Hard Man (12 page)

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Authors: Allan Guthrie

BOOK: Hard Man
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Pearce hatte schon sein ganzes Leben an Schlaflosigkeit gelitten. Schlief auch im Gefängnis nicht besonders gut. Wenn andere im selben Raum waren, die fähig waren, einen im Schlaf umzubringen, war das alles andere als dazu angetan, einen tiefen Schlummer zu fördern. Aber schon als Kind hatte er Nacht für Nacht wach gelegen. Er hatte damals so eine fixe Idee mit Motten. Komischerweise übertrug sie sich nicht auf andere Fluginsekten. Nur Motten. Und sie war durch nichts begründet. Wenigstens konnte er sich nicht erinnern, je eine Motte oder etwas Ähnliches verschluckt zu haben. Dennoch war er zutiefst davon überzeugt, dass ihm, wenn er einschlief, eine Motte in den Mund fliegen und ihn ersticken würde.

Soweit er wusste, war er das einzige Kind, das zur Schule kam, ohne in der Nacht geschlafen zu haben. Was dazu führte, dass seine Konzentration nicht immer die beste war. Was wiederum dazu führte, dass die Erwachsenen ihn für ein bisschen beschränkt hielten.

Ihm machte das nichts aus. Es kümmerte ihn nicht besonders, was sie dachten. Meistens bedeutete es, dass sie ihn entweder in Ruhe ließen oder verwöhnten. Und für ein Kind war das ein ziemlich guter Deal.

Aber es kümmerte ihn, was seine Mutter dachte. Sie löcherte ihn immer, er solle Freundschaften schließen. Wobei er nie kapierte, warum eigentlich. Was sollte er mit einem Freund unternehmen, was nicht alleine viel mehr Spaß machte? Irgendwann wurde ihr klar, dass er so völlig glücklich war, und gab auf. Erzählte ihren Freundinnen, er sei ein >Einzelgänger<. Was nicht stimmte, denn er verbrachte eine Menge Zeit mit Muriel.

Aber scheiß drauf, wozu zerrte er das jetzt alles wieder hervor? Die beiden einzigen Menschen, die er je geliebt hatte, waren tot. Seine Schwester war angefixt, total am Arsch gewesen und schließlich gefickt worden. Letzteres buchstäblich. Nachdem sie an einer Überdosis gestorben war. Seine Mum hatte es am Nacken gehabt. Buchstäblich. Und zwar ein Messer. Als sie versucht hatte, einen Postraub aufzuhalten.

Er war dabei gewesen. Er hätte es verhindern können.

Okay, okay, okay, okay. Er würde sich nicht umbringen deswegen. Es war vorbei. Er konnte nichts mehr daran ändern.

Das war die Art von Introspektionsscheiß, die sich einem aufdrängte, wenn man einen Hund besaß. Die ganzen Spaziergänge zwangen einen zum Nachdenken, und nachdenken war echt ätzend.

Introspektion war etwas für Weicheier und Knackis. Es war Zeit, den Hund zu holen, heimzugehen und sich irgend’nen bescheuerten Scheiß in der Glotze anzuschauen. Oder die Bücher aus der Bibliothek zu lesen. Er hatte sich ein paar amerikanische Krimis mitgenommen, auf deren Geschmack er im Knast gekommen war. Alles, um die Zeit herumzubringen. Alles, um die Vergangenheit zu vergessen.
Hol jetzt einfach den Scheißköter.
Okay. Wo war der kleine Scheißer?

Er war abgehauen, als die Kreuzung aus Bullterrier und Dänischer Dogge aufgekreuzt war. Das letzte Mal, als Pearce ihn gesehen hatte, wuselte er gerade links zwischen ein paar Felsen herum. Spielte wahrscheinlich mit toten Krabben (er warf sie gern in die Luft, rannte dann hinter ihnen her, packte sie und schüttelte, bis die Fetzen flogen). Bildete sich ein, er sei eine gewaltige Killermaschine. Oder vielleicht jagte er auch Gespenster im Nebel. Pearce war zu weit weg gewesen, um es genau zu erkennen.

Die Küstenlinie des Fife war verschwunden. Die Insel, Inchdingsbums, war weg. Pearce schaute sich um. Von der Stadt war nur noch ein orangefarbenes Glühen im Nebel übrig geblieben. »Hilda?«, sagte er.

