Sebastian (37 page)

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Authors: Anne Bishop

Tags: #Fiction, #Fantasy, #General

BOOK: Sebastian
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Er hatte nicht gewusst, wie sehr er diese Antwort gebraucht hatte, bis er fühlte, wie die Spannung aus ihm herausströmte. Plötzlich müde rieb er sich mit den Händen
über das Gesicht. »Ich habe Sandwiches mitgebracht. Lass uns etwas essen. Dann denken wir darüber nach, was wir als Nächstes tun.«
Doch während sie in gemeinschaftlichem Schweigen das Essen teilten, machte Sebastian ein anderer Gedanke zu schaffen: Warum interessierten sich die Neuankömmlinge ausgerechnet für ihn?
Kapitel Vierzehn
Koltak klopfte an die Tür und wartete kaum die Antwort ab, bevor er eilig den Raum betrat.
»Ihr habt nach mir geschickt, Harland?«, fragte er.
Harland wandte sich vom Fenster ab. »Der Rat hat Neuigkeiten erhalten. Es ist furchtbar - und Furcht einflößend.«
Koltak durchlief ein Schauer, aber er wartete schweigend.
»Belladonna hat ihre wahre Natur offenbart. Sie hat die Schule der Landschafferinnen angegriffen, Koltak. Sie hat alle Landschafferinnen und Brückenbauer getötet, die sich in der Schule befanden, und nun sind Ephemeras Landschaften ihrer Bosheit schutzlos ausgeliefert.«
Koltak taumelte zu einem Stuhl und sank darauf zusammen. »Wie ist das möglich?«
»Ihre Macht ist verderbt, und Belladonna ist weit stärker, als wir dachten.« Harland trat vom Fenster zurück. »Schon jetzt werfen die dunklen Gefühle in den Herzen der Menschen einen Schatten über einige der Landschaften.«
»Aber … was hat sie davon, die anderen Landschafferinnen zu töten? Sie kann keine Landschaft kontrollieren, deren Resonanz sie nicht teilt.«
»Was sie nicht kontrollieren kann, wird vom Sturm der menschlichen Gefühle in Stücke gerissen werden«, antwortete Harland. »Wenn wir sie nicht aufhalten, wird Ephemera zu einer Welt des Wahnsinns werden, die alles vom Menschen Geschaffene zerstört. Musik, Literatur,
die Kultur und unsere Gesellschaft - alles verloren. Zerschlagen in dem verzweifelten Versuch, in einer Welt zu überleben, die sich so schnell verändert, dass es nicht mehr möglich sein wird, in diesen Landschaften am Leben zu bleiben. Und was bleibt, wird Belladonna gehören und zu einem dunklen Ort voller Schrecken werden.« Er hielt inne. »Es gibt Hinweise, dass sie einige der dunkelsten Landschaften in die Welt gebracht hat. Ihr wisst, wovon ich spreche.«
Koltak kämpfte darum, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen, wie ein Ertrinkender, der nach einem Strohhalm greift, um sich vor dem sicheren Untergang zu bewahren. »Nadia. Was ist mit Nadia? Sie versucht doch sicherlich nicht, sie zu schützen?«
»Wir werden versuchen, Nadia zu erreichen. Im Moment wissen wir nicht, ob sie und ihr Sohn Lee noch leben - oder ob auch sie der Bösartigkeit der Ausgestoßenen zum Opfer gefallen sind.« Der Blick, mit dem Harland Koltak bedachte, war hart, aber voller Mitgefühl. »Belladonna muss vernichtet werden.«
»Aber wir können sie nicht finden!«
»Wir müssen sie finden«, sagte Harland. »Weil wir nicht wissen, was mit ihrer Mutter und ihrem Bruder geschehen ist, gibt es nur noch eine Person, die vielleicht in der Lage ist, Belladonna in die Stadt der Zauberer zu locken, wo der Rat sich in voller Stärke sammeln und sie vernichten kann. Koltak, Ihr wisst, wer der Einzige ist, der sie erreichen kann.«
Fassungslos starrte Koltak Harland an. »Sebastian? Was, erwartet Ihr, wird Sebastian gegen Belladonna unternehmen?«
Harland lächelte ein grausames Lächeln. »Nichts.«
 
»Du musst nicht bleiben«, sagte Lynnea. »Ich werde mich hier nur ein wenig hinsetzen.«
»Uh-huh«, antwortete Teaser und folgte ihr an einen
der hinteren Tische in Philos Innenhof. »Sebastian hat mir gesagt, ich solle bei dir bleiben.« Er warf ihr ein selbstgefälliges Lächeln zu. »Außerdem willst du mir ja nicht sagen, was du in dieser Schachtel hast.«
Lynnea seufzte. Sie hätte ihm sagen sollen, was in der Schachtel war, als er das erste Mal gefragt hatte. Aber sie war so nervös und voller Schuldgefühle darüber gewesen, dass sie etwas Nutzloses tat. So hatte ihre Behauptung, die Schachtel enthielte nichts von Bedeutung, die Neugier des Inkubus nur noch gesteigert.
