Meat (46 page)

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Authors: Joseph D'Lacey

Tags: #Fiction, #Horror, #Thrillers, #Suspense, #Science Fiction, #General, #General Fiction

BOOK: Meat
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Auch den Getreidebossen waren die Gerüchte zu Ohren gekommen. Sie hatten ihre eigenen Kundschafter. Was die ihnen berichteten, lag deutlich näher an der Wahrheit, als jene Meldungen, die in der Stadt im Umlauf waren. Wenn sie weiterhin so viel Getreide absetzen wollten wie bisher, dann durften sie nicht zulassen, dass es wirklich zu einer derartigen Massenschlachtung kam. Was in Abyrne geschah, kümmerte sie wenig ― solange die Stadt überlebte. Es waren ihre Männer ― besser organisiert als die Normalbürger der Stadt ―, welche die Kolonne der Städter zu Magnus' Anwesen führten. Ihre Forderungen waren simpel: kein Ausdünnen der Herden, kein Entsorgen von gutem, essbarem Fleisch, sowie die Garantie, dass Prophet John zur Verantwortung gezogen und hingerichtet würde.

Dass sie deswegen Magnus und nicht den Großbischof konsultieren wollten, sprach Bände bezüglich der Machtverhältnisse in der Stadt.

Die Delegation bestand anfangs bloß aus ein paar Hundert der resoluteren und couragierteren Bürger. Doch während sie durch die Straßen von Abyrne marschierten, wuchs der Zug an. Die Menschen traten aus ihren Häusern, als sie vorbeizogen. Wenn sie erfuhren, wohin sie gingen, schlossen sie sich ihnen an. Als die Spitze der Kolonne die Straße erreichte, die aus dem Stadtzentrum herausführte, war der Zug bereits auf mehr als tausend Leute angewachsen.

Als sie Magnus' Anwesen, von den verstümmelten Überresten des Fleischbarons abgesehen, leer vorfanden, legten sie es in Schutt und Asche. Eine Gruppe Jugendlicher steckte die Vorhänge im Salon in Brand und sofort ging das große alte Haus lichterloh in Flammen auf. Die Übeltäter rannten hinaus und beobachteten, wie das Feuer um sich griff. Als das Haus im Funkensturm zusammenfiel, nahmen die Menschen die zerstörerische Wut des Feuers in sich auf und zogen weiter.

Jubelnd und grölend marschierten sie auf die Straße und ließen die Stadt hinter sich. Die Getreidebosse und ihre Männer verloren sich in diesem Mob, den sie längst nicht mehr unter Kontrolle hatten. Die Prozession wälzte sich vom Gelände des Anwesens in Richtung von Magnus' Fleischproduktion.

 

Parfitt beschloss, seine Zigarette draußen zu rauchen. Die Atmosphäre im Milchhof war inzwischen unerträglicher als das Weltuntergangsszenario im Schlachthaus. Die Kühe sträubten sich dagegen, sich von Hand melken zu lassen. Deshalb wurden sie nicht nur gefesselt, sondern auch noch mit Schlägen traktiert. Der neue Vorarbeiter des Milchhofs unternahm nichts, um die Gewalt zu unterbinden. Es machte Parfitt ganz krank.

Das stumpfe Grau, das mit dem Morgen über Abyrne
hereinbrach, verflüchtigte sich niemals so ganz. Obwohl es inzwischen etwas heller war, hingen die Wolken so tief wie eine niedrige Decke. Sie lasteten schwer auf der Stadt, als wollten sie alles erdrücken, alles ersticken. Er entfernte sich vom Gebäude des Milchhofs, damit er die Flüche seiner prügelnden Kollegen nicht mehr ertragen musste, und ging zum Fabrikzaun, um seinen Blick ein wenig über die Straße und die Weiden bis über die dahinter liegende Ödnis schweifen zu lassen.

Hätte er sich nicht exakt für diesen Moment entschieden, so realisierte er wenig später, wäre er nicht einer der Ersten gewesen, die Shanti und Prophet John mit ihrer winzigen Gefolgschaft eintreffen sahen. Konzentriert und zielstrebig näherten sie sich im Laufschritt dem Tor. Das Einzige, was ihm in diesem Augenblick durch den Kopf ging, war, dass diese Menschen sich absolut bewusst sein mussten, dass es ihr Ende bedeutete, hierherzukommen. Eine irregeleitete Selbstmordeinheit, deren Tod nichts, aber auch gar nichts, ändern würde. Ihn überfiel eine verzweifelte Übelkeit. Er ängstigte sich vor dem, was ihnen nun zustoßen würde.