Vielleicht konnte Pearce heute Nacht ein bisschen schlafen. Es war so kühl, dass er eventuell sogar die Steppdecke aus dem Schrank holen musste. Ah, unter etwas zu schlafen, das auf ihm lastete. Und damit meinte er keinen anderen Körper. Oder böse Gedanken.

 

Der Vogel stand am Uferrand. Schwarz-weiß, ein grotesk praller kleiner Körper, komplett mit Bierwampe. Sah aus wie ein kleiner Pinguin. Er bewegte sich nicht. Einen Moment lang dachte Pearce, jemand hätte eine Statue in den Sand gestellt. Aber als Pearce näher kam, zuckte der Vogel ganz leicht mit dem Kopf. Er war darauf gefasst, dass er gleich mit den Flügeln schlagen und abheben würde. Doch er blieb sitzen wie stecken geblieben. Hätte er in die andere Richtung geschaut, hätte er nach Fischen Ausschau halten können, aber er blickte zu der menschenleeren Promenade. Nach der Haltestelle, wo es nichts anderes zu erwischen gab als einen Bus. Und überhaupt war die Haltestelle in Nebel gehüllt, und wenn man nicht wusste, dass sie da war, hätte man sie nicht vermutet. Heute Abend hätte selbst ein Adler einen Scheißdreck gesehen.

Er ging hin bis zu dem Vogel, der einen Seitenblick auf ihn warf und ihn dann ignorierte. Er bückte sich, immer noch in der Erwartung, er Würde wegfliegen, und hob ihn hoch. Das Vieh stieß ein halbherziges Quaken aus, flatterte ein paarmal mit den Flügeln, strampelte mit den Beinen. Dann spielte es wieder toter Mann.

Es war demnach nicht im Sand stecken geblieben. War nicht unter dem Gewicht seines eigenen Schmerbauchs eingesunken. Hatte die Fersen nicht eingegraben. War nicht von einem sadistischen Hundebesitzer in den Boden gerammt worden.

Elf Uhr, dunkel, das meiste Mondlicht vom Nebel verfinstert. Im Licht seines Handys vergewisserte er sich, dass der Vogel nicht verletzt wer. Seine Flügel sahen okay aus. Seine Beine schienen in Ordnung zu sein. Sah kerngesund aus, soweit er es beurteilen konnte. So, wie ein Vogel auszusehen hatte. Wieso saß er also hier wie so ein jämmerlicher Penner?

Er setzte ihn wieder hin. Das Vieh glotzte stur in Richtung Promenade. Allem Anschein nach hatte es mit dem Leben abgeschlossen. War es vielleicht alt? Saß es hier, um auf das Ende zu warten, war es das? - Woran erkannte man, wie alt ein Vogel war? - War es müde? Ruhte es sich nur aus? Nee, von irgendwoher hätte es noch einen Rest an Energie nehmen können. War es verrückt? Gab es geisteskranke Vögel? Er ging in die Hocke und sprach den Vogel an. Stellte ihm die Fragen, die er sich selbst gerade gestellt hatte. Nach einer Weile wurde ihm klar, dass er, anstatt das arme Tier zu trösten, ihm wahrscheinlich eine Heidenangst einjagte. Und wenn es ohnehin schon selbstmordgefährdet war, dann war das vermutlich nicht gerade das Beste. Sollte er gehen, es einfach in Frieden lassen? Es wartete darauf, dass es von irgendetwas getötet wurde. Es fiel Vögeln wahrscheinlich schwer, sich selbst umzubringen. Konnten ja schlecht eine Flinte nehmen, sie sich in den ollen Schnabel schieben und abdrücken. Sollte er ihm helfen? Ihm den Hals umdrehen? Ihm den Schädel an ein paar großen Steinen zerschmettern? Wäre das richtig gewesen?

Pearce wandte sich um und ließ den Vogel sitzen. Ihm war heute nicht danach, irgendwas umzubringen.

Wobei war er noch gewesen? Ach ja. Dabei, seinen Plan für den Rest des Abends umzusetzen. Hilda schnappen, nach Hause gehen, fernsehen. Vielleicht die Steppdecke aus dem Schrank holen und hoffentlich gut schlafen. Wo war nur die Scheißtöle? Er hatte Hilda inzwischen seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Jetzt rief er nach ihm.