Sie legte die Schachtel auf den Tisch und suchte sich den Platz aus, auf dem sie mit dem Rücken zur Wand sitzen und den Innenhof und die Straße dahinter beobachten konnte. Ausschau halten, ob Sebastian zurückkehrte.
Philo trat an den Tisch. »Was möchtet ihr?«
»Ein Bier für mich«, antwortete Teaser. Fragend blickte er Lynnea an.
»Ich werde etwas für die Dame aussuchen«, sagte Philo, als sie zögerte. Er legte den Kopf schief. »Was ist in der Schachtel?«
»Das erzählt sie niemandem«, sagte Teaser.
Lynnea schnaubte. »Es ist nur ein Spiel, das ein Freund von Sebastians Tante hergestellt hat.« Sie öffnete die Schachtel und kippte die dünnen Holzteile vorsichtig auf den Tisch. »Man nennt es Puzzle. Seht ihr? Auf eine Seite ist ein Bild gemalt. Wenn man alle Teile richtig zusammensetzt, kann man das Bild erkennen.«
Teaser hob eines der Teile hoch und musterte es. »An einer Seite hat es kleine Ausbuchtungen, und an der anderen Seite hat etwas runde Löcher hineingebissen.«
»Das ist Teil des Puzzles. Die Ausbuchtungen eines Teiles passen in die Löcher eines anderen.«
»Oh, das Spiel kenne ich.«
»Pass auf, mit wem du sprichst«, sagte Philo scharf.
»Was?« Teaser blickte zu Lynnea. »Ach ja.«
Lynnea hielt den Blick auf die Puzzleteile gerichtet, die
sie gerade umdrehte, so dass die bemalte Seite oben lag. »Wenn ich im Pfuhl bleibe, gibt es keinen Grund, aus dem es alle vermeiden müssten, über... Sex und so... zu sprechen, wenn ich in der Nähe bin.«
Eine lange Pause entstand.
»Ich sehe mal nach, was es in der Küche gibt«, sagte Philo und entfernte sich eilig vom Tisch.
Sie hasste das Gefühl, ein Außenseiter zu sein, und in dem Bewusstsein, dass Teaser sich genauso stark konzentrierte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit ganz darauf, alle Teile umzudrehen, damit sie anfangen konnte, das Puzzle zusammenzusetzen.
Schließlich sagte Teaser leise: »Du bist anders. Deswegen ist es in Ordnung, in deiner Gegenwart ein bisschen zweideutig zu sein, aber nicht, sich schamlos zu benehmen.«
Lynnea dachte darüber nach, während sie zwei blaue Teile zusammenfügte. Himmel? Wasser? »Warum?«
»Das weiß ich nicht genau. Es war noch nie zuvor jemand wie du im Pfuhl.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, also knabberte sie an dem Essen herum, das Philo an den Tisch gestellt hatte, setzte die Puzzleteile zusammen - und wartete auf Sebastian.