Über den Platz zwischen Vordertor und den nächstliegenden Werksgebäuden kam Torrance mit einer Kohorte von Fleischhauern und einem Dutzend von Magnus' Schwarzmänteln im Schlepptau. Die Klingen, Ketten und Fleischerhaken reflektierten das dumpfe Grau. Aus Angst, dass man ihn sehen und auffordern konnte, ihnen zur Seite zu stehen, wich Parfitt entlang des Zauns zurück und verbarg sich hinter der äußersten Ecke des Milchhofs, von wo er alles ungesehen beobachtete.

Zwischen den ungleichen Parteien schien es zu einem Wortwechsel zu kommen. Shanti und Collins sprachen für ihr Trüppchen, Torrance für die zahlenmäßig massiv überlegenen Arbeiter. Collins' und Shantis Leute machten keiner
lei Anstalten, durch das Tor zu treten. Die Schlachtarbeiter setzten keinen Fuß nach draußen. Torrances Fraktion wurde zunehmend frustrierter und aggressiver. Sie begannen, ihre Gegner zu verspotten. Schon bald wurde jede Hand, die eine Waffe hielt, in die Luft gereckt und geschüttelt, während die Wachen und Arbeiter höhnten und johlten. Parfitt konnte sogar einige von ihnen lachen sehen. Wäre er unter ihnen, er hätte vermutlich ebenfalls gelacht. Die Bande dürrer, abgerissener Strauchdiebe vor dem Tor stand Magnus' Armee so chancenlos gegenüber wie die Auserwählten.

Noch während ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, griff Torrance den Propheten an. Ein Trupp von vielleicht dreißig Männern löste sich aus der Menge der Fleischhauer und strömte durch das Tor. Parfitt konnte es nicht fassen. Und erst recht nicht das, was er als Nächstes sah.

Schneller, als er es wahrnehmen konnte, gingen die Schlachtarbeiter zu Boden. Klingen wurden geschwungen, aber keine traf ins Ziel. Nicht die mageren, heruntergekommen Gestalten wurden in Stücke gehackt, sondern die Arbeiter wurden von Schlägen niedergestreckt, von denen sich Parfitt nicht einmal sicher war, dass er sie überhaupt gesehen hatte. Macheten und Ausbeiner schepperten auf die Straße, fallen gelassen von toten oder bewusstlosen Männern. Aus der Entfernung konnte Parfitt nicht erkennen, in welchem genauen Zustand sich die Männer befanden.

Das Gejohle auf dem Gelände der Fabrik erstarb. Es wurde still.

Im gleichen Moment erblickte Parfitt eine kleinere Gruppe ein Stück die Straße hinunter, die sich den Männern des Propheten näherte. Sie rannten. Zwei von ihnen, die etwas hinter der Hauptgruppe liefen, trugen zwei kleine Mädchen huckepack. Zehn weitere Hungerhaken und zwei Kinder, dachte Parfitt. Das würde wohl kaum reichen. Selbst
wenn sie nicht nach kurzer Zeit am Ende ihrer Kräfte sein sollten, war die Übermacht einfach zu groß.

Die Neuigkeit von der Ankunft des Propheten John hatte sich herumgesprochen. Als Parfitt sich jetzt herumdrehte, erblickte er Fleischhauer und andere Angestellte, bewaffnet mit allem, was immer ihnen gerade in die Hände gekommen war. Sie strömten aus sämtlichen Teilen der Fabrik zusammen, um sich den Verteidigern anzuschließen. Torrance hatte die Männer auf diesen Augenblick vorbereitet, allerdings hatte niemand damit gerechnet, dass er so schnell kommen würde. Die Menge im Vorhof wuchs an und ― da sie nicht mit angesehen hatten, wie ihre Kollegen geschlagen wurden ― brachten die Neuankömmlinge neuen Enthusiasmus in die Reihen. Das Gejohle begann erneut und war diesmal noch lauter.