»Bist du dir sicher, dass das richtig war?«, fragte seine Mum ihn. »Den armen Vogel da sitzen zu lassen?«

»Du bist tot, Mum«, sagte er. »Gib Ruhe, ja?«

Ein Scheißklacks. Der Kick kam dem Kick nahe, den Flash bei einem geglückten Einbruch erlebte, denn, okay, man stellte sich immer vor, davonzukommen, ansonsten würde man das Risiko ja erst gar nicht eingehen, aber es gab gewöhnlich einen Moment, da wusste man, dass man es durchgezogen hatte, und das war’s.

Alles war cool, und Dad würde sich freuen und Rog, wenn er es Rog erzählte, wenn Rog so weit war, davon zu erfahren, vielleicht würde er dann das überfällige Lächeln zu sehen bekommen.

Flash drückte mit einer Hand die Schnauze des Hundes nach unten und zog mit der anderen am Reißverschluss. Seine Finger waren taub, und er fluchte, weil er Handschuhe hätte mitnehmen müssen, aber wer hätte damit gerechnet, dass der Nebel alles so kalt machen würde? Der Hund leckte ihn am Handgelenk. Die schrumpfende Welt über seinem Kopf schien ihm ganz egal zu sein, und das Komische war, dass er mit keinem einzigen seiner drei Beine um sich trat und dass ihm die neue Erfahrung, in eine große Sporttasche gestopft zu werden, sogar Spaß zu machen schien, diesem verrückten Scheißvieh.

Flash ließ einen schmalen Spalt offen, damit die kleine Kacktöle atmen konnte, und er redete die ganze Zeit auf sie ein, für den Fall, dass sie etwa anfangen sollte zu bellen und ihrem Besitzer ihren Verbleib zu verraten, obwohl sie anscheinend ganz brav und entspannt war und sich in der Tasche kaum bewegte, dachte wahrscheinlich, es sei Schlafenszeit oder was so ein doofer Köter eben dachte, aber was wollte man schon verlangen, denn so was Kleines konnte ja nicht viel Hirn haben, obwohl Pferde ja ziemlich groß waren und nur Hirne von der Größe einer Erbse hatten, aber trotzdem ziemlich helle waren, wie Flash gehört hatte. Ach, was soll’s, das sollte die Wissenschaft klären.

Flash richtete sich auf und spähte hinter dem Steinhaufen hervor, hinter dem er sich die letzten beiden Stunden versteckt hatte und wo es eigentlich ganz angenehm war, wenn nur der Nebel nicht gewesen wäre, aber, Mann, seine Eier waren fast hart gefroren, und seine Beine waren steif, und sein Rücken tat weh, als er aufstand, und unwillkürlich dachte er, so müsse es sich anfühlen, wenn man so alt war wie Dad. Flash hoffte, jemand würde ihn umlegen, bevor er in so einem Dauerzustand endete, denn Lebensqualität,
amigo,
darauf kam es an, und wenn man die nicht mehr hatte, dann kam es auf alles andere auch nicht mehr an, genau wie bei seinem Onkel Cam, der mit einem kleinen Knoten an der Schulter ins Krankenhaus ging, und innerhalb von ein paar Tagen starb. Krebs. Keinerlei Hinweis abgesehen davon, dass er eine Woche vorher oder so ein ganz seltsames Erlebnis hatte, als er jedes Gefühl im Mund verlor. Cam war Bergsteiger gewesen, und alle waren sich einig, dass es besser war, dass es so schnell zu Ende war, weil sonst das Elend, das ihn erwartete, wenn sich alles hingezogen hätte, also, daran durfte man gar nicht denken, oder?, denn wenn man abtreten musste, dann schnell, ohne lange zu fackeln, denn das hatte keinen Sinn.

Fünfzig Meter hinter Flash krachten die Wellen gegen die Kaimauer. Dahinten schien es keinen Strand mehr zu geben, aber er verstand nicht, warum, nur dass das Meer gegen die Kaimauer klatschte. Hier war mehr Strand, wo er sich versteckt hatte, vielleicht weil die Küste sich hier landeinwärts krümmte. Noch was für die Wissenschaft.

Die Tasche kippte, weil sich das Gewicht vom einen Ende zum anderen verlagerte, als der Hund allmählich unruhig wurde, der kleine Scheißer, doch solange er nicht anfing, Krach zu machen, war alles in Ordnung. Aber da er jeden Moment anfangen konnte, Krach zu machen, legte Flash einen Schritt zu.