 
Müde und hungrig dankte Sebastian dem Dämonenrad für seine Hilfe und ließ den Blick über Philos Innenhof schweifen. Er konnte Lynnea nicht entdecken, aber einer der Leute, die sich um die hinteren Tische versammelt hatten, würde ihm sagen können, wo sie und Teaser hingegangen waren.
Als er in den Hof lief, fragte er sich, ob Versagen in seinem Fall mit Erfolg gleichzusetzen war. Er hatte kein Anzeichen rostfarbenen Sandes gesehen, keine Wasserflächen an ungewöhnlichen Stellen entdeckt. Er hatte alle sichtbaren Brücke aufgezeichnet, aber keine überschritten
- und würde es auch nicht tun, bevor er mit Lee gesprochen hatte und wusste, welche von ihnen von seinem Cousin geschaffen worden waren.
Schließlich hatte er es geschafft, die Bewohner einiger dunkler Landschaften zu finden, die an den Pfuhl grenzten, und er hatte sie vor den Kreaturen gewarnt, die vielleicht auf sie Jagd machen könnten. Sie würden die Nachricht unter ihresgleichen verbreiten.
Für den Augenblick hatte er alles getan, was er konnte, also war es an der Zeit, etwas für sich zu tun. Er brauchte das warme Gefühl ihrer Nähe, musste spüren, wie der Klang ihrer Stimme über seine Haut strich. Musste einfach bei ihr sein. Das allein erschien ihm wie ein Wunder.
Er wollte Sex. Natürlich wollte er das. Aber es war nicht alles, was er wollte, nicht alles, was er brauchte.
Nachts träumte sie von ihm, und er fand den Lockruf dieser Träume unwiderstehlich. Aber er schien ihm auch wie die Kostprobe eines Festmahls. Kaum, dass er davon genascht hatte, schlug man ihm die Tür vor der Nase zu, bevor er sich daran gütlich tun konnte. Das Problem war, dass er das bohrende Gefühl hatte, dass der beste Teil des Festmahls verschwinden würde, wenn er die Tür aufstieß, anstatt zu warten, dass man ihn einlud.
Aber solche Gedanken konnte er sich ein andermal machen. Jetzt reizte ihn ein voller Bauch mehr als ein heißes Bett - und für einen Inkubus was das ein armseliger und recht seltener Zustand.
Lynnea zu finden, war einfach. Zu ihr zu kommen, war eine andere Angelegenheit. Als er sich einen Weg durch die Menge bahnte, die sich um den Tisch versammelt hatte, hörte er Mr Finch sagen: »Sie passen, und sie sind beide blau, aber es ist nicht das gleiche Blau. Dieses hier ist Himmel, denke ich, und dieses … Wasser? Philo, können wir mehr Licht bekommen?«
Er hörte Lynnea sagen: »Teaser, du machst es falsch.«
Teaser antwortete: »Diese Teile passen!«
Lynnea, entnervt: »Aber sie haben nicht die richtige Farbe. Sie ergeben kein Bild.«
In diesem Moment drängte er sich in den freien Raum zwischen Teasers Stuhl und Mr Finch und erhaschte einen Blick auf den Tisch - und fühlte, wie ein Ruck durch seinen Körper ging.
Dann sagte Teaser: »In Ordnung. Ich mache es richtig«, und streckte eine Hand aus, um die Puzzleteile wieder auseinander zu brechen, die zwar passten, aber nicht zusammengehörten.
Ohne nachzudenken, allein als Reaktion auf seine aufgewühlten Gefühle, packte er mit einer Hand Teasers Arm. Er ignorierte den erschrockenen Aufschrei des anderen Inkubus und starrte auf den Tisch. Selbst Lynneas freudige Begrüßung konnte seine Aufmerksamkeit nicht von den auf dem Tisch verstreuten Holzteilchen losreißen - vor allem von den Teilen, die bereits zusammengefügt waren.