Torrance schien sich nicht sicher zu sein, wie er den Kampf mit dem Propheten am geschicktesten angehen sollte. Es würde sich nicht ganz einfach gestalten, seine Männer vom Haupttor zurück auf das Gelände der Fabrik zu ziehen. Sie wollten Blut sehen. Insbesondere Richard Shantis Blut. Parfitt hörte immer wieder, wie der Name des Mannes gebrüllt wurde. Sie hassten ihn, er war ein Verräter für sie. Finger und Klingen zeigten auf ihn. Sie drohten, ihm die Eingeweide rauszureißen. Ihn zu kastrieren, während er zusah. Sie schworen, ihm bei lebendigem Leib die Glieder abzusägen.

Ein leichtes Schwindelgefühl überkam Parfitt, und er schwankte für einen Moment. Am ganzen Körper brach ihm kalter Schweiß aus. Dies bedeutete das Ende für den Propheten und für Shanti. Sie alle würden sterben. Dann würde die Stadt zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren, getrieben von Blutdurst und Gier. Er spürte, dass er sich an der Schwelle zu einer verzweifelten Geste des Wi
derstands befand. Dass er bereit war, eine letzte Entscheidung zu treffen, die ihm niemand abnehmen konnte. Er kannte weder John Collins noch kannte er Richard Shanti richtig, aber er setzte mehr Vertrauen in sie als in den Mob von MFP-Fleischhauern. Mehr als in Magnus und seine Wachen. Er vermochte nicht zu sagen, warum.

Es war eine zweite Gruppe, die sich von der Stadt her näherte und die den Ausschlag für seine Entscheidung gab. An der Spitze weiterer Schwarzmäntel erkannte er die gefürchtete Gestalt von Magnus' erstem Mann, Bruno. Shanti, Collins und ihr winziger Trupp von Rebellen würden schon bald in der Falle sitzen.

Parfitt zog sich zurück.

 

Auf halber Strecke zur MFP-Fabrik stand der Großbischof mit seinen verbliebenen Pastoren auf der Straße und beobachtete mit zunehmendem Grausen den aufsteigenden Rauch. Keiner der vielleicht zweihundert Pastoren, die sich hinter ihm aufreihten, konnte es an Kampfkenntnissen und -erfahrung mit jenen aufnehmen, die sie bereits verloren hatten. Er verfluchte sich selbst. Er konnte es sich nicht leisten, vor seinen Pastoren Schwäche zu zeigen, aber es gelang ihm einfach nicht, den Blick von der schwarzen Rauchsäule abzuwenden. Abyrne begann, sich seinem Zugriff zu entziehen.

Die Ausgangssperre, die er angeordnet hatte, griff nicht.

Nun war er eingeschlossen zwischen den Arbeitern, auf die sie bei der Fabrik stoßen würden, und dem wütenden Pöbel, der in Kürze hinter ihnen auf der Straße auftauchen würde. Die Umstände schränkten seinen Spielraum zusehends ein. Ihm gingen langsam die Optionen aus.

Er drehte dem Feuer den Rücken zu und schritt Richtung Fabrik voran. In der Ferne konnte er die Herden der Auser
wählten auf ihren Weiden und in ihren Unterständen sehen. Er gab den Pastoren keinen Befehl.

Er wusste, sie würden ihm folgen.

Sie hatten genauso wenig eine Wahl, wie er es hatte.

 

Ruhig und gelassen standen sie inmitten der niedergestreckten Körper der ersten, von Torrance ausgesandten Gruppe.

Direkt vor ihnen befand sich das Haupttor und dahinter ein tobender Mob von Gegnern, der ständig größer wurde. Die Menge fluchte, spottete und schwenkte ihre Waffen. Shanti sah Knüppel aus Holz oder Bein, Hackmesser, Fleischerhaken, Macheten und Ketten.

Er warf einen Blick zurück auf die Straße und sah, wie die zweite Gruppe mit Hema und Harsha sich zügig näherte. »Was hast du jetzt vor?«, fragte er Collins.

»Für mich und meine Leute ist es hier zu Ende. Wir werden uns diesen Arbeitern und den Städtern, die sicherlich bald hier auftauchen werden, in einem letzten Kampf stellen.«

»In Ordnung, aber wie sieht dein Plan aus?«

Collins lächelte, aber nicht sehr lange.

