Authors: Karl Kraus
Schließlich ist und war alle Verquickung des Geistigen mit dem Informatorischen, dieses Element des Journalismus, dieser Vorwand seiner Pläne, diese Ausrede seiner Gefahren, durch und durch heineisch – möge sie auch jetzt dank den neueren Franzosen und der freundlichen Vermittlung des Herrn Bahr ein wenig psychologisch gewendet und mit noch etwas mehr „Nachdenklichkeit“ staffiert sein.
Nur einmal trat in diese Entwicklung eine Pause – die hieß Ludwig Speidel.
In ihm war die Sprachkunst ein Gast auf den Schmieren des Geistes.
Das Leben Speidels mag die Presse als einen Zwischenfall empfinden, der störend in das von Heine begonnene Spiel trat.
Schien er es doch mit dem leibhaftigen Sprachgeist zu halten und lud ihn an Feiertagen auf die Stätte der schmutzigsten Unterhaltung, damit er sehe, wie sie’s treiben.
Nie war ein Kollege bedenklicher als dieser.
Wohl konnte man mit dem Lebenden Parade machen.
Aber wie lange wehrte man sich, dem Toten die Ehre des Buches zu geben!
Wie fühlte man, hier könnte eine Gesamtausgabe jene Demütigung bringen, die man einst eßlöffelweise als Stolz einnahm.
Als man sich endlich entschloß, den „Mitarbeiter“ in die Literatur zu lassen, erdreistete sich Herr Schmock, die Begleitung zu übernehmen, und die Hand des Herausgebers, verniedlichend und verstofflichend, rettete für den Wiener Standpunkt, was durch eine Gruppierung Speidelscher Prosa um den Wiener Standpunkt zu retten war.
Ein Künstler hat diese Feuilletons geschrieben, ein Feuilletonist hat diese Kunstwerke gesammelt – so wird die Distanz von Geist und Presse doppelt fühlbar werden.
Die Journalisten hatten Recht, so lange zu zögern.
Sie waren in all der Zeit nicht müßig.
Man verlangte nach Speidels Büchern – sie beriefen sich auf seine Bescheidenheit und gaben uns ihre eigenen Bücher.
Denn es ist das böse Zeichen dieser Krise: der Journalismus, der die Geister in seinen Stall treibt, erobert indessen ihre Weide.
Er hat die Literatur ausgeraubt – er ist nobel und schenkt ihr seine Literatur.
Es erscheinen Feuilletonsammlungen, an denen man nichts so sehr bestaunt, also daß dem Buchbinder die Arbeit nicht in der Hand zerfallen ist.
Brot wird aus Brosamen gebacken.
Was ist es, das ihnen Hoffnung auf die Fortdauer macht?
Das fortdauernde Interesse an dem Stoff, den sie „sich wählen“.
Wenn einer über die Ewigkeit plaudert, sollte er da nicht gehört werden, solange die Ewigkeit dauert?
Von diesem Trugschluß lebt der Journalismus.
Er hat immer die größten Themen und unter seinen Händen kann die Ewigkeit aktuell werden; aber sie muß ihm auch ebenso leicht wieder veralten.
Der Künstler gestaltet den Tag, die Stunde, die Minute.
Sein Anlaß mag zeitlich und lokal noch so begrenzt und bedingt sein, sein Werk wächst umso grenzenloser und freier, je weiter es dem Anlaß entrückt wird.
Es veralte getrost im Augenblick: es verjüngt sich in Jahrzehnten.
Was vom Stoff lebt, stirbt vor dem Stoffe.
Was in der Sprache lebt, lebt mit der Sprache.
Wie leicht lasen wir das Geplauder am Sonntag, und nun, da wirs aus der Leihbibliothek beziehen können, vermögen wir uns kaum durchzuwinden.
Wie schwer lasen wir die Sätze der „Fackel“, selbst wenn uns das Ereignis half, an das sie knüpften.
Nein, weil es uns half!
Je weiter wir davon entfernt sind, desto verständlicher wird uns, was davon gesagt war.
Wie geschieht das?
Der Fall war nah und die Perspektive war weit.
Es war alles vorausgeschrieben.
Es war verschleiert, damit ihm der neugierige Tag nichts anhabe.
Nun heben sich die Schleier …
Heinrich Heine aber – von ihm wissen selbst die Ästheten, die seine Unsterblichkeit in einen Inselverlag retten (die zweckerhabenen Geister, deren Hirnwindungen im Ornament verlaufen), nichts Größeres auszusagen, als daß seine Pariser Berichte „die noch immer lebendige Großtat des modernen Journalismus geworden sind“; und diese Robinsone der literarischen Zurückgezogenheit berufen sich auf Heines Künstlerwort, daß seine Artikel „für die Bildung des Stils für populäre Themata sehr förderlich sein würden“.