»Das ist Ephemera«, sagte er leise. Alle Umstehenden verstummten und warteten ab, was er sagen wollte. »Es ist wie Ephemera in den alten Geschichten.« In diesem Augenblick war er wieder ein Kind und saß mit Glorianna und Lee am Küchentisch und hörte zu, wie Tante Nadia die Geschichte erzählte, warum Ephemera so geworden war, wie sie es heute kannten.
»Einst war die Welt heil und ganz.« Er ließ Teasers Handgelenk los und fuhr mit der Hand über den Tisch, um alle Holzteile in seine Geste mit einzuschließen. »Verschiedene Länder, verschiedene Menschen, aber alles war miteinander verbunden. Dann tauchte der Weltenfresser auf. Er hatte die Fähigkeit, Teile der Welt neu zu gestalten und öffnete sie für die dunklen Seiten des menschlichen Herzens. Er konnte sich die schlimmsten, dunkelsten Ängste der Menschen zu eigen machen und diese Gefühle benutzen, um Kreaturen, die ein natürlicher
Teil der Welt waren, in etwas Grauenvolles zu verwandeln. In etwas, das Jagd auf Menschen macht.«
Sebastian ergriff Teasers Glas und trank den letzten Schluck Bier, um die Trockenheit seiner Kehle zu lindern. Er stellte das Glas wieder ab und fuhr mit seiner Geschichte fort. »Er zog durch die Länder, und während die Menschen in Verzweiflung ertranken, veränderte sich die Welt, um zum Abbild ihrer Herzen zu werden. Fruchtbares Land verwandelte sich in Wüsten, und das Leid der Menschen wurde immer größer.
In ihrer Verzweiflung zerschlugen die Wächter der Herzen Ephemera und teilten die entstandenen Stücke wiederum in noch kleinere.« Sebastian trennte die Puzzleteile, die Mr Finch zusammengesetzt hatte. »Schließlich schlossen diejenigen, die für das Licht eintraten, den Weltenfresser auf einem kleinen Bruchstück ein. Dort kämpften sie, Licht gegen Dunkelheit, und trieben den Weltenfresser an den Ort, den sie als Falle gewählt hatten. Außer sich vor Wut zog Er alle Landschaften, die Er geschaffen hatte, zu diesem Ort, damit Seine Kreaturen Ihm im Kampf beistehen könnten.
Und in diesem Moment ließen die Wächter die Falle zuschnappen. Sie ließen ihre Macht in den Stein fließen und schufen einen Käfig, der den Weltenfresser in Seinen eigenen Landschaften einschloss.
Ephemera war gerettet, aber zurück blieb eine Welt aus zerschlagenen Landschaften.«
»Warum haben sie Ephemera danach nicht wieder zusammengesetzt?«, fragte Teaser.
Sebastian starrte das Puzzle an. Er hatte sein ganzes Leben mit der Beschaffenheit Ephemeras gelebt, hatte wie jeder andere die Frustration erlebt, eine andere Landschaft zu entdecken und niemals in der Lage zu sein, sie wiederzufinden, selbst wenn er den gleichen Weg nahm, die gleiche Brücke überquerte. Zumeist konnte man nur sicher wissen,
wo
man war, aber nicht
wohin
man ging - und manchmal gab es nicht einmal diese Gewissheit.
»Die Wahrer des Lichts hatten sich von der Welt der Menschen abgeschottet, und die Wächter verschwanden, nicht länger in der Lage, auf dieser Welt zu wandeln«, sagte er. »Die Landschafferinnen und Brückenbauer, die nach ihnen kamen, konnten Ephemera soweit im Gleichgewicht halten, dass die Welt nicht jedes Gefühl Wirklichkeit werden ließ, aber sie waren nicht in der Lage, sie wieder zusammenzusetzen.«
Er schob die Puzzleteile, die er getrennt hatte, zusammen, bis sie dicht beieinander lagen, aber nicht ganz miteinander verbunden waren. »Sie teilten jeweils die Resonanz verschiedener Landschaften, und diese nahmen die Landschafferinnen unter ihre Kontrolle und Obhut, während die Brückenbauer einen Weg fanden, Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen, so dass die Menschen nicht in einem kleinen Teil der Welt gefangen waren.«

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