»Der Plan ist, niemals
vergessen
zu werden, Richard. Der Plan ist, uns zu opfern.«

»Vielleicht gibt es ja noch eine andere Lösung. Vielleicht gewinnt ihr den Kampf. Bisher hast du noch nicht einen einzigen Mann verloren. Vielleicht kannst du mit mir kommen.«

»Nein, das können wir nicht. Das kann ich nicht.«

»Aber wenn du siegst, gibt es für dich keinen Grund mehr zu bleiben.«

»Wir werden nicht siegen.«

»John, ich bitte dich. Wenn du so redest, werdet ihr es sicher nicht.«

Die zweite Gruppe erreichte das Tor, und Shantis Mädchen kamen auf ihn zugerannt. Er bückte sich und küsste sie auf die Stirn, dann stand er auf und legte ihnen die Arme um die Schultern.

Collins sah sie an.

»Ich hätte dich gerne besser kennengelernt, Richard. Ich wünschte, wir hätten etwas mehr Zeit gehabt. Aber du musst verstehen, dass wir heute alle unsere Opfer zu bringen haben. Manche Blut, andere Taten. Du hast deinen Part zu erfüllen und ich den meinen. Die Verhältnisse müssen sich dabei im Gleichgewicht befinden. Und das ist erst ein Bruchteil dessen, was wir noch an Sühne zu leisten haben.« Collins blickte die Straße herunter, wo Bruno und der Rest von Magnus' Männern in der Ferne auftauchten. »Du weißt jetzt alles, was du wissen musst, und du weißt, was zu tun ist. Nimm deine Mädchen und versteck dich. Sieh zu, dass dich niemand sieht. Und beeil dich.«

Collins streckte seine Hand aus, und Shanti ergriff sie. Wortlos sahen sie sich an. So viel sie einander in diesem Augenblick des Schweigens auch sagten, es war nicht genug. Shanti nahm die Mädchen an der Hand und gemeinsam rannten sie gebückt weg vom Tor, an dem der grölende Mob wartete, und weg von der Straße, auf der jeden Moment Bruno und seine Männer eintreffen würden. Sie krochen in das hohe Gras und hinab in den Graben unterhalb der Hecke. Von dort folgten sie ― halb rennend, halb stolpernd ― dem Gestank der Verwesung, weg von der Stadt.

 

Wütender Lärm, das Geschrei einer aufgehetzten Meute, schreckte sie auf.

Sie hatte keine Ahnung, wie lang sie weggedämmert war. Diesmal war sie in einen derart tiefen Schlaf gefallen, dass
es möglicherweise mehrere Sunden, vielleicht sogar ein ganzer Tag gewesen sein könnte. Sie musste sich übergeben, aber es kam nichts. Nur der Schmerz nahm zu, als die Kontraktionen sich um den wachsenden Feuerball in ihrem Unterleib schnürten. Unter Tränen richtete sie sich auf. Die Schwäche in den Beinen und die sich einem Nebel gleich auf sie herabsenkende Benommenheit zwangen sie auf der Stelle wieder auf die Knie.

Die Rast, ganz gleich, wie lang sie gewesen sein mochte, hatte ihr keine Linderung verschafft.

Es würde alles andere als einfach werden.

Mit mehr Willens- als Körperkraft zog sie sich an der Wand der Aussichtsplattform nach oben. Als sie endlich stand, reichte ihr die Balustrade gerade mal bis zur Taille. Wahrscheinlich diente sie keinem anderen Zweck, als zu verhindern, dass die Viehtreiber herunterfielen. Trotzdem war sie war dankbar für die Stütze und den Schutz, den sie ihr gewährte.

Ihr Blick klarte sich auf. Nun konnte sie die gesamte Szenerie überblicken.

Zu ihrer Rechten sah sie die wachsende Menge der Arbeiter und Schwarzmäntel vor dem Haupttor der MFP-Fabrik. Hinter dem Tor erblickte sie ― endlich ― Prophet John Collins. Es bestand kein Zweifel, dass er es war. Ein kahlrasierter Mann in Lumpen und zwei bis drei Dutzend weitere ähnlich aussehende Personen. Ruhig und gelassen standen sie da, während die Männer innerhalb des Werksgeländes kurz davor waren durchzudrehen. Sie hatte das Gefühl, dass Richard Shanti ebenfalls dort unten sein sollte. Aber er war nirgends zu sehen. Irgendwie wünschte sie sich, dass er dort war. Die Vorstellung seiner Anwesenheit war tröstlich. Aber sie wusste, dass es deutlich wahrscheinlicher war, dass Magnus ihn längst umgebracht hatte. Oder zumindest
gerade dabei war, das zu tun. Was für eine fürchterliche Schande.

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