Der Sand gab unter jedem Schritt nach, und der Hund stolperte die ganze Zeit von einem Ende der Tasche zum andern, kläffte aber immer noch nicht. Gut erzogenes kleines Hundchen.

Nicht mehr lange.

Flash schleppte sich zur Treppe, und nach ein paar Stufen fiel ihm ein, dass er, wenn er erst mal auf der Promenade war, anstatt den Hund mit ins Auto zu nehmen, dorthin zurückgehen könnte, wo das Wasser an die Kaimauer schlug, und die Tasche über das Geländer werfen könnte.

Moment mal, so was würde er dann doch nicht machen, denn er war zwar kein großer Hundefreund, das nicht, aber es gab natürlich Grenzen, und es war ihm grade nur so eingefallen, dass das die viel einfachere Lösung wäre, denn wenn er die Töle jetzt loswurde, würde er sie nicht mit zu Dad nehmen und ihn bitten müssen, sich um sie zu kümmern und all den Scheiß, denn Dad würde wahrscheinlich sagen, das sei seine Sache, und Flash hatte keine Lust, mit ihr Gassi zu gehen und sie zu füttern, und überhaupt konnte er sie nicht in seiner Wohnung halten, denn seine Mitbewohner hätten etwas dagegen, also scheiß drauf.

Nur ein paar Schritte gehen und -
wusch! -
übers Geländer, ganz einfach.

Andererseits sollte Pearce eigentlich nicht für das zahlen müssen, was Wallace angestellt hatte, und Flash wollte die beiden Schläger nicht in einen Topf werfen, selbst wenn Pearce ihm eine Abreibung verpasst hatte. Einen in die Eier zu kriegen war schlimm genug, und die Kante eines Aktenkoffers auf den Kopf gehauen zu bekommen tat mehr weh, als man dachte, aber es war das Geräusch des Messers, das durch seine Hose fetzte, was Flash zum Erschauern brachte. Sogar jetzt noch brach ihm der Schweiß aus, wenn er daran dachte. Also würde er nicht dran denken, nicht wenn er es vermeiden konnte. Wie dem auch sei, er brauchte Pearce. Also, wenn es sich um den Hund von Wallace gehandelt hätte, hätte Flash seinen Plan noch einmal überdenken müssen, vor allem nach dem, was Wallace mit Louis angestellt hatte, aber so wie die Dinge lagen, verwarf Flash die Idee, den Hund ins Meer zu schmeißen, und machte sich auf den Weg zum Auto.

Es war zwar unwahrscheinlich, dass Pearce ihn sehen konnte bei dieser dichten Nebeldecke, aber selbst wenn, dann würde er nur in der Ferne eine Gestalt mit einer Sporttasche ausmachen können und denken, es sei jemand auf dem Weg zu den Five-A-Side-Trainingsplätzen oben an der Straße, denn wer kam schon auf die Idee, jemand hätte seinen Hund in seiner Tasche?

 

Eine Stunde später hatte es zu regnen angefangen. Pearce war das Wetter scheißegal. Er wusste, dass er seinen dreibeinigen Scheißer verloren hatte. Er hatte an jedem Ort gesucht, der ihm einfiel. Keine Spur. Er hatte wieder und wieder nach ihm gepfiffen und gerufen, bis er heiser war. Nichts. Er hatte seine Schritte zurückverfolgt. Null. Schließlich hatte er beschlossen, nach Hause zu gehen. Stellte sich vor, dass Hilda vielleicht auf den gleichen Gedanken gekommen war, dass er mit Schafsblick vor der Tür wartete. Oder, angesichts seiner Größe, eher mit Lammblick.

Nachdem er den Strand verlassen hatte, ging er mitten auf der Straße nach Hause, ständig in Sorge, dass Hilda vielleicht überfahren worden war. Blickte unwillkürlich immer wieder zur Seite und verrenkte sich, um unter geparkte Autos zu schauen. Nichts.

Eine halbe Stunde lang hielt er es zu Hause aus. Konnte aber nicht still sitzen. Er stand auf und ging raus, um noch mal zu suchen.

Inzwischen schüttete es richtig. Er wurde klatschnass, und wo Hilda war, blieb ein Geheimnis.

Wieder zu Hause, zog er seine nassen Klamotten aus, ließ sich ein Bad einlaufen und versuchte, sich zu entspannen. Aber da war ein Knoten in seinem Magen, der nicht weggehen wollte.

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