Und wieder spürt man die Verbindung derer, die gleich weit vom Geiste wohnen: die in der Form und die im Stoffe leben; die in der Linie und die in der Fläche denken; der Ästheten und der Journalisten.
Im Problem Heine stoßen sie zusammen.
Von Heine leben sie fort und er in ihnen.
So ist es längst nicht dringlich, von seinem Werke zu sprechen.
Aber immer dringlicher wird die Rede von seiner Wirkung, und daß sein Werk nicht tragfähig ist unter einer Wirkung, die das deutsche Geistesleben nach und nach als unerträglich von sich abtun wird.
So wird es sich abspielen: Jeder Nachkomme Heines nimmt aus dem Mosaik dieses Werks ein Steinchen, bis keines mehr übrig bleibt.
Das Original verblaßt, weil uns die widerliche Grelle der Kopie die Augen öffnet.
Hier ist ein Original, dem verloren geht, was es an andere hergab.
Und ist denn ein Original eines, dessen Nachahmer besser sind?
Freilich, um eine Erfindung zu würdigen, die sich zu einer modernen Maschine vervollkommnet hat, muß man die historische Gerechtigkeit anwenden.
Aber wenn man absolut wertet, sollte man da nicht zugeben, daß die Prosa Heinrich Heines von den beobachterisch gestimmten Technikern, den flotten Burschen und den Grazieschwindlern übertroffen wurde?
Daß diese Prosa, welche Witz ohne Anschauung und Ansicht ohne Witz bedeutet, ganz gewiß von jenen Feuilletonisten übertroffen wurde, die nicht nur Heine gelesen, sondern sich extra noch die Mühe genommen haben, an die Quelle der Quelle, nach Paris zu gehen?
Und daß seiner Lyrik, im Gefühl und in der korrespondierenden Hohnfalte, Nachahmer entstanden sind, die’s mindestens gleich gut treffen und die zumal den kleinen Witz der kleinen Melancholie, dem der ausgeleierte Vers so flink auf die Füße hilft, mindestens ebenso geschickt praktizieren.
Weil sich ja nichts so leicht mit allem Komfort der Neuzeit ausstatten läßt wie einen lyrische Einrichtung.
Sicherlich, keiner dürfte sich im Ausmaß der Übung und im Umfang intellektueller Interessen mit Heine vergleichen.
Wohl aber überbietet ihn heute jeder Itzig Witzig in der Fertigkeit, ästhetisch auf Teetisch zu sagen und eine kandierte Gedankenhülse durch Reim und Rhythmus zum Knallbonbon zu machen.
Heinrich Heine, der Dichter, lebt nur als eine konservierte Jugendliebe.
Keine ist revisionsbedürftiger als diese.
Die Jugend nimmt alles auf und nachher ist es grausam, ihr vieles wieder abzunehmen.
Wie leicht empfängt die Seele der Jugend, wie leicht verknüpft sie das Leichte und Lose: wie wertlos muß eine Sache sein, damit ihr Eindruck nicht wertvoll werde durch Zeit und Umstand, da er erworben ward!
Man ist nicht kritisch, sondern pietätvoll, wenn man Heine liebt.
Man ist nicht kritisch, sondern pietätlos, wenn man dem mit Heine Erwachsenen seinen Heine ausreden will.
Ein Angriff auf Heine ist ein Eingriff in jedermanns Privatleben.
Er verletzt die Pietät vor der Jugend, den Respekt vor dem Knabenalter, die Ehrfurcht vor der Kindheit.
Die erstgebornen Eindrücke nach ihrer Würdigkeit messen wollen, ist mehr als vermessen.
Und Heine hatte das Talent, von den jungen Seelen empfangen und darum mit den jungen Erlebnissen assoziiert zu werden.
Wie die Melodie eines Leierkastens, die ich mir nicht verwehren ließe, über die Neunte Symphonie zu stellen, wenns ein subjektives Bedürfnis verlangt.
Und darum brauchen es sich die erwachsenen Leute nicht bieten zu lassen, daß man ihnen bestreiten will, der Lyriker Heine sei größer als der Lyriker Goethe.
Ja, von dem Glück der Assoziation lebt Heinrich Heine.
Bin ich so unerbittlich objektiv, einem zu sagen: sieh nach, der Pfirsichbaum im Garten deiner Kindheit ist heute schon viel kleiner, als er damals war?
Man hatte die Masern, man hatte Heine, und man wird heiß in der Erinnerung an jedes Fieber der Jugend.
Hier schweige die Kritik.
