzstift, doppeltes Porto; die Zeilen neigen sich nach rechts unten. Die Briefmarken sind manchmal verkehrt oder seitwärts aufgeklebt; der Umschlag ist stets mit einer Aufforderung zu rascher Zustellung versehen. Das Wort »California« ist stets abgekürzt.

Er neigt zu einer Seitennummerierung, wie sie in militärischen Kreisen üblich ist.

Er verwendet die Abkürzungen »San Fran Chron« oder »
Chronicle
«.

Er wendet sich mit einem Vermerk auf dem Umschlag an den »Editor« (Chefredakteur).

Er hat gute Kenntnisse der Rechtschreibung, was man auch daran erkennt, dass er Wörter richtig schreibt, nachdem er sie zuvor im selben Brief falsch geschrieben hat.

Der linke Rand und die einzelnen Zeilen sind meist kerzengerade. Der Umfang der Briefe verrät große Geduld, Konzentrationsfähigkeit und einen Hang zur detaillierten Darstellung.

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