Kein Autor hat die Revision so notwendig wie Heine, keiner verträgt sie so schlecht, keiner wird so sehr von allen holden Einbildungen gegen sie geschützt, wie Heine.
Aber ich habe nur den Mut, sie zu empfehlen, weil ich sie selbst kaum notwendig hatte, weil ich Heine nicht erlebt habe in der Zeit, da ich ihn hätte überschätzen müssen.
So kommt der Tag, wo es mich nichts angeht, daß ein Herr, der längst Bankier geworden ist, einst unter den Klängen von „Du hast Diamanten und Perlen“ zu seiner Liebe schlich.
Und wo man rücksichtslos wird, wenn der Reiz, mit dem diese tränenvolle Stofflichkeit es jungen Herzen angetan hat, auf alte Hirne fortwirkt und der Sirup sentimentaler Stimmungen an literarischen Urteilen klebt.
Schließlich hätte man der verlangenden Jugend auch mit Herrn Hugo Salus dienen können.
Ich weiß mich nicht frei von der Schuld, der Erscheinung das Verdienst der Situation zu geben, in der ich sie empfand, oder sie mit der begleitenden Stimmung zu verwechseln.
So bleibt mir ein Abglanz auf Heines Berliner Briefen, weil mir die Melodie „Wir winden dir den Jungfernkranz“, über die sich Heine dort lustig macht, sympathisch ist.
Aber nur in den Nerven.
Im Urteil bin ich mündig und willig, die Verdienste zu unterscheiden.
Die Erinnerung eines Gartendufts, als die erste Geliebte vorüberging, darf einer nur dann für eine gemeinsame Angelegenheit der Kultur halten, wenn er ein Dichter ist.
Den Anlaß überschätze man getrost, wenn man imstande ist, ein Gedicht daraus zu machen.
Als ich einst in einer Praterbude ein trikotiertes Frauenzimmer in der Luft schweben sah, was, wie ich heute weiß, durch eine Spiegelung erzeugt wurde, und ein Leierkasten spielte dazu die „Letzte Rose“, da ging mir das Auge der Schönheit auf und das Ohr der Musik, und ich hätte den zerfleischt, der mir gesagt hätte, das Frauenzimmer wälze sich auf einem Brett herum und die Musik sei von Flotow.
Aber in der Kritik muß man, wenn man nicht zu Kindern spricht, den Heine beim wahren Namen nennen dürfen.
Sein Reiz, sagen seine erwachsenen Verteidiger, sei ein musikalischer.
Darauf sage ich: Wer Literatur empfindet, muß Musik nicht empfinden oder ihm kann in der Musik die Melodie, der Rhythmus als Stimmungsreiz genügen.
Wenn ich literarisch arbeite, brauche ich keine Stimmung, sondern die Stimmung entsteht mir aus der Arbeit.
Zum Anfeuchten dient mir ein Klang aus einem Miniaturspinett, das eigentlich ein Zigarrenbehälter ist und ein paar seit hundert Jahren eingeschlossene altwiener Töne von sich gibt, wenn man daraufdrückt.
Ich bin nicht musikalisch; Wagner würde mich in dieser Lage stören.
Und suchte ich denselben kitschigen Reiz der Melodie in der Literatur, ich könnte in solcher Nacht keine Literatur schaffen.
Heines Musik mag dafür den Musikern genügen, die von ihrer eigenen Kunst bedeutendere Aufschlüsse verlangen, als sie das bißchen Wohlklang gewährt.
Was ist denn Lyrik im Heineschen Stil, was ist jener deutsche Kunstgeschmack, in dessen Sinnigkeiten und Witzigkeiten die wilde Jagd Liliencronscher Sprache einbrach, wie einst des Neutöners Gottfried August Bürger?
Heines Lyrik: das ist Stimmung oder Meinung mit dem Hört, hört!
klingelnder Schellen.
Diese Lyrik ist Melodie, so sehr, daß sie es notwendig hat, in Musik gesetzt zu werden.
Und dieser Musik dankt sie mehr als der eignen ihr Glück beim Philister.
Der „Simplicissimus“ spottete einmal über die deutschen Sippen, die sich vor Heine bekreuzigen, um hinterdrein in seliger Gemütsbesoffenheit „doch“ die Loreley zu singen.
Zwei Bilder: aber der Kontrast ist nicht so auffallend, als man bei flüchtiger Betrachtung glaubt.
Denn die Philistersippe, die schimpft, erhebt sich erst im zweiten Bilde zum wahren Philisterbekenntnis, da sie singt.
Ist es Einsicht in den lyrischen Wert eines Gedichtes, was den Gassenhauer, den einer dazu komponiert hat, populär werden läßt?
Wie viele deutsche Philister wüßten denn, was Heine bedeuten soll, wenn nicht Herr Silcher „Ich wie nicht, was soll es bedeuten“ in Musik gesetzt hätte?
Aber wäre es ein Beweis für den Lyriker, daß diese Kundschaft seine unschwere Poesie auch dann begehrt hätte, wenn sie ihr nicht auf Flügeln des Gesanges wäre zugestellt worden?
Ach, dieser engstirnige Heinehaß, der den Juden meint, läßt den Dichter gelten und blökt bei einer sentimentalen Melodei wohl auch ohne die Nachhilfe des Musikanten.
Kunst bringt das Leben in Unordnung.
Die Dichter der Menschheit stellen immer wieder das Chaos her; die Dichter der Gesellschaft singen und klagen, segnen und fluchen innerhalb der Weltordnung.
Alle, denen ein Gedicht ihre im Reim beschlossene Übereinstimmung mit dem Dichter bedeutet, flüchten zu Heine.
Wer den Lyriker auf der Suche nach weltläufigen Allegorien und beim Anknüpfen von Beziehungen zur Außenwelt zu betreten wünscht, wird Heine für den größeren Lyriker halten als Goethe.
Wer aber das Gedicht als Offenbarung des im Anschauen der Natur versunkenen Dichters und nicht der im Anschauen des Dichters versunkenen Natur begreift, wird sich bescheiden, ihn als lust-und leidgeübten Techniker, als prompten Bekleider vorhandener Stimmungen zu schätzen.
Wie über allen Gipfeln Ruh’ ist, teilt sich Goethe, teilt er uns in so groß empfundener Nähe mit, daß die Stille sich als eine Ahnung hören läßt.
Wenn aber ein Fichtenbaum im Norden auf kahler Höh’ steht und von einer Palme im Morgenland träumt, so ist das eine besondere Artigkeit der Natur, die der Sehnsucht Heines allegorisch entgegenkommt.
Wer je eine so kunstvolle Attrappe im Schaufenster eines Konditors oder eines Feuilletonisten gesehen hat, mag in Stimmung geraten, wenn er selbst ein Künstler ist.
Aber ist ihr Erzeuger darum einer?
Selbst die bloße Plastik einer Naturan schauung, von der sich zur Seele kaum sichtbare Fäden spinnen, scheint mir, weil sie das Einfühlen voraussetzt, lyrischer zu sein, als das Einkleiden fertiger Stimmungen.
In diesem Sinne ist Goethes „Meeresstille“ Lyrik, sind es Liliencrons Zeilen: „Ein Wasser schwatzt sich selig durchs Gelände, ein reifer Roggenstrich schließt ab nach Süd, da stützt Natur die Stirne in die Hände und ruht sich aus, von ihrer Arbeit müd’“.
Der nachdenkenden Heidelandschaft im Sommermittag entsprießen tiefere Stimmungen als jene sind, denen nachdenkliche Palmen und Fichtenbäume entsprossen; denn dort hält Natur die Stirne in die Hände, aber hier Heinrich Heine die Hand an die Wange gedrückt … Man schämt sich, daß zwischen Herz und Schmerz je ein so glatter Verkehr bestand, den man Lyrik nannte; man schämt sich fast der Polemik.
Aber man mache den Versuch, im aufgeschlagenen „Buch der Lieder“ die rechte und die linke Seite durcheinander zu lesen und Verse auszutauschen.
Man wird nicht enttäuscht sein, wenn man von Heine nicht enttäuscht ist.
Und die es schon sind, werden es erst recht nicht sein.
„Es zwitscherten die Vögelein – viel’ muntere Liebesmelodein.“ Das kann rechts und links stehen.
„Auf meiner Herzliebsten Äugelein“: das muß sich nicht allein auf „meiner Herzliebsten Mündlein klein“ reimen, und die „blauen Veilchen der Äugelein“ wieder nicht allein auf die „roten Rosen der Wängelein“, überall könnte die Bitte stehen: „Lieb Liebchen, leg’s Händchen aufs Herze mein“, und nirgend würde in diesem Kämmerlein der Poesie die Verwechslung von mein und dein störend empfunden werden.
Dagegen ließe sich etwa die ganze Loreley von Heine nicht mit dem Fischer von Goethe vertauschen, wiewohl der Unterschied scheinbar nur der ist, daß die Loreley von oben auf den Schiffer, das feuchte Weib aber von unten auf den Fischer einwirkt.
Wahrlich, der Heinesche Vers ist Operettenlyrik, die auch gute Musik vertrüge.
Im Buch der Lieder könnten die Verse von Meilhac und Halévy stehen: